Aus allen diesen einzelnen Bemerkungen wird sich jetzt ein allgemeines Resultat leicht ziehen lassen: es gilt von dem formellen Theile der Kunstübung dieser späteren Attiker das- selbe, was wir über ihr poetisch-künstlerisches Schaffen be- merkt haben. Sie befinden sich durchaus in Abhängigkeit von den Leistungen der früheren Zeit; und die ausgezeichnetsten unter ihnen sind noch gerade diejenigen, welche sich dieser Abhängigkeit klar bewusst geworden sind und freiwillig darauf verzichtet haben, sich derselben zu entziehen. Was sie ge- leistet haben, darf immer als eine vortreffliche Nachblüthe der schönsten Epoche attischer Kunst gelten; und zu einer Zeit, als die Werke der letzteren noch nicht bekannt waren, konnte sie mit vollem Rechte als ein Ersatz betrachtet werden, um das Wesen der attischen Kunst wenigstens nach seinen Grund- principien und in seinen hauptsächlichsten Vorzügen kennen zu lernen. Die Anstrengungen Einzelner, ihren Werken ein selbstständigeres Verdienst zu verleihen, scheinen auf die all- gemeine Richtung dieser attischen Kunstschule ohne wesentli- chen Einfluss geblieben zu sein, ja haben nicht einmal in den einzelnen Fällen den Erfolg gehabt, etwas eigentlich Neues und Eigenthümliches ans Licht zu fördern. Sie gehen viel- mehr nur darauf aus, in bestimmten schon vorhandenen Rich- tungen die Leistungen der Früheren zu überbieten, das Zarte zarter, das Kräftige kräftiger zu bilden, in der Durchführung allen Einzelnheiten dieselbe Sorgfalt zu widmen u. s. w. Aber gerade diese Versuche zeigen häufig, wie nach und nach das feinere Gefühl immer mehr schwindet und eine rein äusserliche und materielle Auffassung um sich greift. Im zweiten Jahr- hundert n. Ch. verlieren wir jede Spur dieser Schule. Es ist möglich, dass sie noch länger ihr Dasein gefristet hat; aber bei dem allgemeinen Verfall kann auch ihr Loos, selbst wenn sie sich vor barocken Ausschweifungen bewahrte, doch nur ein stets wachsendes Siechthum und endlich gänzliche Verfla- chung gewesen sein.
Kleinasiatische Künstler in Italien.
Die Familie des Agasias.
Das erste Glied dieser Künstlerfamilie, deren Heimath Ephesos war, ist uns nur durch eine ausserhalb Italien gefun- dene Inschrift bekannt:
Aus allen diesen einzelnen Bemerkungen wird sich jetzt ein allgemeines Resultat leicht ziehen lassen: es gilt von dem formellen Theile der Kunstübung dieser späteren Attiker das- selbe, was wir über ihr poetisch-künstlerisches Schaffen be- merkt haben. Sie befinden sich durchaus in Abhängigkeit von den Leistungen der früheren Zeit; und die ausgezeichnetsten unter ihnen sind noch gerade diejenigen, welche sich dieser Abhängigkeit klar bewusst geworden sind und freiwillig darauf verzichtet haben, sich derselben zu entziehen. Was sie ge- leistet haben, darf immer als eine vortreffliche Nachblüthe der schönsten Epoche attischer Kunst gelten; und zu einer Zeit, als die Werke der letzteren noch nicht bekannt waren, konnte sie mit vollem Rechte als ein Ersatz betrachtet werden, um das Wesen der attischen Kunst wenigstens nach seinen Grund- principien und in seinen hauptsächlichsten Vorzügen kennen zu lernen. Die Anstrengungen Einzelner, ihren Werken ein selbstständigeres Verdienst zu verleihen, scheinen auf die all- gemeine Richtung dieser attischen Kunstschule ohne wesentli- chen Einfluss geblieben zu sein, ja haben nicht einmal in den einzelnen Fällen den Erfolg gehabt, etwas eigentlich Neues und Eigenthümliches ans Licht zu fördern. Sie gehen viel- mehr nur darauf aus, in bestimmten schon vorhandenen Rich- tungen die Leistungen der Früheren zu überbieten, das Zarte zarter, das Kräftige kräftiger zu bilden, in der Durchführung allen Einzelnheiten dieselbe Sorgfalt zu widmen u. s. w. Aber gerade diese Versuche zeigen häufig, wie nach und nach das feinere Gefühl immer mehr schwindet und eine rein äusserliche und materielle Auffassung um sich greift. Im zweiten Jahr- hundert n. Ch. verlieren wir jede Spur dieser Schule. Es ist möglich, dass sie noch länger ihr Dasein gefristet hat; aber bei dem allgemeinen Verfall kann auch ihr Loos, selbst wenn sie sich vor barocken Ausschweifungen bewahrte, doch nur ein stets wachsendes Siechthum und endlich gänzliche Verfla- chung gewesen sein.
Kleinasiatische Künstler in Italien.
Die Familie des Agasias.
Das erste Glied dieser Künstlerfamilie, deren Heimath Ephesos war, ist uns nur durch eine ausserhalb Italien gefun- dene Inschrift bekannt:
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[570/0583]
Aus allen diesen einzelnen Bemerkungen wird sich jetzt
ein allgemeines Resultat leicht ziehen lassen: es gilt von dem
formellen Theile der Kunstübung dieser späteren Attiker das-
selbe, was wir über ihr poetisch-künstlerisches Schaffen be-
merkt haben. Sie befinden sich durchaus in Abhängigkeit von
den Leistungen der früheren Zeit; und die ausgezeichnetsten
unter ihnen sind noch gerade diejenigen, welche sich dieser
Abhängigkeit klar bewusst geworden sind und freiwillig darauf
verzichtet haben, sich derselben zu entziehen. Was sie ge-
leistet haben, darf immer als eine vortreffliche Nachblüthe der
schönsten Epoche attischer Kunst gelten; und zu einer Zeit,
als die Werke der letzteren noch nicht bekannt waren, konnte
sie mit vollem Rechte als ein Ersatz betrachtet werden, um
das Wesen der attischen Kunst wenigstens nach seinen Grund-
principien und in seinen hauptsächlichsten Vorzügen kennen zu
lernen. Die Anstrengungen Einzelner, ihren Werken ein
selbstständigeres Verdienst zu verleihen, scheinen auf die all-
gemeine Richtung dieser attischen Kunstschule ohne wesentli-
chen Einfluss geblieben zu sein, ja haben nicht einmal in den
einzelnen Fällen den Erfolg gehabt, etwas eigentlich Neues
und Eigenthümliches ans Licht zu fördern. Sie gehen viel-
mehr nur darauf aus, in bestimmten schon vorhandenen Rich-
tungen die Leistungen der Früheren zu überbieten, das Zarte
zarter, das Kräftige kräftiger zu bilden, in der Durchführung
allen Einzelnheiten dieselbe Sorgfalt zu widmen u. s. w. Aber
gerade diese Versuche zeigen häufig, wie nach und nach das
feinere Gefühl immer mehr schwindet und eine rein äusserliche
und materielle Auffassung um sich greift. Im zweiten Jahr-
hundert n. Ch. verlieren wir jede Spur dieser Schule. Es ist
möglich, dass sie noch länger ihr Dasein gefristet hat; aber
bei dem allgemeinen Verfall kann auch ihr Loos, selbst wenn
sie sich vor barocken Ausschweifungen bewahrte, doch nur
ein stets wachsendes Siechthum und endlich gänzliche Verfla-
chung gewesen sein.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/583>, abgerufen am 22.11.2024.
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