läufig ab, so konnte der Künstler seine Tüchtigkeit nur in der Zusammenstellung der Farben, nicht in ihrer Verar- beitung unter einander zeigen, hauptsächlich aber in der Zeichnung. Diese beruht jedoch bei dieser Gattung der Malerei auf der Feinheit und dem Schwunge wirklicher Li- nien. Mag nun der Künstler immerhin zum Ziehen derselben sich des Pinsels als Werkzeug bedienen, so ist doch die Anwendung desselben nur eine einseitige: die eigentliche Farbe trägt er mit der Fläche des Pinsels auf; die Linien zieht er mit der Spitze. Dieses Verfahren aber gestaltet sich gänzlich um, sobald Schattengebung eintritt: denn als- dann müssen die wirklichen Linien verschwinden, und es giebt eigentlich nur noch Begrenzungen von Flächen, deren mannigfache Eigenthümlichkeiten nur durch die mannigfachste Anwendung des technischen Werkzeuges wiedergegeben wer- den können. Hier also beginnt der Ruhm des Pinsels: der Auftrag der Farben, die Begrenzung der Formen, die Ver- treibung der Töne in einander, die Angabe von Licht und Schatten, die gesammte Ausführung ist Werk des Pinsels. Mit dieser Auffassung können wir vergleichen, was Dionys von Halikarnass 1) über den Unterschied der älteren und neueren Malerei bemerkt. Die älteren Gemälde sind nach ihm einfach in der Farbe behandelt, und zeigen keine Man- nigfaltigkeit (poikhilian) in den Mischungen, sind aber sorgsam und genau in der Zeichnung (akhribeis tais grammais) und haben darin viel Einnehmendes; die Späteren dagegen sind weniger gut gezeichnet, aber weit mehr ausgeführt, voll Abwechse- lung in Licht und Schatten, und haben in der Menge der Mischungen ihre Stärke. Dieses vergleichende Urtheil will aber offenbar ganz dasselbe sagen, was Plinius bezeichnet, indem er erst nach Polygnot die Malerei durch die Herr- schaft des Pinsels zur Blüthe gelangen lässt.
Nachdem auf diese Weise der eine Unterschied zwischen der älteren und neueren Malerei festgestellt ist, wenden wir uns zu dem zweiten Gegensatze, welcher in des Plinius Worten ausgesprochen liegt: vor Apollodor gebe es keine tabula, welche das Auge zu fesseln vermöge. Dieses Urtheil wäre vielleicht das ungerechteste, welches je über Kunst
1) Isaeus p. 104 Sylb.
läufig ab, so konnte der Künstler seine Tüchtigkeit nur in der Zusammenstellung der Farben, nicht in ihrer Verar- beitung unter einander zeigen, hauptsächlich aber in der Zeichnung. Diese beruht jedoch bei dieser Gattung der Malerei auf der Feinheit und dem Schwunge wirklicher Li- nien. Mag nun der Künstler immerhin zum Ziehen derselben sich des Pinsels als Werkzeug bedienen, so ist doch die Anwendung desselben nur eine einseitige: die eigentliche Farbe trägt er mit der Fläche des Pinsels auf; die Linien zieht er mit der Spitze. Dieses Verfahren aber gestaltet sich gänzlich um, sobald Schattengebung eintritt: denn als- dann müssen die wirklichen Linien verschwinden, und es giebt eigentlich nur noch Begrenzungen von Flächen, deren mannigfache Eigenthümlichkeiten nur durch die mannigfachste Anwendung des technischen Werkzeuges wiedergegeben wer- den können. Hier also beginnt der Ruhm des Pinsels: der Auftrag der Farben, die Begrenzung der Formen, die Ver- treibung der Töne in einander, die Angabe von Licht und Schatten, die gesammte Ausführung ist Werk des Pinsels. Mit dieser Auffassung können wir vergleichen, was Dionys von Halikarnass 1) über den Unterschied der älteren und neueren Malerei bemerkt. Die älteren Gemälde sind nach ihm einfach in der Farbe behandelt, und zeigen keine Man- nigfaltigkeit (ποιχιλίαν) in den Mischungen, sind aber sorgsam und genau in der Zeichnung (ἀχϱιβεῖς ταῖς γϱαμμαῖς) und haben darin viel Einnehmendes; die Späteren dagegen sind weniger gut gezeichnet, aber weit mehr ausgeführt, voll Abwechse- lung in Licht und Schatten, und haben in der Menge der Mischungen ihre Stärke. Dieses vergleichende Urtheil will aber offenbar ganz dasselbe sagen, was Plinius bezeichnet, indem er erst nach Polygnot die Malerei durch die Herr- schaft des Pinsels zur Blüthe gelangen lässt.
Nachdem auf diese Weise der eine Unterschied zwischen der älteren und neueren Malerei festgestellt ist, wenden wir uns zu dem zweiten Gegensatze, welcher in des Plinius Worten ausgesprochen liegt: vor Apollodor gebe es keine tabula, welche das Auge zu fesseln vermöge. Dieses Urtheil wäre vielleicht das ungerechteste, welches je über Kunst
1) Isaeus p. 104 Sylb.
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[60/0068]
läufig ab, so konnte der Künstler seine Tüchtigkeit nur
in der Zusammenstellung der Farben, nicht in ihrer Verar-
beitung unter einander zeigen, hauptsächlich aber in der
Zeichnung. Diese beruht jedoch bei dieser Gattung der
Malerei auf der Feinheit und dem Schwunge wirklicher Li-
nien. Mag nun der Künstler immerhin zum Ziehen derselben
sich des Pinsels als Werkzeug bedienen, so ist doch die
Anwendung desselben nur eine einseitige: die eigentliche
Farbe trägt er mit der Fläche des Pinsels auf; die Linien
zieht er mit der Spitze. Dieses Verfahren aber gestaltet
sich gänzlich um, sobald Schattengebung eintritt: denn als-
dann müssen die wirklichen Linien verschwinden, und es
giebt eigentlich nur noch Begrenzungen von Flächen, deren
mannigfache Eigenthümlichkeiten nur durch die mannigfachste
Anwendung des technischen Werkzeuges wiedergegeben wer-
den können. Hier also beginnt der Ruhm des Pinsels: der
Auftrag der Farben, die Begrenzung der Formen, die Ver-
treibung der Töne in einander, die Angabe von Licht und
Schatten, die gesammte Ausführung ist Werk des Pinsels.
Mit dieser Auffassung können wir vergleichen, was Dionys
von Halikarnass 1) über den Unterschied der älteren und
neueren Malerei bemerkt. Die älteren Gemälde sind nach
ihm einfach in der Farbe behandelt, und zeigen keine Man-
nigfaltigkeit (ποιχιλίαν) in den Mischungen, sind aber sorgsam
und genau in der Zeichnung (ἀχϱιβεῖς ταῖς γϱαμμαῖς) und haben
darin viel Einnehmendes; die Späteren dagegen sind weniger
gut gezeichnet, aber weit mehr ausgeführt, voll Abwechse-
lung in Licht und Schatten, und haben in der Menge der
Mischungen ihre Stärke. Dieses vergleichende Urtheil will
aber offenbar ganz dasselbe sagen, was Plinius bezeichnet,
indem er erst nach Polygnot die Malerei durch die Herr-
schaft des Pinsels zur Blüthe gelangen lässt.
Nachdem auf diese Weise der eine Unterschied zwischen
der älteren und neueren Malerei festgestellt ist, wenden wir
uns zu dem zweiten Gegensatze, welcher in des Plinius
Worten ausgesprochen liegt: vor Apollodor gebe es keine
tabula, welche das Auge zu fesseln vermöge. Dieses Urtheil
wäre vielleicht das ungerechteste, welches je über Kunst
1) Isaeus p. 104 Sylb.
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/68>, abgerufen am 23.11.2024.
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