Trotzdem aber würde die Schärfe in der Begrenzung des Plinius nicht zu entschuldigen sein, wenn sich nicht die that- sächlichen Verhältnisse wenigstens unter gewissen Gesichts- punkten damit in Uebereinstimmung setzen liessen. Nun fin- den wir in der That um die 121ste Ol. einen scharfen Ab- schnitt schon in der äusseren Geschichte der Kunst. Die Schu- len von Athen und sikyon-Argos, welche bisher nicht etwa nur ihr Leben fristeten, sondern unbedingt herrschten, ver- schwinden gänzlich vom Schauplatze; und wollen wir auch die Schroffheit dieses Satzes noch so sehr durch den Hinblick auf die Mangelhaftigkeit unserer Ueberlieferung mildern, immer dürfen wir so viel mit Zuversicht annehmen, dass weder in Athen, noch in Sikyon während der vorliegenden Periode Künstler lebten, welche durch ihre persönliche Bedeutung in die fernere Entwickelung selbstständig einzugreifen im Stande gewesen wären. Man wird, das lässt sich nicht leugnen, die Kunst noch ferner geübt haben, aber geübt in dem alten, ge- wohnten Geleise ohne eigenes Verdienst, als etwa das der Ausführung.
Fragen wir nun, wo jetzt die Kunst ihren Wohnsitz auf- schlug, so wollen wir, ehe wir diese Frage positiv beant- worten, noch eine andere, gleichfalls auffällige Erscheinung mehr negativer Art ins Auge fassen. Auf dem Gebiete des gei- stigen Lebens nimmt in dieser Periode unbedingt das Reich der Ptolemaeer mit Alexandria als Mittelpunkt die hervorragend- ste Stellung ein. Wie erklärt es sich da, dass neben den Häuptern der Wissenschaft und Litteratur auch nicht ein ein- ziger Künstler genannt wird (von den wenigen Malern sehen wir hier ab), durch welchen wenigstens die Existenz einer alexandrinischen Kunstschule oder doch Kunstübung bezeugt würde? wie erklärt sich dieses den übrigen historischen Nach- richten gegenüber, welche nicht nur von der Liebe der Ptole- maeer zur Wissenschaft, sondern auch zur Pracht, zum Luxus des Lebens, dem die Kunst dient, vielfältiges Zeugniss able- gen? Ich glaube die Antwort einfach und bestimmt dahin ab- geben zu können, dass in Aegypten eine einheimische Kunst seit Jahrtausenden geübt ward, und die Ptolemaeer, obwohl Hellenen, sich deshalb in ihren künstlerischen Unternehmungen den nationalen Ansprüchen fügen und sich begnügen mussten, eine Umgestaltung nur allmählich einzuleiten. Erhaltene Kunst-
Trotzdem aber würde die Schärfe in der Begrenzung des Plinius nicht zu entschuldigen sein, wenn sich nicht die that- sächlichen Verhältnisse wenigstens unter gewissen Gesichts- punkten damit in Uebereinstimmung setzen liessen. Nun fin- den wir in der That um die 121ste Ol. einen scharfen Ab- schnitt schon in der äusseren Geschichte der Kunst. Die Schu- len von Athen und sikyon-Argos, welche bisher nicht etwa nur ihr Leben fristeten, sondern unbedingt herrschten, ver- schwinden gänzlich vom Schauplatze; und wollen wir auch die Schroffheit dieses Satzes noch so sehr durch den Hinblick auf die Mangelhaftigkeit unserer Ueberlieferung mildern, immer dürfen wir so viel mit Zuversicht annehmen, dass weder in Athen, noch in Sikyon während der vorliegenden Periode Künstler lebten, welche durch ihre persönliche Bedeutung in die fernere Entwickelung selbstständig einzugreifen im Stande gewesen wären. Man wird, das lässt sich nicht leugnen, die Kunst noch ferner geübt haben, aber geübt in dem alten, ge- wohnten Geleise ohne eigenes Verdienst, als etwa das der Ausführung.
Fragen wir nun, wo jetzt die Kunst ihren Wohnsitz auf- schlug, so wollen wir, ehe wir diese Frage positiv beant- worten, noch eine andere, gleichfalls auffällige Erscheinung mehr negativer Art ins Auge fassen. Auf dem Gebiete des gei- stigen Lebens nimmt in dieser Periode unbedingt das Reich der Ptolemaeer mit Alexandria als Mittelpunkt die hervorragend- ste Stellung ein. Wie erklärt es sich da, dass neben den Häuptern der Wissenschaft und Litteratur auch nicht ein ein- ziger Künstler genannt wird (von den wenigen Malern sehen wir hier ab), durch welchen wenigstens die Existenz einer alexandrinischen Kunstschule oder doch Kunstübung bezeugt würde? wie erklärt sich dieses den übrigen historischen Nach- richten gegenüber, welche nicht nur von der Liebe der Ptole- maeer zur Wissenschaft, sondern auch zur Pracht, zum Luxus des Lebens, dem die Kunst dient, vielfältiges Zeugniss able- gen? Ich glaube die Antwort einfach und bestimmt dahin ab- geben zu können, dass in Aegypten eine einheimische Kunst seit Jahrtausenden geübt ward, und die Ptolemaeer, obwohl Hellenen, sich deshalb in ihren künstlerischen Unternehmungen den nationalen Ansprüchen fügen und sich begnügen mussten, eine Umgestaltung nur allmählich einzuleiten. Erhaltene Kunst-
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Trotzdem aber würde die Schärfe in der Begrenzung des
Plinius nicht zu entschuldigen sein, wenn sich nicht die that-
sächlichen Verhältnisse wenigstens unter gewissen Gesichts-
punkten damit in Uebereinstimmung setzen liessen. Nun fin-
den wir in der That um die 121ste Ol. einen scharfen Ab-
schnitt schon in der äusseren Geschichte der Kunst. Die Schu-
len von Athen und sikyon-Argos, welche bisher nicht etwa
nur ihr Leben fristeten, sondern unbedingt herrschten, ver-
schwinden gänzlich vom Schauplatze; und wollen wir auch
die Schroffheit dieses Satzes noch so sehr durch den Hinblick
auf die Mangelhaftigkeit unserer Ueberlieferung mildern, immer
dürfen wir so viel mit Zuversicht annehmen, dass weder in
Athen, noch in Sikyon während der vorliegenden Periode
Künstler lebten, welche durch ihre persönliche Bedeutung in
die fernere Entwickelung selbstständig einzugreifen im Stande
gewesen wären. Man wird, das lässt sich nicht leugnen, die
Kunst noch ferner geübt haben, aber geübt in dem alten, ge-
wohnten Geleise ohne eigenes Verdienst, als etwa das der
Ausführung.
Fragen wir nun, wo jetzt die Kunst ihren Wohnsitz auf-
schlug, so wollen wir, ehe wir diese Frage positiv beant-
worten, noch eine andere, gleichfalls auffällige Erscheinung
mehr negativer Art ins Auge fassen. Auf dem Gebiete des gei-
stigen Lebens nimmt in dieser Periode unbedingt das Reich
der Ptolemaeer mit Alexandria als Mittelpunkt die hervorragend-
ste Stellung ein. Wie erklärt es sich da, dass neben den
Häuptern der Wissenschaft und Litteratur auch nicht ein ein-
ziger Künstler genannt wird (von den wenigen Malern sehen
wir hier ab), durch welchen wenigstens die Existenz einer
alexandrinischen Kunstschule oder doch Kunstübung bezeugt
würde? wie erklärt sich dieses den übrigen historischen Nach-
richten gegenüber, welche nicht nur von der Liebe der Ptole-
maeer zur Wissenschaft, sondern auch zur Pracht, zum Luxus
des Lebens, dem die Kunst dient, vielfältiges Zeugniss able-
gen? Ich glaube die Antwort einfach und bestimmt dahin ab-
geben zu können, dass in Aegypten eine einheimische Kunst
seit Jahrtausenden geübt ward, und die Ptolemaeer, obwohl
Hellenen, sich deshalb in ihren künstlerischen Unternehmungen
den nationalen Ansprüchen fügen und sich begnügen mussten,
eine Umgestaltung nur allmählich einzuleiten. Erhaltene Kunst-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/518>, abgerufen am 24.11.2024.
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