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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Schattenmalers erhielt: skiagraphos. 1) Erst hierdurch war die
Möglichkeit der Neuerung gegeben, welche Plinius durch
die Worte: species exprimere bezeichnet. Die Bedeutung
dieses Ausdruckes, welcher freilich erst bei einer richtigen
Auffassung des ganzen Entwickelungsganges seine Erklärung
zu finden vermochte, ist bisher keineswegs genügend gewür-
digt worden. Wir dürfen natürlich das Wort species hier
nicht in seinem Gegensatze zu genus fassen. Vielmehr
müssen wir die Bedeutung festhalten, welche besonders in
dem Adjectivum speciosus ausschliesslicher hervortritt: mu-
lier speciosa; corpora speciosa atque robusta; senex cultu
non proinde speciosus; si plenior aliquis et speciosior et co-
loratior factus est (vgl. Forcellini s. v.) In allen diesen Bei-
spielen bezieht sich speciosus auf das Aeussere der Erschei-
nung, abgesehen von dem Stoffe und der Form, worauf die-
selbe beruht. Die gleiche Bedeutung hat aber auch das Sub-
stantivum species bewahrt, so bei Cicero de off. III, 20:
species, forma et notio boni viri; orat. 14: excellentis elo-
quentiae speciem et formam adumbrare, speciem das, wo-
durch sie sich äusserlich geltend macht, formam, die Gliede-
rung und Gestaltung, welche die Voraussetzung zu der äus-
serlich glänzenden Erscheinung bildet; in Verr. III, 22: vidi
forum adornatum ad speciem magnifico ornatu, ad sensum
cogitationemque acerbo et lugubri; ähnlich bei Vitruv III, 2:
eustyli ratio et ad usum et ad speciem et ad firmitatem ra-
tiones habet explicatas; endlich bei Plinius selbst VII, 53:
Magno Pompeio Vibius et Publicius indiscreta prope specie
fuere similes. Wir sehen hieraus, dass species stets dasjenige
an einem Gegenstande bezeichnet, was äusserlich auf die
Sinne wirkt, oder mit andern Worten: was die Illusion her-
vorbringt. 2) Diese beruht aber in der Malerei durchaus auf
der Wirkung von Licht und Schatten. Nach dieser Illusion
strebte Polygnot noch keineswegs; er stellte seine Gestalten
nach ihrer geistigen Bedeutung dar, welche ihren Ausdruck

1) Schol. ad Hiad. k, 265; Hesych. v. v. skia.
2) Der Ausdruck spe-
cies ist also keineswegs unbestimmt, wie ihn Jahn in den Ber. der sächs.
Ges. 1850, S. 139 nennt. Das griechische Wort, welches Plinius hier über-
setzte, ist offenbar eide: ein Kunstausdruck, welcher den vortrefflichsten Gegen-
satz zu skhemata bildet. Der Anstoss, welchen der Plural erregen könnte,
hebt sich durch die Vergleichung von §. 128: Euphranor -- videtur expres-
sisse dignitates heroum.

Schattenmalers erhielt: σκιαγϱάφος. 1) Erst hierdurch war die
Möglichkeit der Neuerung gegeben, welche Plinius durch
die Worte: species exprimere bezeichnet. Die Bedeutung
dieses Ausdruckes, welcher freilich erst bei einer richtigen
Auffassung des ganzen Entwickelungsganges seine Erklärung
zu finden vermochte, ist bisher keineswegs genügend gewür-
digt worden. Wir dürfen natürlich das Wort species hier
nicht in seinem Gegensatze zu genus fassen. Vielmehr
müssen wir die Bedeutung festhalten, welche besonders in
dem Adjectivum speciosus ausschliesslicher hervortritt: mu-
lier speciosa; corpora speciosa atque robusta; senex cultu
non proinde speciosus; si plenior aliquis et speciosior et co-
loratior factus est (vgl. Forcellini s. v.) In allen diesen Bei-
spielen bezieht sich speciosus auf das Aeussere der Erschei-
nung, abgesehen von dem Stoffe und der Form, worauf die-
selbe beruht. Die gleiche Bedeutung hat aber auch das Sub-
stantivum species bewahrt, so bei Cicero de off. III, 20:
species, forma et notio boni viri; orat. 14: excellentis elo-
quentiae speciem et formam adumbrare, speciem das, wo-
durch sie sich äusserlich geltend macht, formam, die Gliede-
rung und Gestaltung, welche die Voraussetzung zu der äus-
serlich glänzenden Erscheinung bildet; in Verr. III, 22: vidi
forum adornatum ad speciem magnifico ornatu, ad sensum
cogitationemque acerbo et lugubri; ähnlich bei Vitruv III, 2:
eustyli ratio et ad usum et ad speciem et ad firmitatem ra-
tiones habet explicatas; endlich bei Plinius selbst VII, 53:
Magno Pompeio Vibius et Publicius indiscreta prope specie
fuere similes. Wir sehen hieraus, dass species stets dasjenige
an einem Gegenstande bezeichnet, was äusserlich auf die
Sinne wirkt, oder mit andern Worten: was die Illusion her-
vorbringt. 2) Diese beruht aber in der Malerei durchaus auf
der Wirkung von Licht und Schatten. Nach dieser Illusion
strebte Polygnot noch keineswegs; er stellte seine Gestalten
nach ihrer geistigen Bedeutung dar, welche ihren Ausdruck

1) Schol. ad Hiad. κ, 265; Hesych. v. v. σκιά.
2) Der Ausdruck spe-
cies ist also keineswegs unbestimmt, wie ihn Jahn in den Ber. der sächs.
Ges. 1850, S. 139 nennt. Das griechische Wort, welches Plinius hier über-
setzte, ist offenbar εἴδη: ein Kunstausdruck, welcher den vortrefflichsten Gegen-
satz zu σχήματα bildet. Der Anstoss, welchen der Plural erregen könnte,
hebt sich durch die Vergleichung von §. 128: Euphranor — videtur expres-
sisse dignitates heroum.
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[72/0080] Schattenmalers erhielt: σκιαγϱάφος. 1) Erst hierdurch war die Möglichkeit der Neuerung gegeben, welche Plinius durch die Worte: species exprimere bezeichnet. Die Bedeutung dieses Ausdruckes, welcher freilich erst bei einer richtigen Auffassung des ganzen Entwickelungsganges seine Erklärung zu finden vermochte, ist bisher keineswegs genügend gewür- digt worden. Wir dürfen natürlich das Wort species hier nicht in seinem Gegensatze zu genus fassen. Vielmehr müssen wir die Bedeutung festhalten, welche besonders in dem Adjectivum speciosus ausschliesslicher hervortritt: mu- lier speciosa; corpora speciosa atque robusta; senex cultu non proinde speciosus; si plenior aliquis et speciosior et co- loratior factus est (vgl. Forcellini s. v.) In allen diesen Bei- spielen bezieht sich speciosus auf das Aeussere der Erschei- nung, abgesehen von dem Stoffe und der Form, worauf die- selbe beruht. Die gleiche Bedeutung hat aber auch das Sub- stantivum species bewahrt, so bei Cicero de off. III, 20: species, forma et notio boni viri; orat. 14: excellentis elo- quentiae speciem et formam adumbrare, speciem das, wo- durch sie sich äusserlich geltend macht, formam, die Gliede- rung und Gestaltung, welche die Voraussetzung zu der äus- serlich glänzenden Erscheinung bildet; in Verr. III, 22: vidi forum adornatum ad speciem magnifico ornatu, ad sensum cogitationemque acerbo et lugubri; ähnlich bei Vitruv III, 2: eustyli ratio et ad usum et ad speciem et ad firmitatem ra- tiones habet explicatas; endlich bei Plinius selbst VII, 53: Magno Pompeio Vibius et Publicius indiscreta prope specie fuere similes. Wir sehen hieraus, dass species stets dasjenige an einem Gegenstande bezeichnet, was äusserlich auf die Sinne wirkt, oder mit andern Worten: was die Illusion her- vorbringt. 2) Diese beruht aber in der Malerei durchaus auf der Wirkung von Licht und Schatten. Nach dieser Illusion strebte Polygnot noch keineswegs; er stellte seine Gestalten nach ihrer geistigen Bedeutung dar, welche ihren Ausdruck 1) Schol. ad Hiad. κ, 265; Hesych. v. v. σκιά. 2) Der Ausdruck spe- cies ist also keineswegs unbestimmt, wie ihn Jahn in den Ber. der sächs. Ges. 1850, S. 139 nennt. Das griechische Wort, welches Plinius hier über- setzte, ist offenbar εἴδη: ein Kunstausdruck, welcher den vortrefflichsten Gegen- satz zu σχήματα bildet. Der Anstoss, welchen der Plural erregen könnte, hebt sich durch die Vergleichung von §. 128: Euphranor — videtur expres- sisse dignitates heroum.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/80>, abgerufen am 23.11.2024.