Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

gehen mochte. So gefasst gewinnt der Gegensatz der beiden
Künstler für uns eine über ihre Persönlichkeit hinaus-
gehende historische Bedeutung; und in der That wird es
uns nicht an Veranlassung fehlen, im Verlauf der ferneren
Entwickelung auf denselben als Ausgangspunkt zurückzu-
kommen.

Theon.

Unter den sieben bedeutendsten Malern der Epoche
Alexanders nennt Quintilian1) endlich Theon von Samos als
ausgezeichnet "concipiendis visionibus, quas [fremdsprachliches Material - fehlt] vo-
cant," was später seine Erklärung finden wird. Plinius2)
führt ihn unter denjenigen Künstlern an, welche den ausge-
zeichnetsten dem Range nach am nächsten stehen, und nennt
als seine Werke das Bild des Kitharöden Thamyras und
"Orestis insaniam," d. i., wie wir aus Pseudo-Plutarch3)
erfahren, den Muttermord des Orestes. Ein drittes Werk
wird uns von Aelian4) allerdings in stark rhetorischer Fär-
bung, aber doch so beschrieben, dass wir dadurch am leich-
testen zum Verständniss des Urtheils bei Quintilian gelangen.
"Die Tüchtigkeit des Malers Theon wird, wie durch vieles
andere, so auch durch folgendes Gemälde verbürgt. Einen
Schwerbewaffneten stellt es vor, im Ausfalle begriffen
in dem Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und
das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll
Muth sieht der Jüngling aus, wie einer, der in die Schlacht
stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu sehen, wie von Ares
besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen hat
er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf
die Feinde loszustürzen. Schon hat er den Schild vorge-
worfen und schwingt das nackte Schwert wie ein Morden-
der; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem Auge,
und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand ver-
schonen werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts wei-
ter dargestellt, nicht einen Mitsoldaten, nicht einen Zugführer,
nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter, nicht einen Bogen-
schützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit, um die

1) XII, 10.
2) 35, 144.
3) de aud. poet. p. 18 A.
4) V. H.
II, 44.

gehen mochte. So gefasst gewinnt der Gegensatz der beiden
Künstler für uns eine über ihre Persönlichkeit hinaus-
gehende historische Bedeutung; und in der That wird es
uns nicht an Veranlassung fehlen, im Verlauf der ferneren
Entwickelung auf denselben als Ausgangspunkt zurückzu-
kommen.

Theon.

Unter den sieben bedeutendsten Malern der Epoche
Alexanders nennt Quintilian1) endlich Theon von Samos als
ausgezeichnet „concipiendis visionibus, quas [fremdsprachliches Material – fehlt] vo-
cant,‟ was später seine Erklärung finden wird. Plinius2)
führt ihn unter denjenigen Künstlern an, welche den ausge-
zeichnetsten dem Range nach am nächsten stehen, und nennt
als seine Werke das Bild des Kitharöden Thamyras und
Orestis insaniam,‟ d. i., wie wir aus Pseudo-Plutarch3)
erfahren, den Muttermord des Orestes. Ein drittes Werk
wird uns von Aelian4) allerdings in stark rhetorischer Fär-
bung, aber doch so beschrieben, dass wir dadurch am leich-
testen zum Verständniss des Urtheils bei Quintilian gelangen.
„Die Tüchtigkeit des Malers Theon wird, wie durch vieles
andere, so auch durch folgendes Gemälde verbürgt. Einen
Schwerbewaffneten stellt es vor, im Ausfalle begriffen
in dem Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und
das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll
Muth sieht der Jüngling aus, wie einer, der in die Schlacht
stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu sehen, wie von Ares
besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen hat
er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf
die Feinde loszustürzen. Schon hat er den Schild vorge-
worfen und schwingt das nackte Schwert wie ein Morden-
der; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem Auge,
und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand ver-
schonen werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts wei-
ter dargestellt, nicht einen Mitsoldaten, nicht einen Zugführer,
nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter, nicht einen Bogen-
schützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit, um die

1) XII, 10.
2) 35, 144.
3) de aud. poet. p. 18 A.
4) V. H.
II, 44.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0269" n="252"/>
gehen mochte. So gefasst gewinnt der Gegensatz der beiden<lb/>
Künstler für uns eine über ihre Persönlichkeit hinaus-<lb/>
gehende historische Bedeutung; und in der That wird es<lb/>
uns nicht an Veranlassung fehlen, im Verlauf der ferneren<lb/>
Entwickelung auf denselben als Ausgangspunkt zurückzu-<lb/>
kommen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Theon</hi>.</hi> </head><lb/>
              <p>Unter den sieben bedeutendsten Malern der Epoche<lb/>
Alexanders nennt Quintilian<note place="foot" n="1)">XII, 10.</note> endlich Theon von Samos als<lb/>
ausgezeichnet &#x201E;concipiendis visionibus, quas <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign> vo-<lb/>
cant,&#x201F; was später seine Erklärung finden wird. Plinius<note place="foot" n="2)">35, 144.</note><lb/>
führt ihn unter denjenigen Künstlern an, welche den ausge-<lb/>
zeichnetsten dem Range nach am nächsten stehen, und nennt<lb/>
als seine Werke das Bild des Kitharöden <hi rendition="#g">Thamyras</hi> und<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Orestis insaniam,</hi>&#x201F; d. i., wie wir aus Pseudo-Plutarch<note place="foot" n="3)">de aud. poet. p. 18 A.</note><lb/>
erfahren, den Muttermord des Orestes. Ein drittes Werk<lb/>
wird uns von Aelian<note place="foot" n="4)">V. H.<lb/>
II, 44.</note> allerdings in stark rhetorischer Fär-<lb/>
bung, aber doch so beschrieben, dass wir dadurch am leich-<lb/>
testen zum Verständniss des Urtheils bei Quintilian gelangen.<lb/>
&#x201E;Die Tüchtigkeit des Malers Theon wird, wie durch vieles<lb/>
andere, so auch durch folgendes Gemälde verbürgt. Einen<lb/><hi rendition="#g">Schwerbewaffneten</hi> stellt es vor, im Ausfalle begriffen<lb/>
in dem Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und<lb/>
das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll<lb/>
Muth sieht der Jüngling aus, wie einer, der in die Schlacht<lb/>
stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu sehen, wie von Ares<lb/>
besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen hat<lb/>
er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf<lb/>
die Feinde loszustürzen. Schon hat er den Schild vorge-<lb/>
worfen und schwingt das nackte Schwert wie ein Morden-<lb/>
der; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem Auge,<lb/>
und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand ver-<lb/>
schonen werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts wei-<lb/>
ter dargestellt, nicht einen Mitsoldaten, nicht einen Zugführer,<lb/>
nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter, nicht einen Bogen-<lb/>
schützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit, um die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0269] gehen mochte. So gefasst gewinnt der Gegensatz der beiden Künstler für uns eine über ihre Persönlichkeit hinaus- gehende historische Bedeutung; und in der That wird es uns nicht an Veranlassung fehlen, im Verlauf der ferneren Entwickelung auf denselben als Ausgangspunkt zurückzu- kommen. Theon. Unter den sieben bedeutendsten Malern der Epoche Alexanders nennt Quintilian 1) endlich Theon von Samos als ausgezeichnet „concipiendis visionibus, quas _ vo- cant,‟ was später seine Erklärung finden wird. Plinius 2) führt ihn unter denjenigen Künstlern an, welche den ausge- zeichnetsten dem Range nach am nächsten stehen, und nennt als seine Werke das Bild des Kitharöden Thamyras und „Orestis insaniam,‟ d. i., wie wir aus Pseudo-Plutarch 3) erfahren, den Muttermord des Orestes. Ein drittes Werk wird uns von Aelian 4) allerdings in stark rhetorischer Fär- bung, aber doch so beschrieben, dass wir dadurch am leich- testen zum Verständniss des Urtheils bei Quintilian gelangen. „Die Tüchtigkeit des Malers Theon wird, wie durch vieles andere, so auch durch folgendes Gemälde verbürgt. Einen Schwerbewaffneten stellt es vor, im Ausfalle begriffen in dem Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll Muth sieht der Jüngling aus, wie einer, der in die Schlacht stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu sehen, wie von Ares besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen hat er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf die Feinde loszustürzen. Schon hat er den Schild vorge- worfen und schwingt das nackte Schwert wie ein Morden- der; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem Auge, und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand ver- schonen werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts wei- ter dargestellt, nicht einen Mitsoldaten, nicht einen Zugführer, nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter, nicht einen Bogen- schützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit, um die 1) XII, 10. 2) 35, 144. 3) de aud. poet. p. 18 A. 4) V. H. II, 44.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/269
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/269>, abgerufen am 24.11.2024.