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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Beleg dafür, dass in der Kunst das Unmögliche, dem man
den Schein des Wahren gebe, dem Möglichen, aber Unwahr-
scheinlichen vorzuziehen sei, die Gemälde des Zeuxis an-
führt. Versuchen wir nur einmal, z. B. das Kentaurenge-
mälde nach seiner geistigen Bedeutung zu charakterisiren.
Wir vermögen ihm keine andere Bezeichnung beizulegen, als
die einer anmuthigen Familienscene, welcher der Künstler
einen erhöhten Reiz gerade erst dadurch beizulegen gewusst
hat, dass er auf das halb-thierische Geschlecht der Kentauren
rein menschliche Verhältnisse und Gefühle übertrug. In dem
Bilde des Pan ist der streng mythologische, um nicht zu
sagen, religiöse Charakter gänzlich verwischt und die Auf-
fassung eine rein idyllische geworden. Eben so tritt uns
bei dem schlangenwürgenden Herakles als das vorwiegende
künstlerische Motiv die Charakterisirung der augenblicklichen
Situation entgegen, das Staunen und der Schrecken des Va-
ters, der Mutter und ihrer Begleitung im Gegensatz zu der
Unbefangenheit des Knaben. Selbst in dem Bilde der Be-
strafung des Marsyas findet das allgemein menschliche Inter-
esse an der Handlung namentlich in dem Chore der Satyrn
einen sprechenden Ausdruck.

Die Bedeutung von Bezeichnungen, wie Historien-, Cha-
rakter-, Genremalereien ist nicht hinlänglich durch den Ge-
brauch abgegrenzt, um eine derselben auf die bisher betrach-
teten Werke des Zeuxis ohne Weiteres anzuwenden. Ver-
stehen wir aber unter Historienmalerei im strengen Sinne
diejenige, welche es mit historischen oder mythologischen
Persönlichkeiten von einer nur ihnen allein und ausschliess-
lich angehörigen und die Handlung bedingenden Individualität
zu thun hat, so gehen wir gewiss nicht zu weit, wenn wir
behaupten, dass dieser Gattung die Gemälde des Zeuxis
nicht zugezählt werden dürfen. Damit ist indessen keines-
wegs gesagt, dass ihm der Sinn für feine Charakterisirung
überhaupt gefehlt habe. Im Gegentheil würde ohne eine
solche selbst die glückliche Wahl der Situationen den gröss-
ten Theil ihres Werthes verloren haben. Nur führte ihn die
überwiegende Bedeutung dieser Letzteren dahin, die Durch-
führung der einzelnen Charaktere diesen Situationen unterzu-
ordnen, wodurch jene einen Theil ihrer besondern Persönlich-
keit einbüssen und sich mit einer mehr allgemeinen, gene-

Beleg dafür, dass in der Kunst das Unmögliche, dem man
den Schein des Wahren gebe, dem Möglichen, aber Unwahr-
scheinlichen vorzuziehen sei, die Gemälde des Zeuxis an-
führt. Versuchen wir nur einmal, z. B. das Kentaurenge-
mälde nach seiner geistigen Bedeutung zu charakterisiren.
Wir vermögen ihm keine andere Bezeichnung beizulegen, als
die einer anmuthigen Familienscene, welcher der Künstler
einen erhöhten Reiz gerade erst dadurch beizulegen gewusst
hat, dass er auf das halb-thierische Geschlecht der Kentauren
rein menschliche Verhältnisse und Gefühle übertrug. In dem
Bilde des Pan ist der streng mythologische, um nicht zu
sagen, religiöse Charakter gänzlich verwischt und die Auf-
fassung eine rein idyllische geworden. Eben so tritt uns
bei dem schlangenwürgenden Herakles als das vorwiegende
künstlerische Motiv die Charakterisirung der augenblicklichen
Situation entgegen, das Staunen und der Schrecken des Va-
ters, der Mutter und ihrer Begleitung im Gegensatz zu der
Unbefangenheit des Knaben. Selbst in dem Bilde der Be-
strafung des Marsyas findet das allgemein menschliche Inter-
esse an der Handlung namentlich in dem Chore der Satyrn
einen sprechenden Ausdruck.

Die Bedeutung von Bezeichnungen, wie Historien-, Cha-
rakter-, Genremalereien ist nicht hinlänglich durch den Ge-
brauch abgegrenzt, um eine derselben auf die bisher betrach-
teten Werke des Zeuxis ohne Weiteres anzuwenden. Ver-
stehen wir aber unter Historienmalerei im strengen Sinne
diejenige, welche es mit historischen oder mythologischen
Persönlichkeiten von einer nur ihnen allein und ausschliess-
lich angehörigen und die Handlung bedingenden Individualität
zu thun hat, so gehen wir gewiss nicht zu weit, wenn wir
behaupten, dass dieser Gattung die Gemälde des Zeuxis
nicht zugezählt werden dürfen. Damit ist indessen keines-
wegs gesagt, dass ihm der Sinn für feine Charakterisirung
überhaupt gefehlt habe. Im Gegentheil würde ohne eine
solche selbst die glückliche Wahl der Situationen den gröss-
ten Theil ihres Werthes verloren haben. Nur führte ihn die
überwiegende Bedeutung dieser Letzteren dahin, die Durch-
führung der einzelnen Charaktere diesen Situationen unterzu-
ordnen, wodurch jene einen Theil ihrer besondern Persönlich-
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[85/0093] Beleg dafür, dass in der Kunst das Unmögliche, dem man den Schein des Wahren gebe, dem Möglichen, aber Unwahr- scheinlichen vorzuziehen sei, die Gemälde des Zeuxis an- führt. Versuchen wir nur einmal, z. B. das Kentaurenge- mälde nach seiner geistigen Bedeutung zu charakterisiren. Wir vermögen ihm keine andere Bezeichnung beizulegen, als die einer anmuthigen Familienscene, welcher der Künstler einen erhöhten Reiz gerade erst dadurch beizulegen gewusst hat, dass er auf das halb-thierische Geschlecht der Kentauren rein menschliche Verhältnisse und Gefühle übertrug. In dem Bilde des Pan ist der streng mythologische, um nicht zu sagen, religiöse Charakter gänzlich verwischt und die Auf- fassung eine rein idyllische geworden. Eben so tritt uns bei dem schlangenwürgenden Herakles als das vorwiegende künstlerische Motiv die Charakterisirung der augenblicklichen Situation entgegen, das Staunen und der Schrecken des Va- ters, der Mutter und ihrer Begleitung im Gegensatz zu der Unbefangenheit des Knaben. Selbst in dem Bilde der Be- strafung des Marsyas findet das allgemein menschliche Inter- esse an der Handlung namentlich in dem Chore der Satyrn einen sprechenden Ausdruck. Die Bedeutung von Bezeichnungen, wie Historien-, Cha- rakter-, Genremalereien ist nicht hinlänglich durch den Ge- brauch abgegrenzt, um eine derselben auf die bisher betrach- teten Werke des Zeuxis ohne Weiteres anzuwenden. Ver- stehen wir aber unter Historienmalerei im strengen Sinne diejenige, welche es mit historischen oder mythologischen Persönlichkeiten von einer nur ihnen allein und ausschliess- lich angehörigen und die Handlung bedingenden Individualität zu thun hat, so gehen wir gewiss nicht zu weit, wenn wir behaupten, dass dieser Gattung die Gemälde des Zeuxis nicht zugezählt werden dürfen. Damit ist indessen keines- wegs gesagt, dass ihm der Sinn für feine Charakterisirung überhaupt gefehlt habe. Im Gegentheil würde ohne eine solche selbst die glückliche Wahl der Situationen den gröss- ten Theil ihres Werthes verloren haben. Nur führte ihn die überwiegende Bedeutung dieser Letzteren dahin, die Durch- führung der einzelnen Charaktere diesen Situationen unterzu- ordnen, wodurch jene einen Theil ihrer besondern Persönlich- keit einbüssen und sich mit einer mehr allgemeinen, gene-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/93>, abgerufen am 23.11.2024.