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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Satyrn, welche, um als Griff zu dienen, in roher Weise auf
den Deckel ohne Rücksicht auf die Zeichnung desselben ge-
heftet ist. Dadurch wird es ungewiss, ob der Ausdruck med
fecit auf das Ganze oder allein auf die Deckelgruppe zu be-
ziehen ist. Dedit in der entsprechenden Inschrift können wir
nur von der Schenkung des Ganzen verstehen. Beide Inschrif-
ten aber erscheinen durchaus als gleichzeitig eingegraben, also
erst bei Beendigung des Ganzen. Nun finden sich in den gra-
virten Zeichnungen dieser Ciste zwar einige Nebendinge, wie
ein Halsband mit der Bulla, ein Armband, eine Art der Be-
schuhung, aus welchen deutlich hervorgeht, dass dieselben in
Italien entstanden sein müssen. Dennoch aber zeugt der Styl,
die Erfindung und die Zeichnung von dem reinsten und edelsten
griechischen Geiste. In den freistehenden Figuren des Deckels
dagegen, so wie in den Reliefs der angesetzten Füsse ist Alles,
ich will nicht sagen etruskisch, aber rein italisch. Unmöglich
kann ich also hier denen beistimmen, welche Ciste, Deckel
und Füsse als das Werk einer und derselben Hand anerkennen
wollen; und es bleibt mir nur eine doppelte Annahme übrig: ent-
weder erwarb der Künstler der Deckelgruppe die Platte mit den
gravirten Zeichnungen, oder umgekehrt, der Zeichner kaufte
die unabhängig von seinem Werke bestehende Gruppe und die
Füsse schon fertig, und setzte seinen Namen auf diese, weil
sich dort gerade ein passender Raum darbot. Wie dem aber
auch sein möge, immer ist es nicht wahrscheinlich, dass das
Ganze aus Stücken zusammengesetzt sei, welche der Zeit ih-
rer Entstehung nach in durchaus verschiedene Epochen ge-
hörten, und wir gewinnen dadurch das Resultat, dass um
das Jahr 500 d. St. in Rom zwei durchaus verschiedene Rich-
tungen der Kunst, eine nationale und eine griechische, sich
um die Herrschaft stritten. Wenn nun Mommsen (bei Jahn
S. 61) wahrscheinlich gemacht hat, dass Novius Plautius ein
Campaner war, also einer Provinz angehörte, in welcher der
griechische Geist selbst zur Zeit der Römer seinen Einfluss
behauptete, so werden wir uns der Ansicht zuneigen müssen,
dass er der Künstler nicht der Deckelgruppe, sondern der gra-
virten Zeichnung war, und in Rom, wo er arbeitete, das Bei-
werk erwarb, wie er es gerade vorräthig fand. Dafür spricht
auch vielleicht noch der Umstand, dass nicht einmal zwischen
dem Style der Deckelgruppe und der Reliefs am Fusse eine

Satyrn, welche, um als Griff zu dienen, in roher Weise auf
den Deckel ohne Rücksicht auf die Zeichnung desselben ge-
heftet ist. Dadurch wird es ungewiss, ob der Ausdruck med
fecit auf das Ganze oder allein auf die Deckelgruppe zu be-
ziehen ist. Dedit in der entsprechenden Inschrift können wir
nur von der Schenkung des Ganzen verstehen. Beide Inschrif-
ten aber erscheinen durchaus als gleichzeitig eingegraben, also
erst bei Beendigung des Ganzen. Nun finden sich in den gra-
virten Zeichnungen dieser Ciste zwar einige Nebendinge, wie
ein Halsband mit der Bulla, ein Armband, eine Art der Be-
schuhung, aus welchen deutlich hervorgeht, dass dieselben in
Italien entstanden sein müssen. Dennoch aber zeugt der Styl,
die Erfindung und die Zeichnung von dem reinsten und edelsten
griechischen Geiste. In den freistehenden Figuren des Deckels
dagegen, so wie in den Reliefs der angesetzten Füsse ist Alles,
ich will nicht sagen etruskisch, aber rein italisch. Unmöglich
kann ich also hier denen beistimmen, welche Ciste, Deckel
und Füsse als das Werk einer und derselben Hand anerkennen
wollen; und es bleibt mir nur eine doppelte Annahme übrig: ent-
weder erwarb der Künstler der Deckelgruppe die Platte mit den
gravirten Zeichnungen, oder umgekehrt, der Zeichner kaufte
die unabhängig von seinem Werke bestehende Gruppe und die
Füsse schon fertig, und setzte seinen Namen auf diese, weil
sich dort gerade ein passender Raum darbot. Wie dem aber
auch sein möge, immer ist es nicht wahrscheinlich, dass das
Ganze aus Stücken zusammengesetzt sei, welche der Zeit ih-
rer Entstehung nach in durchaus verschiedene Epochen ge-
hörten, und wir gewinnen dadurch das Resultat, dass um
das Jahr 500 d. St. in Rom zwei durchaus verschiedene Rich-
tungen der Kunst, eine nationale und eine griechische, sich
um die Herrschaft stritten. Wenn nun Mommsen (bei Jahn
S. 61) wahrscheinlich gemacht hat, dass Novius Plautius ein
Campaner war, also einer Provinz angehörte, in welcher der
griechische Geist selbst zur Zeit der Römer seinen Einfluss
behauptete, so werden wir uns der Ansicht zuneigen müssen,
dass er der Künstler nicht der Deckelgruppe, sondern der gra-
virten Zeichnung war, und in Rom, wo er arbeitete, das Bei-
werk erwarb, wie er es gerade vorräthig fand. Dafür spricht
auch vielleicht noch der Umstand, dass nicht einmal zwischen
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[532/0545] Satyrn, welche, um als Griff zu dienen, in roher Weise auf den Deckel ohne Rücksicht auf die Zeichnung desselben ge- heftet ist. Dadurch wird es ungewiss, ob der Ausdruck med fecit auf das Ganze oder allein auf die Deckelgruppe zu be- ziehen ist. Dedit in der entsprechenden Inschrift können wir nur von der Schenkung des Ganzen verstehen. Beide Inschrif- ten aber erscheinen durchaus als gleichzeitig eingegraben, also erst bei Beendigung des Ganzen. Nun finden sich in den gra- virten Zeichnungen dieser Ciste zwar einige Nebendinge, wie ein Halsband mit der Bulla, ein Armband, eine Art der Be- schuhung, aus welchen deutlich hervorgeht, dass dieselben in Italien entstanden sein müssen. Dennoch aber zeugt der Styl, die Erfindung und die Zeichnung von dem reinsten und edelsten griechischen Geiste. In den freistehenden Figuren des Deckels dagegen, so wie in den Reliefs der angesetzten Füsse ist Alles, ich will nicht sagen etruskisch, aber rein italisch. Unmöglich kann ich also hier denen beistimmen, welche Ciste, Deckel und Füsse als das Werk einer und derselben Hand anerkennen wollen; und es bleibt mir nur eine doppelte Annahme übrig: ent- weder erwarb der Künstler der Deckelgruppe die Platte mit den gravirten Zeichnungen, oder umgekehrt, der Zeichner kaufte die unabhängig von seinem Werke bestehende Gruppe und die Füsse schon fertig, und setzte seinen Namen auf diese, weil sich dort gerade ein passender Raum darbot. Wie dem aber auch sein möge, immer ist es nicht wahrscheinlich, dass das Ganze aus Stücken zusammengesetzt sei, welche der Zeit ih- rer Entstehung nach in durchaus verschiedene Epochen ge- hörten, und wir gewinnen dadurch das Resultat, dass um das Jahr 500 d. St. in Rom zwei durchaus verschiedene Rich- tungen der Kunst, eine nationale und eine griechische, sich um die Herrschaft stritten. Wenn nun Mommsen (bei Jahn S. 61) wahrscheinlich gemacht hat, dass Novius Plautius ein Campaner war, also einer Provinz angehörte, in welcher der griechische Geist selbst zur Zeit der Römer seinen Einfluss behauptete, so werden wir uns der Ansicht zuneigen müssen, dass er der Künstler nicht der Deckelgruppe, sondern der gra- virten Zeichnung war, und in Rom, wo er arbeitete, das Bei- werk erwarb, wie er es gerade vorräthig fand. Dafür spricht auch vielleicht noch der Umstand, dass nicht einmal zwischen dem Style der Deckelgruppe und der Reliefs am Fusse eine

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/545>, abgerufen am 23.11.2024.