müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we- niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend, auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf- fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa- nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge- mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias, Sohnes des Oileus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co- lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz des Salzwassers noch zu kleben scheine.1) Der Dämon der Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen2). Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän- digen Strafe, [fremdsprachliches Material - fehlt], ein abge- blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei- nen die Fische im Acheron ganz schattenartig.3) Alle diese verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm- lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen- tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes, sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.
Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge- stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha- rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter- schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-
1) X, 31, 1.
2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei- nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell' Inst. II, 5.
3) X, 28, 1.
müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we- niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend, auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf- fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa- nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge- mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias, Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co- lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz des Salzwassers noch zu kleben scheine.1) Der Dämon der Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen2). Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän- digen Strafe, [fremdsprachliches Material – fehlt], ein abge- blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei- nen die Fische im Acheron ganz schattenartig.3) Alle diese verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm- lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen- tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes, sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.
Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge- stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha- rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter- schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-
1) X, 31, 1.
2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei- nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5.
3) X, 28, 1.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0049"n="32"/>
müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den<lb/>
Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die<lb/>
Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we-<lb/>
niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr<lb/>
uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend,<lb/>
auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf-<lb/>
fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa-<lb/>
nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge-<lb/>
mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias,<lb/>
Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co-<lb/>
lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz<lb/>
des Salzwassers noch zu kleben scheine.<noteplace="foot"n="1)">X, 31, 1.</note> Der Dämon der<lb/>
Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz<lb/>
und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen<noteplace="foot"n="2)">X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei-<lb/>
nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5.</note>.<lb/>
Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän-<lb/>
digen Strafe, <foreignxml:lang="gre"><gapreason="fm"unit="words"/></foreign>, ein abge-<lb/>
blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei-<lb/>
nen die Fische im Acheron ganz schattenartig.<noteplace="foot"n="3)">X, 28, 1.</note> Alle diese<lb/>
verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus<lb/>
gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich<lb/>
malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von<lb/>
dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe<lb/>
soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter<lb/>
verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm-<lb/>
lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen-<lb/>
tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes,<lb/>
sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.</p><lb/><p>Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte<lb/>
Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die<lb/>
Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge-<lb/>
stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen<lb/>
Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch<lb/>
dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha-<lb/>
rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von<lb/>
den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus<lb/>
weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter-<lb/>
schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[32/0049]
müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den
Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die
Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we-
niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr
uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend,
auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf-
fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa-
nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge-
mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias,
Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co-
lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz
des Salzwassers noch zu kleben scheine. 1) Der Dämon der
Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz
und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen 2).
Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän-
digen Strafe, _ , ein abge-
blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei-
nen die Fische im Acheron ganz schattenartig. 3) Alle diese
verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus
gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich
malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von
dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe
soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter
verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm-
lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen-
tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes,
sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.
Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte
Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die
Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge-
stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen
Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch
dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha-
rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von
den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus
weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter-
schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-
1) X, 31, 1.
2) X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei-
nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5.
3) X, 28, 1.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/49>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.