Argument ist in unserem Falle von einer um so grösseren Be- deutung, als die gemeinsame Eigenthümlichkeit beider Werke gerade in der höchsten Anspannung aller Kräfte besteht, über welche der Künstler zu gebieten vermag, auf einem solchen Hö- hepunkte aber noch weniger, als sonst irgendwo, ein längerer Stillstand nur denkbar ist. Werden nun endlich gar beide Werke noch ausdrücklich auf ein gemeinsames Vaterland zu- rückgeführt, so müssten in der That Beweise von der posi- tivsten, schlagendsten Art beigebracht werden, wenn nur ein Zweifel an ihrer Entstehung in einer und derselben Entwicke- lungsepoche der Kunst ausgesprochen werden sollte.
Die übrigen Künstler dieser Periode.
Boethos wird in den uns erhaltenen Handschriften des Pausanias (V, 17, 1) Karthager genannt, woran wir nicht um- hin können Anstoss zu nehmen. Da nun auch sonst Karkhe- donios und Khalkedonios in den Handschriften verwechselt wer- den, so verdient gewiss die Vermuthung Müllers (Hdb. §. 159, 1) mit Beifall aufgenommen zu werden, dass Boethos vielmehr aus der bithynischen Stadt Chalkedon stamme. Seine Zeit lässt sich nur annähernd bestimmen. Als sein Werk nemlich erwähnt Cicero (in Verr. IV, 14) eine vorzügliche Hydria (praeclaro opere et grandi pondere), welche Verres dem Pam- philos aus Lilybaeum raubte; dieser selbst aber hatte Cicero erzählt, sie sei ein Familienerbstück und ihm a patre et a maioribus hinterlassen. Hiernach konnte Boethos mindestens nicht später, als in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben. Grossen Ruhm erwarb er durch toreu- tische Werke, zu denen die oben genannte Hydria gehört. Nach Plinius, welcher ihm nebst Akragas und Mys nach Men- tor die erste Stelle anweist, befanden sich derartige Arbeiten von seiner Hand beim Tempel der Athene zu Lindos: 33, 155. Neben Alkon wird er in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex (v. 66) genannt. Von statuarischen Werken sah Pausanias (V, 17, 1) das vergoldete Bild eines sitzenden Knaben im He- raeum zu Olympia; und Plinius (34, 84) rühmt als vortrefflich einen Knaben, welcher eine Gans würgt, d. h. um den Hals gepackt hat: denn wahrscheinlich ist die in mehreren Wie- derholungen vorkommende Gruppe des Knaben, welcher eine Gans mit Gewalt zurückzuhalten strebt, auf des Boethos Ori-
Argument ist in unserem Falle von einer um so grösseren Be- deutung, als die gemeinsame Eigenthümlichkeit beider Werke gerade in der höchsten Anspannung aller Kräfte besteht, über welche der Künstler zu gebieten vermag, auf einem solchen Hö- hepunkte aber noch weniger, als sonst irgendwo, ein längerer Stillstand nur denkbar ist. Werden nun endlich gar beide Werke noch ausdrücklich auf ein gemeinsames Vaterland zu- rückgeführt, so müssten in der That Beweise von der posi- tivsten, schlagendsten Art beigebracht werden, wenn nur ein Zweifel an ihrer Entstehung in einer und derselben Entwicke- lungsepoche der Kunst ausgesprochen werden sollte.
Die übrigen Künstler dieser Periode.
Boëthos wird in den uns erhaltenen Handschriften des Pausanias (V, 17, 1) Karthager genannt, woran wir nicht um- hin können Anstoss zu nehmen. Da nun auch sonst Καρχη- δόνιος und Χαλκηδόνιος in den Handschriften verwechselt wer- den, so verdient gewiss die Vermuthung Müllers (Hdb. §. 159, 1) mit Beifall aufgenommen zu werden, dass Boëthos vielmehr aus der bithynischen Stadt Chalkedon stamme. Seine Zeit lässt sich nur annähernd bestimmen. Als sein Werk nemlich erwähnt Cicero (in Verr. IV, 14) eine vorzügliche Hydria (praeclaro opere et grandi pondere), welche Verres dem Pam- philos aus Lilybaeum raubte; dieser selbst aber hatte Cicero erzählt, sie sei ein Familienerbstück und ihm a patre et a maioribus hinterlassen. Hiernach konnte Boëthos mindestens nicht später, als in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelebt haben. Grossen Ruhm erwarb er durch toreu- tische Werke, zu denen die oben genannte Hydria gehört. Nach Plinius, welcher ihm nebst Akragas und Mys nach Men- tor die erste Stelle anweist, befanden sich derartige Arbeiten von seiner Hand beim Tempel der Athene zu Lindos: 33, 155. Neben Alkon wird er in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex (v. 66) genannt. Von statuarischen Werken sah Pausanias (V, 17, 1) das vergoldete Bild eines sitzenden Knaben im He- raeum zu Olympia; und Plinius (34, 84) rühmt als vortrefflich einen Knaben, welcher eine Gans würgt, d. h. um den Hals gepackt hat: denn wahrscheinlich ist die in mehreren Wie- derholungen vorkommende Gruppe des Knaben, welcher eine Gans mit Gewalt zurückzuhalten strebt, auf des Boëthos Ori-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0513"n="500"/>
Argument ist in unserem Falle von einer um so grösseren Be-<lb/>
deutung, als die gemeinsame Eigenthümlichkeit beider Werke<lb/>
gerade in der höchsten Anspannung aller Kräfte besteht, über<lb/>
welche der Künstler zu gebieten vermag, auf einem solchen Hö-<lb/>
hepunkte aber noch weniger, als sonst irgendwo, ein längerer<lb/>
Stillstand nur denkbar ist. Werden nun endlich gar beide<lb/>
Werke noch ausdrücklich auf ein gemeinsames Vaterland zu-<lb/>
rückgeführt, so müssten in der That Beweise von der posi-<lb/>
tivsten, schlagendsten Art beigebracht werden, wenn nur ein<lb/>
Zweifel an ihrer Entstehung in einer und derselben Entwicke-<lb/>
lungsepoche der Kunst ausgesprochen werden sollte.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die übrigen Künstler dieser Periode.</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#g">Boëthos</hi> wird in den uns erhaltenen Handschriften des<lb/>
Pausanias (V, 17, 1) Karthager genannt, woran wir nicht um-<lb/>
hin können Anstoss zu nehmen. Da nun auch sonst Καρχη-<lb/>δόνιος und Χαλκηδόνιος in den Handschriften verwechselt wer-<lb/>
den, so verdient gewiss die Vermuthung Müllers (Hdb. §. 159, 1)<lb/>
mit Beifall aufgenommen zu werden, dass Boëthos vielmehr<lb/>
aus der bithynischen Stadt Chalkedon stamme. Seine Zeit<lb/>
lässt sich nur annähernd bestimmen. Als sein Werk nemlich<lb/>
erwähnt Cicero (in Verr. IV, 14) eine vorzügliche Hydria<lb/>
(praeclaro opere et grandi pondere), welche Verres dem Pam-<lb/>
philos aus Lilybaeum raubte; dieser selbst aber hatte Cicero<lb/>
erzählt, sie sei ein Familienerbstück und ihm a patre et a<lb/>
maioribus hinterlassen. Hiernach konnte Boëthos mindestens<lb/>
nicht später, als in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts<lb/>
v. Chr. gelebt haben. Grossen Ruhm erwarb er durch toreu-<lb/>
tische Werke, zu denen die oben genannte Hydria gehört.<lb/>
Nach Plinius, welcher ihm nebst Akragas und Mys nach Men-<lb/>
tor die erste Stelle anweist, befanden sich derartige Arbeiten<lb/>
von seiner Hand beim Tempel der Athene zu Lindos: 33, 155.<lb/>
Neben Alkon wird er in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex<lb/>
(v. 66) genannt. Von statuarischen Werken sah Pausanias<lb/>
(V, 17, 1) das vergoldete Bild eines sitzenden Knaben im He-<lb/>
raeum zu Olympia; und Plinius (34, 84) rühmt als vortrefflich<lb/>
einen Knaben, welcher eine Gans würgt, d. h. um den Hals<lb/>
gepackt hat: denn wahrscheinlich ist die in mehreren Wie-<lb/>
derholungen vorkommende Gruppe des Knaben, welcher eine<lb/>
Gans mit Gewalt zurückzuhalten strebt, auf des Boëthos Ori-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[500/0513]
Argument ist in unserem Falle von einer um so grösseren Be-
deutung, als die gemeinsame Eigenthümlichkeit beider Werke
gerade in der höchsten Anspannung aller Kräfte besteht, über
welche der Künstler zu gebieten vermag, auf einem solchen Hö-
hepunkte aber noch weniger, als sonst irgendwo, ein längerer
Stillstand nur denkbar ist. Werden nun endlich gar beide
Werke noch ausdrücklich auf ein gemeinsames Vaterland zu-
rückgeführt, so müssten in der That Beweise von der posi-
tivsten, schlagendsten Art beigebracht werden, wenn nur ein
Zweifel an ihrer Entstehung in einer und derselben Entwicke-
lungsepoche der Kunst ausgesprochen werden sollte.
Die übrigen Künstler dieser Periode.
Boëthos wird in den uns erhaltenen Handschriften des
Pausanias (V, 17, 1) Karthager genannt, woran wir nicht um-
hin können Anstoss zu nehmen. Da nun auch sonst Καρχη-
δόνιος und Χαλκηδόνιος in den Handschriften verwechselt wer-
den, so verdient gewiss die Vermuthung Müllers (Hdb. §. 159, 1)
mit Beifall aufgenommen zu werden, dass Boëthos vielmehr
aus der bithynischen Stadt Chalkedon stamme. Seine Zeit
lässt sich nur annähernd bestimmen. Als sein Werk nemlich
erwähnt Cicero (in Verr. IV, 14) eine vorzügliche Hydria
(praeclaro opere et grandi pondere), welche Verres dem Pam-
philos aus Lilybaeum raubte; dieser selbst aber hatte Cicero
erzählt, sie sei ein Familienerbstück und ihm a patre et a
maioribus hinterlassen. Hiernach konnte Boëthos mindestens
nicht später, als in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts
v. Chr. gelebt haben. Grossen Ruhm erwarb er durch toreu-
tische Werke, zu denen die oben genannte Hydria gehört.
Nach Plinius, welcher ihm nebst Akragas und Mys nach Men-
tor die erste Stelle anweist, befanden sich derartige Arbeiten
von seiner Hand beim Tempel der Athene zu Lindos: 33, 155.
Neben Alkon wird er in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex
(v. 66) genannt. Von statuarischen Werken sah Pausanias
(V, 17, 1) das vergoldete Bild eines sitzenden Knaben im He-
raeum zu Olympia; und Plinius (34, 84) rühmt als vortrefflich
einen Knaben, welcher eine Gans würgt, d. h. um den Hals
gepackt hat: denn wahrscheinlich ist die in mehreren Wie-
derholungen vorkommende Gruppe des Knaben, welcher eine
Gans mit Gewalt zurückzuhalten strebt, auf des Boëthos Ori-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/513>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.