stimmten Styl gewonnen; es gilt nun zunächst nicht mehr, neue Formen aufzustellen, sondern auf der Grundlage des Gewonnenen das Einzelne auszubilden oder in neuen Ver- bindungen anzuwenden. Je bestimmter aber die Grundregel, um so wichtiger ist es, dass sie sicher zu allgemeinerem Gebrauche überliefert werde; und aus diesem Grunde wage ich die Ueberlieferung des Alterthums nicht in Zweifel zu ziehen, welche bereits dem Theodoros, so wie dem Cher- siphron und Metagenes Schriften über jene grossen Tempel- bauten beilegt.
Ganz anderer Art, als diese letzteren, war ein Werk, welches nicht weniger die Bewunderung des Herodot er- regte, und daher sicher der älteren Zeit angehörte, die Was- serleitung auf Samos, von Eupalinos aus Megara ausge- führt, vielleicht unter der Regierung des Polykrates, durch den sich Samos einer hohen Blüthe erfreute. Freilich dürfen wir ein solches Werk nicht nach dem Maassstab unserer heutigen Technik messen, und auch in den späteren Zeiten des Alterthums würde es kaum als etwas so Ausserordent- liches hervorgehoben werden, wie von Herodot; so wie wir denn auch in der That bei keinem späteren Schriftsteller ir- gend eine Erwähnung davon finden. Seinen Ruhm verdient es indessen als das erste in seiner Art. Wenn sich nun hier, wo es sich weniger um künstlerische Schönheit, als um Ueberwindung technischer Schwierigkeiten handelte, der Name des Architekten im Gedächtnisse der nächstfolgenden Ge- schlechter erhielt, so dürfen wir wohl daran erinnern, wie auch der Erfindungen des Chersiphron und Metagenes, ver- möge deren sie die Säulen und das Gebälk aus den Stein- brüchen transportirten und das Gebälk in die richtige Lage brachten, mit besonderem Lobe gedacht wird. Wir erkennen daraus, dass wir es jetzt noch mit einer Zeit zu thun haben, welche es dem Künstler noch nicht gestattet, seine Aufmerk- samkeit ausschliesslich der Ausbildung der künstlerischen Form zuzuwenden, sondern ihn zwingt, stets die Ausführbar- keit seiner Pläne ins Auge zu fassen und die ihr entgegen- stehenden materiellen oder technischen Hindernisse aus dem Wege zu räumen.
Die Thätigkeit des Theodoros in Sparta, und umgekehrt die des Eupalinos in Samos weist uns auf einen lebhaften
stimmten Styl gewonnen; es gilt nun zunächst nicht mehr, neue Formen aufzustellen, sondern auf der Grundlage des Gewonnenen das Einzelne auszubilden oder in neuen Ver- bindungen anzuwenden. Je bestimmter aber die Grundregel, um so wichtiger ist es, dass sie sicher zu allgemeinerem Gebrauche überliefert werde; und aus diesem Grunde wage ich die Ueberlieferung des Alterthums nicht in Zweifel zu ziehen, welche bereits dem Theodoros, so wie dem Cher- siphron und Metagenes Schriften über jene grossen Tempel- bauten beilegt.
Ganz anderer Art, als diese letzteren, war ein Werk, welches nicht weniger die Bewunderung des Herodot er- regte, und daher sicher der älteren Zeit angehörte, die Was- serleitung auf Samos, von Eupalinos aus Megara ausge- führt, vielleicht unter der Regierung des Polykrates, durch den sich Samos einer hohen Blüthe erfreute. Freilich dürfen wir ein solches Werk nicht nach dem Maassstab unserer heutigen Technik messen, und auch in den späteren Zeiten des Alterthums würde es kaum als etwas so Ausserordent- liches hervorgehoben werden, wie von Herodot; so wie wir denn auch in der That bei keinem späteren Schriftsteller ir- gend eine Erwähnung davon finden. Seinen Ruhm verdient es indessen als das erste in seiner Art. Wenn sich nun hier, wo es sich weniger um künstlerische Schönheit, als um Ueberwindung technischer Schwierigkeiten handelte, der Name des Architekten im Gedächtnisse der nächstfolgenden Ge- schlechter erhielt, so dürfen wir wohl daran erinnern, wie auch der Erfindungen des Chersiphron und Metagenes, ver- möge deren sie die Säulen und das Gebälk aus den Stein- brüchen transportirten und das Gebälk in die richtige Lage brachten, mit besonderem Lobe gedacht wird. Wir erkennen daraus, dass wir es jetzt noch mit einer Zeit zu thun haben, welche es dem Künstler noch nicht gestattet, seine Aufmerk- samkeit ausschliesslich der Ausbildung der künstlerischen Form zuzuwenden, sondern ihn zwingt, stets die Ausführbar- keit seiner Pläne ins Auge zu fassen und die ihr entgegen- stehenden materiellen oder technischen Hindernisse aus dem Wege zu räumen.
Die Thätigkeit des Theodoros in Sparta, und umgekehrt die des Eupalinos in Samos weist uns auf einen lebhaften
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stimmten Styl gewonnen; es gilt nun zunächst nicht mehr,
neue Formen aufzustellen, sondern auf der Grundlage des
Gewonnenen das Einzelne auszubilden oder in neuen Ver-
bindungen anzuwenden. Je bestimmter aber die Grundregel,
um so wichtiger ist es, dass sie sicher zu allgemeinerem
Gebrauche überliefert werde; und aus diesem Grunde wage
ich die Ueberlieferung des Alterthums nicht in Zweifel zu
ziehen, welche bereits dem Theodoros, so wie dem Cher-
siphron und Metagenes Schriften über jene grossen Tempel-
bauten beilegt.
Ganz anderer Art, als diese letzteren, war ein Werk,
welches nicht weniger die Bewunderung des Herodot er-
regte, und daher sicher der älteren Zeit angehörte, die Was-
serleitung auf Samos, von Eupalinos aus Megara ausge-
führt, vielleicht unter der Regierung des Polykrates, durch
den sich Samos einer hohen Blüthe erfreute. Freilich dürfen
wir ein solches Werk nicht nach dem Maassstab unserer
heutigen Technik messen, und auch in den späteren Zeiten
des Alterthums würde es kaum als etwas so Ausserordent-
liches hervorgehoben werden, wie von Herodot; so wie wir
denn auch in der That bei keinem späteren Schriftsteller ir-
gend eine Erwähnung davon finden. Seinen Ruhm verdient
es indessen als das erste in seiner Art. Wenn sich nun hier,
wo es sich weniger um künstlerische Schönheit, als um
Ueberwindung technischer Schwierigkeiten handelte, der Name
des Architekten im Gedächtnisse der nächstfolgenden Ge-
schlechter erhielt, so dürfen wir wohl daran erinnern, wie
auch der Erfindungen des Chersiphron und Metagenes, ver-
möge deren sie die Säulen und das Gebälk aus den Stein-
brüchen transportirten und das Gebälk in die richtige Lage
brachten, mit besonderem Lobe gedacht wird. Wir erkennen
daraus, dass wir es jetzt noch mit einer Zeit zu thun haben,
welche es dem Künstler noch nicht gestattet, seine Aufmerk-
samkeit ausschliesslich der Ausbildung der künstlerischen
Form zuzuwenden, sondern ihn zwingt, stets die Ausführbar-
keit seiner Pläne ins Auge zu fassen und die ihr entgegen-
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/333>, abgerufen am 27.11.2024.
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