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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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nun trotzdem das Uebergewicht über alle andern bewahrte,
so beweist dies zunächst freilich nur die Vortrefflichkeit
ihrer Grundlagen, zugleich aber auch indirect den Mangel
an Ernst und Strenge in den Bestrebungen ihrer Nebenbuh-
ler. Leider sind wir ausser Stande, diese Behauptung noch
weiter und im Einzelnen durchzuführen. Denn die Nach-
richten über ihre Werke beschränken sich meist auf die
blosse Angabe des Inhaltes ihrer Darstellung, ohne auf die
Charakteristik der geistigen Auffassung irgendwie einzugehen.
Im Allgemeinen scheint nur so viel aus ihnen zu ergeben,
dass namentlich diejenige Richtung der Kunstübung sich einer
besondern Begünstigung zu erfreuen hatte, als deren Haupt-
vertreter wir am Ende der vorigen Periode den vielseitigen
Antiphilos kennen lernten. Sie suchte die lebendigen, be-
wegten Aeusserungen des Lebens in den verschiedensten
Beziehungen, sei es in seiner rein materiellen Thätigkeit, sei
es in geistiger oder affectvoller Erregung zu erfassen. Nach
der einen Seite hin führt dies zu reiner Genrebildung, für
deren Gedeihen einige Werke rhodischer Künstler, das Ma-
leratelier mit dem Feuer anblasenden Knaben von Philiskos,
die Walkerwerkstatt Quinquatrusfeier 1) von Simos, Zeug-
niss ablegen. Auf der anderen Seite erklärt sich daraus
das Vorwiegen gewisser Arten von mythologischen Darstel-
lungen. Man wählte Scenen, welche eine lebendige Entfal-
tung der Handlung zuliessen: die Befreiung der Andromeda
oder des Prometheus, Herakles, der vom ötäischen Scheiter-
haufen zum Olymp aufsteigt, des Herakles Streit mit Lao-
medon, Danae von Seeräubern bewundert; mit noch grös-
serer Vorliebe aber wandte man sich der Bearbeitung sol-
cher Momente zu, die schon an sich bei dem Beschauer die
lebhafteste Aufregung, Furcht und Entsetzen, hervorrufen
mussten. Gemälde, wie die der Aerope, der Klytaemnestra,
des Eteokles, Kapaneus, verdankten ihren Ruf gewiss der
Gewalt des ihnen inwohnenden tragischen Pathos. Daneben
mochte allerdings auch die entgegengesetzte Kunstrichtung,
welche weniger in der Handlung, als in einer vollendeten
Durchführung ihr Verdienst suchte, ihre Verehrer finden.

1) Dass Beides in einem und demselben Bilde dargestellt war, vermu-
thet, wie ich nachträglich bemerke, O. Jahn, arch. Zeit. 1854, S. 191.

nun trotzdem das Uebergewicht über alle andern bewahrte,
so beweist dies zunächst freilich nur die Vortrefflichkeit
ihrer Grundlagen, zugleich aber auch indirect den Mangel
an Ernst und Strenge in den Bestrebungen ihrer Nebenbuh-
ler. Leider sind wir ausser Stande, diese Behauptung noch
weiter und im Einzelnen durchzuführen. Denn die Nach-
richten über ihre Werke beschränken sich meist auf die
blosse Angabe des Inhaltes ihrer Darstellung, ohne auf die
Charakteristik der geistigen Auffassung irgendwie einzugehen.
Im Allgemeinen scheint nur so viel aus ihnen zu ergeben,
dass namentlich diejenige Richtung der Kunstübung sich einer
besondern Begünstigung zu erfreuen hatte, als deren Haupt-
vertreter wir am Ende der vorigen Periode den vielseitigen
Antiphilos kennen lernten. Sie suchte die lebendigen, be-
wegten Aeusserungen des Lebens in den verschiedensten
Beziehungen, sei es in seiner rein materiellen Thätigkeit, sei
es in geistiger oder affectvoller Erregung zu erfassen. Nach
der einen Seite hin führt dies zu reiner Genrebildung, für
deren Gedeihen einige Werke rhodischer Künstler, das Ma-
leratelier mit dem Feuer anblasenden Knaben von Philiskos,
die Walkerwerkstatt Quinquatrusfeier 1) von Simos, Zeug-
niss ablegen. Auf der anderen Seite erklärt sich daraus
das Vorwiegen gewisser Arten von mythologischen Darstel-
lungen. Man wählte Scenen, welche eine lebendige Entfal-
tung der Handlung zuliessen: die Befreiung der Andromeda
oder des Prometheus, Herakles, der vom ötäischen Scheiter-
haufen zum Olymp aufsteigt, des Herakles Streit mit Lao-
medon, Danae von Seeräubern bewundert; mit noch grös-
serer Vorliebe aber wandte man sich der Bearbeitung sol-
cher Momente zu, die schon an sich bei dem Beschauer die
lebhafteste Aufregung, Furcht und Entsetzen, hervorrufen
mussten. Gemälde, wie die der Aerope, der Klytaemnestra,
des Eteokles, Kapaneus, verdankten ihren Ruf gewiss der
Gewalt des ihnen inwohnenden tragischen Pathos. Daneben
mochte allerdings auch die entgegengesetzte Kunstrichtung,
welche weniger in der Handlung, als in einer vollendeten
Durchführung ihr Verdienst suchte, ihre Verehrer finden.

1) Dass Beides in einem und demselben Bilde dargestellt war, vermu-
thet, wie ich nachträglich bemerke, O. Jahn, arch. Zeit. 1854, S. 191.
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[297/0305] nun trotzdem das Uebergewicht über alle andern bewahrte, so beweist dies zunächst freilich nur die Vortrefflichkeit ihrer Grundlagen, zugleich aber auch indirect den Mangel an Ernst und Strenge in den Bestrebungen ihrer Nebenbuh- ler. Leider sind wir ausser Stande, diese Behauptung noch weiter und im Einzelnen durchzuführen. Denn die Nach- richten über ihre Werke beschränken sich meist auf die blosse Angabe des Inhaltes ihrer Darstellung, ohne auf die Charakteristik der geistigen Auffassung irgendwie einzugehen. Im Allgemeinen scheint nur so viel aus ihnen zu ergeben, dass namentlich diejenige Richtung der Kunstübung sich einer besondern Begünstigung zu erfreuen hatte, als deren Haupt- vertreter wir am Ende der vorigen Periode den vielseitigen Antiphilos kennen lernten. Sie suchte die lebendigen, be- wegten Aeusserungen des Lebens in den verschiedensten Beziehungen, sei es in seiner rein materiellen Thätigkeit, sei es in geistiger oder affectvoller Erregung zu erfassen. Nach der einen Seite hin führt dies zu reiner Genrebildung, für deren Gedeihen einige Werke rhodischer Künstler, das Ma- leratelier mit dem Feuer anblasenden Knaben von Philiskos, die Walkerwerkstatt Quinquatrusfeier 1) von Simos, Zeug- niss ablegen. Auf der anderen Seite erklärt sich daraus das Vorwiegen gewisser Arten von mythologischen Darstel- lungen. Man wählte Scenen, welche eine lebendige Entfal- tung der Handlung zuliessen: die Befreiung der Andromeda oder des Prometheus, Herakles, der vom ötäischen Scheiter- haufen zum Olymp aufsteigt, des Herakles Streit mit Lao- medon, Danae von Seeräubern bewundert; mit noch grös- serer Vorliebe aber wandte man sich der Bearbeitung sol- cher Momente zu, die schon an sich bei dem Beschauer die lebhafteste Aufregung, Furcht und Entsetzen, hervorrufen mussten. Gemälde, wie die der Aerope, der Klytaemnestra, des Eteokles, Kapaneus, verdankten ihren Ruf gewiss der Gewalt des ihnen inwohnenden tragischen Pathos. Daneben mochte allerdings auch die entgegengesetzte Kunstrichtung, welche weniger in der Handlung, als in einer vollendeten Durchführung ihr Verdienst suchte, ihre Verehrer finden. 1) Dass Beides in einem und demselben Bilde dargestellt war, vermu- thet, wie ich nachträglich bemerke, O. Jahn, arch. Zeit. 1854, S. 191.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/305>, abgerufen am 24.11.2024.