rischen Auffassung genügen lassen müssen. Unter diesem Gesichtspunkte werden wir nun unsere Aufmerksamkeit auf ein Urtheil lenken dürfen, welches man häufig als in offenem Widerspruche mit dem des Aristoteles stehend hat auffassen wollen. Plinius sagt nemlich, dass Zeuxis in dem Bilde der Penelope "mores pinxisse videtur." Man wollte daraus schliessen, dass Zeuxis wenigstens in diesem Bilde sich als Maler des Ethos bewährt haben müsse. Nun hat zwar schon Jahn 1) bemerkt, dass das Urtheil des Plinius einem griechi- schen Epigramme entnommen sein möge, in welchem es we- niger auf ein streng gefasstes Kunsturtheil, als auf eine schla- gende Pointe abgesehen war. Wir können ferner Jahn 2) auch in der Behauptung beistimmen: "dass Aristoteles und die Zeit, welcher er angehörte, über künstlerische Auffassung und Darstellung, namentlich über das sittliche Element der- selben, sehr verschieden empfanden und urtheilten von derje- nigen, aus welcher die Urtheile herstammen, welche uns Pli- nius überliefert, der alexandrinischen;" dass also die Spä- teren Ethos selbst da zu finden glauben konnten, wo Aristo- teles dessen Vorhandensein leugnet. Und wie schon hier- durch die Auctorität jenes Urtheils bei Plinius wesentlich bedingt erscheint, so glaube ich noch einen Schritt weiter zurückgehen und fragen zu müssen, ob denn Zeuxis über- haupt durch jenen Ausspruch als Maler des Ethos hingestellt werden soll. Denn Plinius sagt ja nicht: er malte das Ethos der Penelope, sondern: er malte unter ihrem Bilde mores, d. h. Strenge und Reinheit der Sitten. Der Ausdruck dieser Strenge und Reinheit, auf welchen gerade die tiefere geistige Eigenthümlichkeit, das Ethos der Penelope beruht, darf aller- dings in einem Bilde derselben unmöglich fehlen: dennoch aber lassen sich Darstellungen solcher Sittenreinheit denken, welche als Malerei des Ethos in dem Sinne, in welchem es Aristoteles als in den Werken des Polygnot vorhanden bezeichnet, noch keineswegs gelten dürften. Vergegenwär- tigen wir uns nur einmal das Bild der Penelope, wie sie in den bekannten statuarischen Werken in Nachdenken und Trauer versunken dasitzt und stellen diesem Bilde das Ge- mälde gegenüber, welches Philostrat 3) mehr beiläufig er-
1) Ber. d. sächs. Ges. 1850, S. 105 fg.
2) S. 117.
3) II, 28.
rischen Auffassung genügen lassen müssen. Unter diesem Gesichtspunkte werden wir nun unsere Aufmerksamkeit auf ein Urtheil lenken dürfen, welches man häufig als in offenem Widerspruche mit dem des Aristoteles stehend hat auffassen wollen. Plinius sagt nemlich, dass Zeuxis in dem Bilde der Penelope „mores pinxisse videtur.“ Man wollte daraus schliessen, dass Zeuxis wenigstens in diesem Bilde sich als Maler des Ethos bewährt haben müsse. Nun hat zwar schon Jahn 1) bemerkt, dass das Urtheil des Plinius einem griechi- schen Epigramme entnommen sein möge, in welchem es we- niger auf ein streng gefasstes Kunsturtheil, als auf eine schla- gende Pointe abgesehen war. Wir können ferner Jahn 2) auch in der Behauptung beistimmen: „dass Aristoteles und die Zeit, welcher er angehörte, über künstlerische Auffassung und Darstellung, namentlich über das sittliche Element der- selben, sehr verschieden empfanden und urtheilten von derje- nigen, aus welcher die Urtheile herstammen, welche uns Pli- nius überliefert, der alexandrinischen;“ dass also die Spä- teren Ethos selbst da zu finden glauben konnten, wo Aristo- teles dessen Vorhandensein leugnet. Und wie schon hier- durch die Auctorität jenes Urtheils bei Plinius wesentlich bedingt erscheint, so glaube ich noch einen Schritt weiter zurückgehen und fragen zu müssen, ob denn Zeuxis über- haupt durch jenen Ausspruch als Maler des Ethos hingestellt werden soll. Denn Plinius sagt ja nicht: er malte das Ethos der Penelope, sondern: er malte unter ihrem Bilde mores, d. h. Strenge und Reinheit der Sitten. Der Ausdruck dieser Strenge und Reinheit, auf welchen gerade die tiefere geistige Eigenthümlichkeit, das Ethos der Penelope beruht, darf aller- dings in einem Bilde derselben unmöglich fehlen: dennoch aber lassen sich Darstellungen solcher Sittenreinheit denken, welche als Malerei des Ethos in dem Sinne, in welchem es Aristoteles als in den Werken des Polygnot vorhanden bezeichnet, noch keineswegs gelten dürften. Vergegenwär- tigen wir uns nur einmal das Bild der Penelope, wie sie in den bekannten statuarischen Werken in Nachdenken und Trauer versunken dasitzt und stellen diesem Bilde das Ge- mälde gegenüber, welches Philostrat 3) mehr beiläufig er-
1) Ber. d. sächs. Ges. 1850, S. 105 fg.
2) S. 117.
3) II, 28.
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rischen Auffassung genügen lassen müssen. Unter diesem
Gesichtspunkte werden wir nun unsere Aufmerksamkeit auf
ein Urtheil lenken dürfen, welches man häufig als in offenem
Widerspruche mit dem des Aristoteles stehend hat auffassen
wollen. Plinius sagt nemlich, dass Zeuxis in dem Bilde der
Penelope „mores pinxisse videtur.“ Man wollte daraus
schliessen, dass Zeuxis wenigstens in diesem Bilde sich als
Maler des Ethos bewährt haben müsse. Nun hat zwar schon
Jahn 1) bemerkt, dass das Urtheil des Plinius einem griechi-
schen Epigramme entnommen sein möge, in welchem es we-
niger auf ein streng gefasstes Kunsturtheil, als auf eine schla-
gende Pointe abgesehen war. Wir können ferner Jahn 2)
auch in der Behauptung beistimmen: „dass Aristoteles und
die Zeit, welcher er angehörte, über künstlerische Auffassung
und Darstellung, namentlich über das sittliche Element der-
selben, sehr verschieden empfanden und urtheilten von derje-
nigen, aus welcher die Urtheile herstammen, welche uns Pli-
nius überliefert, der alexandrinischen;“ dass also die Spä-
teren Ethos selbst da zu finden glauben konnten, wo Aristo-
teles dessen Vorhandensein leugnet. Und wie schon hier-
durch die Auctorität jenes Urtheils bei Plinius wesentlich
bedingt erscheint, so glaube ich noch einen Schritt weiter
zurückgehen und fragen zu müssen, ob denn Zeuxis über-
haupt durch jenen Ausspruch als Maler des Ethos hingestellt
werden soll. Denn Plinius sagt ja nicht: er malte das Ethos
der Penelope, sondern: er malte unter ihrem Bilde mores,
d. h. Strenge und Reinheit der Sitten. Der Ausdruck dieser
Strenge und Reinheit, auf welchen gerade die tiefere geistige
Eigenthümlichkeit, das Ethos der Penelope beruht, darf aller-
dings in einem Bilde derselben unmöglich fehlen: dennoch
aber lassen sich Darstellungen solcher Sittenreinheit denken,
welche als Malerei des Ethos in dem Sinne, in welchem
es Aristoteles als in den Werken des Polygnot vorhanden
bezeichnet, noch keineswegs gelten dürften. Vergegenwär-
tigen wir uns nur einmal das Bild der Penelope, wie sie in
den bekannten statuarischen Werken in Nachdenken und
Trauer versunken dasitzt und stellen diesem Bilde das Ge-
mälde gegenüber, welches Philostrat 3) mehr beiläufig er-
1) Ber. d. sächs. Ges. 1850, S. 105 fg.
2) S. 117.
3) II, 28.
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/94>, abgerufen am 23.11.2024.
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