dass Parrhasios nie mit widerwilliger Stimmung an die Arbeit gegangen sei, sondern stets nach heiterer Laune gestrebt und darum z. B. während der Arbeit gern gesungen habe: so recht im Gegensatz zu Protogenes, von dem uns Plinius sagt, dass er sich beim Malen des Jalysos sogar auf eine sehr karge Diät gesetzt habe, um seinen Geist von den Einflüssen des Kör- pers möglichst frei zu erhalten. Während deshalb in dem Ernste und der Gründlichkeit mit diesem sich niemand ver- gleichen konnte, fanden wir das Verdienst des Parrhasios auch sonst in einer jenem Naturell entsprechenden künst- lerischen Befähigung begründet. Wir bewunderten nicht die Tiefe der Auffassung, welche ihren Gegenstand nach allen Seiten hin geistig durchdringt, sondern erkannten seine Ei- genthümlichkeit in der Schärfe der Beobachtung, welche sich zwar bis auf die grössten Feinheiten des psychologischen Ausdrucks erstreckt, aber zunächst von der äussern Erschei- nung ausgeht. Diese zu erfassen, erfordert jedoch nicht so- wohl tiefes Studium, als vornehmlich einen freien, offenen Sinn, welcher sich den Dingen unbefangen hingiebt, sie nach allen Seiten hin in ihrer Eigenthümlichkeit belauscht, und mit derselben Frische, mit welcher er die Eindrücke erhalten, sie auch wieder in das Kunstwerk überträgt. Einen solchen Sinn wird sich aber der Künstler am besten bewahren, wenn er selbst dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit und Bewegt- heit nicht fern steht, wenn er die Menschen nicht nur nach ihren Tugenden, sondern auch nach ihren Fehlern und selbst ihren Lastern zu beobachten häufige Gelegenheit hat. Be- trachten wir die Eigenthümlichkeiten des Parrhasios unter diesem Gesichtspunkte, so werden wir zugeben müssen, dass sie dadurch nicht nur an sich ihre Erklärung finden, sondern dass sie sich zu einem Charakter zusammenschliessen, dessen Einheit nicht minder auf seinen Mängeln, als auf seinen Vorzügen beruht.
Timanthes.
Thimanthes findet hier einen passenden Platz, um uns zur Schule von Sikyon überzuleiten. Sein Wettstreit in Samos mit Parrhasios, ein anderer mit Kolotes von Teos 1)
1) Quintil. II, 13.
dass Parrhasios nie mit widerwilliger Stimmung an die Arbeit gegangen sei, sondern stets nach heiterer Laune gestrebt und darum z. B. während der Arbeit gern gesungen habe: so recht im Gegensatz zu Protogenes, von dem uns Plinius sagt, dass er sich beim Malen des Jalysos sogar auf eine sehr karge Diät gesetzt habe, um seinen Geist von den Einflüssen des Kör- pers möglichst frei zu erhalten. Während deshalb in dem Ernste und der Gründlichkeit mit diesem sich niemand ver- gleichen konnte, fanden wir das Verdienst des Parrhasios auch sonst in einer jenem Naturell entsprechenden künst- lerischen Befähigung begründet. Wir bewunderten nicht die Tiefe der Auffassung, welche ihren Gegenstand nach allen Seiten hin geistig durchdringt, sondern erkannten seine Ei- genthümlichkeit in der Schärfe der Beobachtung, welche sich zwar bis auf die grössten Feinheiten des psychologischen Ausdrucks erstreckt, aber zunächst von der äussern Erschei- nung ausgeht. Diese zu erfassen, erfordert jedoch nicht so- wohl tiefes Studium, als vornehmlich einen freien, offenen Sinn, welcher sich den Dingen unbefangen hingiebt, sie nach allen Seiten hin in ihrer Eigenthümlichkeit belauscht, und mit derselben Frische, mit welcher er die Eindrücke erhalten, sie auch wieder in das Kunstwerk überträgt. Einen solchen Sinn wird sich aber der Künstler am besten bewahren, wenn er selbst dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit und Bewegt- heit nicht fern steht, wenn er die Menschen nicht nur nach ihren Tugenden, sondern auch nach ihren Fehlern und selbst ihren Lastern zu beobachten häufige Gelegenheit hat. Be- trachten wir die Eigenthümlichkeiten des Parrhasios unter diesem Gesichtspunkte, so werden wir zugeben müssen, dass sie dadurch nicht nur an sich ihre Erklärung finden, sondern dass sie sich zu einem Charakter zusammenschliessen, dessen Einheit nicht minder auf seinen Mängeln, als auf seinen Vorzügen beruht.
Timanthes.
Thimanthes findet hier einen passenden Platz, um uns zur Schule von Sikyon überzuleiten. Sein Wettstreit in Samos mit Parrhasios, ein anderer mit Kolotes von Teos 1)
1) Quintil. II, 13.
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dass Parrhasios nie mit widerwilliger Stimmung an die Arbeit
gegangen sei, sondern stets nach heiterer Laune gestrebt und
darum z. B. während der Arbeit gern gesungen habe: so recht im
Gegensatz zu Protogenes, von dem uns Plinius sagt, dass er
sich beim Malen des Jalysos sogar auf eine sehr karge Diät
gesetzt habe, um seinen Geist von den Einflüssen des Kör-
pers möglichst frei zu erhalten. Während deshalb in dem
Ernste und der Gründlichkeit mit diesem sich niemand ver-
gleichen konnte, fanden wir das Verdienst des Parrhasios
auch sonst in einer jenem Naturell entsprechenden künst-
lerischen Befähigung begründet. Wir bewunderten nicht die
Tiefe der Auffassung, welche ihren Gegenstand nach allen
Seiten hin geistig durchdringt, sondern erkannten seine Ei-
genthümlichkeit in der Schärfe der Beobachtung, welche sich
zwar bis auf die grössten Feinheiten des psychologischen
Ausdrucks erstreckt, aber zunächst von der äussern Erschei-
nung ausgeht. Diese zu erfassen, erfordert jedoch nicht so-
wohl tiefes Studium, als vornehmlich einen freien, offenen
Sinn, welcher sich den Dingen unbefangen hingiebt, sie nach
allen Seiten hin in ihrer Eigenthümlichkeit belauscht, und mit
derselben Frische, mit welcher er die Eindrücke erhalten, sie
auch wieder in das Kunstwerk überträgt. Einen solchen
Sinn wird sich aber der Künstler am besten bewahren, wenn
er selbst dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit und Bewegt-
heit nicht fern steht, wenn er die Menschen nicht nur nach
ihren Tugenden, sondern auch nach ihren Fehlern und selbst
ihren Lastern zu beobachten häufige Gelegenheit hat. Be-
trachten wir die Eigenthümlichkeiten des Parrhasios unter
diesem Gesichtspunkte, so werden wir zugeben müssen, dass
sie dadurch nicht nur an sich ihre Erklärung finden, sondern
dass sie sich zu einem Charakter zusammenschliessen, dessen
Einheit nicht minder auf seinen Mängeln, als auf seinen
Vorzügen beruht.
Timanthes.
Thimanthes findet hier einen passenden Platz, um uns
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/128>, abgerufen am 27.11.2024.
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