(oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können. Es lässt sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche unter den neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis erscheint bei Plinius als der eigentliche Begründer der Ma- lerei, Giotto galt lange und allgemein als deren Wiederher- steller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie Aristoteles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Poly- gnot nachgesetzt, hat Rumohr1) in den höheren geistigen Beziehungen den Giotto unter seine nächsten Vorgänger setzen zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit unan- gefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die Späteren stets bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung zu überbieten, so übernimmt derjenige eine schwierige Auf- gabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von dem falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrach- ter Enthusiasmus es überladen hat. Es gewinnt leicht den Anschein, als solle das wirkliche Verdienst mit ungerechtem Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser wesent- lich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe der Fassung ausgesprochen werden müssen, welche später einer Milderung fähig, ja bedürftig erscheinen mag, sobald nur erst die veränderte Grundanschauung eine allgemeine An- erkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen, obwohl jetzt niemand mehr leugnen wird, dass sie zu einer richtigeren Würdigung des Künstlers erst die Bahn gebrochen hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die in den bis- herigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis aus ähnlichen Ursachen Tadel erführe. Allein wo noch so wenig, wie bisher in der Geschichte der alten Malerei, versucht worden ist, die Gesammtmasse des Stoffes bestimmter zu glie- dern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die Gegensätze scharf hinzustellen, um auf diese Weise nur über- haupt erst eine klarere Einsicht möglich zu machen. Zeuxis, als das Haupt einer neueren Richtung, musste allerdings mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst Polygnot, dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem
1) Ital. Forsch. II, 39 fg.
(oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können. Es lässt sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche unter den neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis erscheint bei Plinius als der eigentliche Begründer der Ma- lerei, Giotto galt lange und allgemein als deren Wiederher- steller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie Aristoteles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Poly- gnot nachgesetzt, hat Rumohr1) in den höheren geistigen Beziehungen den Giotto unter seine nächsten Vorgänger setzen zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit unan- gefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die Späteren stets bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung zu überbieten, so übernimmt derjenige eine schwierige Auf- gabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von dem falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrach- ter Enthusiasmus es überladen hat. Es gewinnt leicht den Anschein, als solle das wirkliche Verdienst mit ungerechtem Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser wesent- lich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe der Fassung ausgesprochen werden müssen, welche später einer Milderung fähig, ja bedürftig erscheinen mag, sobald nur erst die veränderte Grundanschauung eine allgemeine An- erkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen, obwohl jetzt niemand mehr leugnen wird, dass sie zu einer richtigeren Würdigung des Künstlers erst die Bahn gebrochen hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die in den bis- herigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis aus ähnlichen Ursachen Tadel erführe. Allein wo noch so wenig, wie bisher in der Geschichte der alten Malerei, versucht worden ist, die Gesammtmasse des Stoffes bestimmter zu glie- dern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die Gegensätze scharf hinzustellen, um auf diese Weise nur über- haupt erst eine klarere Einsicht möglich zu machen. Zeuxis, als das Haupt einer neueren Richtung, musste allerdings mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst Polygnot, dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem
1) Ital. Forsch. II, 39 fg.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0111"n="94"/>
(oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können. Es lässt<lb/>
sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche<lb/>
unter den neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis<lb/>
erscheint bei Plinius als der eigentliche Begründer der Ma-<lb/>
lerei, Giotto galt lange und allgemein als deren Wiederher-<lb/>
steller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie<lb/>
Aristoteles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Poly-<lb/>
gnot nachgesetzt, hat Rumohr<noteplace="foot"n="1)">Ital. Forsch. II, 39 fg.</note> in den höheren geistigen<lb/>
Beziehungen den Giotto unter seine nächsten Vorgänger setzen<lb/>
zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit unan-<lb/>
gefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die<lb/>
Späteren stets bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung<lb/>
zu überbieten, so übernimmt derjenige eine schwierige Auf-<lb/>
gabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von dem<lb/>
falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrach-<lb/>
ter Enthusiasmus es überladen hat. Es gewinnt leicht den<lb/>
Anschein, als solle das wirkliche Verdienst mit ungerechtem<lb/>
Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser wesent-<lb/>
lich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe<lb/>
der Fassung ausgesprochen werden müssen, welche später<lb/>
einer Milderung fähig, ja bedürftig erscheinen mag, sobald<lb/>
nur erst die veränderte Grundanschauung eine allgemeine An-<lb/>
erkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des<lb/>
Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen,<lb/>
obwohl jetzt niemand mehr leugnen wird, dass sie zu einer<lb/>
richtigeren Würdigung des Künstlers erst die Bahn gebrochen<lb/>
hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die in den bis-<lb/>
herigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis<lb/>
aus ähnlichen Ursachen Tadel erführe. Allein wo noch so<lb/>
wenig, wie bisher in der Geschichte der alten Malerei, versucht<lb/>
worden ist, die Gesammtmasse des Stoffes bestimmter zu glie-<lb/>
dern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu<lb/>
trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die<lb/>
Gegensätze scharf hinzustellen, um auf diese Weise nur über-<lb/>
haupt erst eine klarere Einsicht möglich zu machen. Zeuxis,<lb/>
als das Haupt einer neueren Richtung, musste allerdings<lb/>
mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst<lb/>
Polygnot, dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0111]
(oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können. Es lässt
sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche
unter den neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis
erscheint bei Plinius als der eigentliche Begründer der Ma-
lerei, Giotto galt lange und allgemein als deren Wiederher-
steller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie
Aristoteles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Poly-
gnot nachgesetzt, hat Rumohr 1) in den höheren geistigen
Beziehungen den Giotto unter seine nächsten Vorgänger setzen
zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit unan-
gefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die
Späteren stets bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung
zu überbieten, so übernimmt derjenige eine schwierige Auf-
gabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von dem
falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrach-
ter Enthusiasmus es überladen hat. Es gewinnt leicht den
Anschein, als solle das wirkliche Verdienst mit ungerechtem
Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser wesent-
lich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe
der Fassung ausgesprochen werden müssen, welche später
einer Milderung fähig, ja bedürftig erscheinen mag, sobald
nur erst die veränderte Grundanschauung eine allgemeine An-
erkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des
Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen,
obwohl jetzt niemand mehr leugnen wird, dass sie zu einer
richtigeren Würdigung des Künstlers erst die Bahn gebrochen
hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die in den bis-
herigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis
aus ähnlichen Ursachen Tadel erführe. Allein wo noch so
wenig, wie bisher in der Geschichte der alten Malerei, versucht
worden ist, die Gesammtmasse des Stoffes bestimmter zu glie-
dern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu
trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die
Gegensätze scharf hinzustellen, um auf diese Weise nur über-
haupt erst eine klarere Einsicht möglich zu machen. Zeuxis,
als das Haupt einer neueren Richtung, musste allerdings
mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst
Polygnot, dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem
1) Ital. Forsch. II, 39 fg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/111>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.