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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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man glauben, hätte sich doch die Barbarenbildung wie von
selbst ergeben müssen. Allein unter den Werken des Lysipp
und seiner Schule, welcher diese Aufgabe am nächsten lag,
finden wir nichts, was darauf hindeutete. Die Reiterschaar
vom Granikos bestand aus Griechen; sie war ein Ehrendenk-
mal für die Gefallenen, keine eigentliche Schlachtscene. Denn,
um es nur ganz scharf auszusprechen, die eigentlich histori-
sche Kunst war auch damals noch zunächst auf die Malerei
beschränkt. Wir kennen Bilder der Schlachten von Marathon,
Oenoe, Mantinea, Schlachten Alexanders. Siegesweihgeschenke
in der Sculptur bestehen aus Gruppen von Portraits der Füh-
rer und Bildern der Stammesheroen, untermischt mit wirklichen
Göttern. An gleichzeitige Schlachten suchte man höchstens
insofern zu erinnern, als man mythische Kämpfe der Heroen-
zeit darstellte, welche dem nachfolgenden Geschlechte zum
Vorbilde gedient hatten. Erst die längere und fest begründete
Königsherrschaft durfte es wagen, menschliche Thaten denen
der Heroen und Götter gleich zu setzen. Aber auch sie that
es noch mit Vorsicht. Auf den Thüren des palatinischen
Apoll standen die Gallier den Niobiden gegenüber, und die Be-
siegung der ersteren erschien nicht als ein Werk der Menschen,
sondern des Apollo selbst. Auf der Akropolis von Athen
weihte zwar Attalos "die Niederlage der Gallier"; aber auch
sie hatte die marathonische Schlacht, die Kämpfe der Amazo-
nen und der Giganten zur Seite; und wer weiss, ob nicht auch
hier den Göttern noch ein thätiger Antheil am Kampfe gewährt
war, den Göttern, welche in ihren Orakeln schon vor dem Siege
den Attalos als tauroio diotrepheos philon uion, als taurokeron
begrüsst hatten 1)? Wir können sogar nicht wagen zu ent-
scheiden, ob die Gruppe, zu welcher die erhaltenen Statuen
gehören, nicht ebenfalls die delphische von Gott gesandte Nie-
derlage darstellte, um symbolisch den späteren Sieg des Atta-
los zu verherrlichen. Die Beziehung auf denselben ward dem
Beschauer durch den Anblick der scharf ausgeprägten Barba-
rengestalten nahe genug gelegt. Die präcise Durchführung
dieses Typus machte sie zu einem historischen Denkmale in
weit engerem Sinne, als es bei allen Darstellungen älterer
mythologischer Begebenheiten der Fall sein konnte.

1) Paus. X, 15, 2; Diod. exc. Vat. 34, 8.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 29

man glauben, hätte sich doch die Barbarenbildung wie von
selbst ergeben müssen. Allein unter den Werken des Lysipp
und seiner Schule, welcher diese Aufgabe am nächsten lag,
finden wir nichts, was darauf hindeutete. Die Reiterschaar
vom Granikos bestand aus Griechen; sie war ein Ehrendenk-
mal für die Gefallenen, keine eigentliche Schlachtscene. Denn,
um es nur ganz scharf auszusprechen, die eigentlich histori-
sche Kunst war auch damals noch zunächst auf die Malerei
beschränkt. Wir kennen Bilder der Schlachten von Marathon,
Oenoë, Mantinea, Schlachten Alexanders. Siegesweihgeschenke
in der Sculptur bestehen aus Gruppen von Portraits der Füh-
rer und Bildern der Stammesheroen, untermischt mit wirklichen
Göttern. An gleichzeitige Schlachten suchte man höchstens
insofern zu erinnern, als man mythische Kämpfe der Heroen-
zeit darstellte, welche dem nachfolgenden Geschlechte zum
Vorbilde gedient hatten. Erst die längere und fest begründete
Königsherrschaft durfte es wagen, menschliche Thaten denen
der Heroen und Götter gleich zu setzen. Aber auch sie that
es noch mit Vorsicht. Auf den Thüren des palatinischen
Apoll standen die Gallier den Niobiden gegenüber, und die Be-
siegung der ersteren erschien nicht als ein Werk der Menschen,
sondern des Apollo selbst. Auf der Akropolis von Athen
weihte zwar Attalos „die Niederlage der Gallier”; aber auch
sie hatte die marathonische Schlacht, die Kämpfe der Amazo-
nen und der Giganten zur Seite; und wer weiss, ob nicht auch
hier den Göttern noch ein thätiger Antheil am Kampfe gewährt
war, den Göttern, welche in ihren Orakeln schon vor dem Siege
den Attalos als ταύροιο διοτρεφέος φίλον υἱὸν, als ταυρόκερων
begrüsst hatten 1)? Wir können sogar nicht wagen zu ent-
scheiden, ob die Gruppe, zu welcher die erhaltenen Statuen
gehören, nicht ebenfalls die delphische von Gott gesandte Nie-
derlage darstellte, um symbolisch den späteren Sieg des Atta-
los zu verherrlichen. Die Beziehung auf denselben ward dem
Beschauer durch den Anblick der scharf ausgeprägten Barba-
rengestalten nahe genug gelegt. Die präcise Durchführung
dieses Typus machte sie zu einem historischen Denkmale in
weit engerem Sinne, als es bei allen Darstellungen älterer
mythologischer Begebenheiten der Fall sein konnte.

1) Paus. X, 15, 2; Diod. exc. Vat. 34, 8.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 29
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[449/0462] man glauben, hätte sich doch die Barbarenbildung wie von selbst ergeben müssen. Allein unter den Werken des Lysipp und seiner Schule, welcher diese Aufgabe am nächsten lag, finden wir nichts, was darauf hindeutete. Die Reiterschaar vom Granikos bestand aus Griechen; sie war ein Ehrendenk- mal für die Gefallenen, keine eigentliche Schlachtscene. Denn, um es nur ganz scharf auszusprechen, die eigentlich histori- sche Kunst war auch damals noch zunächst auf die Malerei beschränkt. Wir kennen Bilder der Schlachten von Marathon, Oenoë, Mantinea, Schlachten Alexanders. Siegesweihgeschenke in der Sculptur bestehen aus Gruppen von Portraits der Füh- rer und Bildern der Stammesheroen, untermischt mit wirklichen Göttern. An gleichzeitige Schlachten suchte man höchstens insofern zu erinnern, als man mythische Kämpfe der Heroen- zeit darstellte, welche dem nachfolgenden Geschlechte zum Vorbilde gedient hatten. Erst die längere und fest begründete Königsherrschaft durfte es wagen, menschliche Thaten denen der Heroen und Götter gleich zu setzen. Aber auch sie that es noch mit Vorsicht. Auf den Thüren des palatinischen Apoll standen die Gallier den Niobiden gegenüber, und die Be- siegung der ersteren erschien nicht als ein Werk der Menschen, sondern des Apollo selbst. Auf der Akropolis von Athen weihte zwar Attalos „die Niederlage der Gallier”; aber auch sie hatte die marathonische Schlacht, die Kämpfe der Amazo- nen und der Giganten zur Seite; und wer weiss, ob nicht auch hier den Göttern noch ein thätiger Antheil am Kampfe gewährt war, den Göttern, welche in ihren Orakeln schon vor dem Siege den Attalos als ταύροιο διοτρεφέος φίλον υἱὸν, als ταυρόκερων begrüsst hatten 1)? Wir können sogar nicht wagen zu ent- scheiden, ob die Gruppe, zu welcher die erhaltenen Statuen gehören, nicht ebenfalls die delphische von Gott gesandte Nie- derlage darstellte, um symbolisch den späteren Sieg des Atta- los zu verherrlichen. Die Beziehung auf denselben ward dem Beschauer durch den Anblick der scharf ausgeprägten Barba- rengestalten nahe genug gelegt. Die präcise Durchführung dieses Typus machte sie zu einem historischen Denkmale in weit engerem Sinne, als es bei allen Darstellungen älterer mythologischer Begebenheiten der Fall sein konnte. 1) Paus. X, 15, 2; Diod. exc. Vat. 34, 8. Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 29

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/462>, abgerufen am 25.11.2024.