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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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übergehen mussten. Seine Eigenthümlichkeit aber vermochten
wir nicht sowohl in einer kühnen Genialität zu finden, als
in dem Streben nach allseitiger vollendeter Durchbildung,
wie sie nur das Resultat gründlicher, mit dem klaren Be-
wusstsein ihres Zweckes unternommener Studien sein konnte.
Dadurch ward er der erste, welcher seiner Kunst eine theo-
retische Grundlage zu geben versuchte und in seinem Kanon
mit dem vollsten Erfolge gab. Die Feststellung möglichst
allgemein gültiger Proportionen des menschlichen Körpers,
welche ihm verdankt wurde, beruhte aber auf der Unter-
suchung von Raum- und Zahlenverhältnissen; und wenn da-
her Pamphilos das Studium der Arithmetik und Geometrie
als unentbehrlich für den Maler hinstellt, so ist er im Prin-
cip durchaus nur der Nachfolger des Polyklet.

Dennoch aber bleibt ihm immer noch ein bedeutendes
selbstständiges Verdienst, indem bei der Uebertragung eines
bereits in einer Kunstgattung zur Anwendung gekommenen
Princips auf ein davon verschiedenes Gebiet sich auch noth-
wendig andere Anforderungen geltend machen, deren Befrie-
digung zum Theil auf durchaus neuen Gesichtspunkten be-
ruht. Es genügt, einfach auf den Gegensatz zwischen pla-
stischer und malerischer Darstellung hinzuweisen, um anzu-
deuten, wie Pamphilos, wenngleich von Polyklet angeregt
und von durchaus verwandten geistigen Grundanschauungen
ausgehend, doch in der Ausbildung und Anwendung seiner
Theorien von seinem Vorbilde unabhängig sein konnte, ja in vie-
len Beziehungen sein musste. Wie dem auch sei, immer bleibt
die Stellung des Pamphilos in der Malerei der des Polyklet in der
Plastik durchaus analog. Wie es das Verdienst des letztern war,
die höchste Reinheit der Form erstrebt und deren Besitz der
Plastik auf lange Zeit gesichert zu haben, so gebührt dem
Pamphilos derselbe Ruhm für die Malerei. Es ist äus-
serst bezeichnend, wenn Plutarch 1) von dem Ruhme der si-
kyonischen khrestographia spricht, der tüchtigen, soliden Male-
rei, in welcher allein das Schöne unverdorben zu finden sei.
Denn eben darin, nicht blos selbst Tüchtiges hervorgebracht,
sondern auch andern die Mittel dargeboten zu haben, Aehn-
liches zu leisten, die reine Schönheit zu erhalten und zu

1) Arat. 13.

übergehen mussten. Seine Eigenthümlichkeit aber vermochten
wir nicht sowohl in einer kühnen Genialität zu finden, als
in dem Streben nach allseitiger vollendeter Durchbildung,
wie sie nur das Resultat gründlicher, mit dem klaren Be-
wusstsein ihres Zweckes unternommener Studien sein konnte.
Dadurch ward er der erste, welcher seiner Kunst eine theo-
retische Grundlage zu geben versuchte und in seinem Kanon
mit dem vollsten Erfolge gab. Die Feststellung möglichst
allgemein gültiger Proportionen des menschlichen Körpers,
welche ihm verdankt wurde, beruhte aber auf der Unter-
suchung von Raum- und Zahlenverhältnissen; und wenn da-
her Pamphilos das Studium der Arithmetik und Geometrie
als unentbehrlich für den Maler hinstellt, so ist er im Prin-
cip durchaus nur der Nachfolger des Polyklet.

Dennoch aber bleibt ihm immer noch ein bedeutendes
selbstständiges Verdienst, indem bei der Uebertragung eines
bereits in einer Kunstgattung zur Anwendung gekommenen
Princips auf ein davon verschiedenes Gebiet sich auch noth-
wendig andere Anforderungen geltend machen, deren Befrie-
digung zum Theil auf durchaus neuen Gesichtspunkten be-
ruht. Es genügt, einfach auf den Gegensatz zwischen pla-
stischer und malerischer Darstellung hinzuweisen, um anzu-
deuten, wie Pamphilos, wenngleich von Polyklet angeregt
und von durchaus verwandten geistigen Grundanschauungen
ausgehend, doch in der Ausbildung und Anwendung seiner
Theorien von seinem Vorbilde unabhängig sein konnte, ja in vie-
len Beziehungen sein musste. Wie dem auch sei, immer bleibt
die Stellung des Pamphilos in der Malerei der des Polyklet in der
Plastik durchaus analog. Wie es das Verdienst des letztern war,
die höchste Reinheit der Form erstrebt und deren Besitz der
Plastik auf lange Zeit gesichert zu haben, so gebührt dem
Pamphilos derselbe Ruhm für die Malerei. Es ist äus-
serst bezeichnend, wenn Plutarch 1) von dem Ruhme der si-
kyonischen χϱηστογϱαφία spricht, der tüchtigen, soliden Male-
rei, in welcher allein das Schöne unverdorben zu finden sei.
Denn eben darin, nicht blos selbst Tüchtiges hervorgebracht,
sondern auch andern die Mittel dargeboten zu haben, Aehn-
liches zu leisten, die reine Schönheit zu erhalten und zu

1) Arat. 13.
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[140/0148] übergehen mussten. Seine Eigenthümlichkeit aber vermochten wir nicht sowohl in einer kühnen Genialität zu finden, als in dem Streben nach allseitiger vollendeter Durchbildung, wie sie nur das Resultat gründlicher, mit dem klaren Be- wusstsein ihres Zweckes unternommener Studien sein konnte. Dadurch ward er der erste, welcher seiner Kunst eine theo- retische Grundlage zu geben versuchte und in seinem Kanon mit dem vollsten Erfolge gab. Die Feststellung möglichst allgemein gültiger Proportionen des menschlichen Körpers, welche ihm verdankt wurde, beruhte aber auf der Unter- suchung von Raum- und Zahlenverhältnissen; und wenn da- her Pamphilos das Studium der Arithmetik und Geometrie als unentbehrlich für den Maler hinstellt, so ist er im Prin- cip durchaus nur der Nachfolger des Polyklet. Dennoch aber bleibt ihm immer noch ein bedeutendes selbstständiges Verdienst, indem bei der Uebertragung eines bereits in einer Kunstgattung zur Anwendung gekommenen Princips auf ein davon verschiedenes Gebiet sich auch noth- wendig andere Anforderungen geltend machen, deren Befrie- digung zum Theil auf durchaus neuen Gesichtspunkten be- ruht. Es genügt, einfach auf den Gegensatz zwischen pla- stischer und malerischer Darstellung hinzuweisen, um anzu- deuten, wie Pamphilos, wenngleich von Polyklet angeregt und von durchaus verwandten geistigen Grundanschauungen ausgehend, doch in der Ausbildung und Anwendung seiner Theorien von seinem Vorbilde unabhängig sein konnte, ja in vie- len Beziehungen sein musste. Wie dem auch sei, immer bleibt die Stellung des Pamphilos in der Malerei der des Polyklet in der Plastik durchaus analog. Wie es das Verdienst des letztern war, die höchste Reinheit der Form erstrebt und deren Besitz der Plastik auf lange Zeit gesichert zu haben, so gebührt dem Pamphilos derselbe Ruhm für die Malerei. Es ist äus- serst bezeichnend, wenn Plutarch 1) von dem Ruhme der si- kyonischen χϱηστογϱαφία spricht, der tüchtigen, soliden Male- rei, in welcher allein das Schöne unverdorben zu finden sei. Denn eben darin, nicht blos selbst Tüchtiges hervorgebracht, sondern auch andern die Mittel dargeboten zu haben, Aehn- liches zu leisten, die reine Schönheit zu erhalten und zu 1) Arat. 13.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/148>, abgerufen am 22.11.2024.