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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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allerdings in ihrem Wesen den Göttern noch näher, als das
gewöhnliche Geschlecht der Menschen; aber mindestens
eben so grossen Antheil hat sie an dem Wesen der Letzte-
ren. Eine Idealität in gleichem Sinne, wie den Göttern kann
also den Heroen nicht zukommen. Wohl aber sind sie
Ideale, insofern die besondere geistige Eigenthümlichkeit,
welche das ganze Wesen einer Persönlichkeit bestimmt,
in ihnen in ursprünglicher Reinheit ausgeprägt erscheint.
Und dass sie Polygnot in dieser Weise aufgefasst hatte, das
lehren nicht nur seine delphischen Gemälde, wie wir sie
früher im Einzelnen betrachtet haben, sondern das bestätigt
auch Aristoteles noch ausdrücklich, zwar nur durch ein ein-
ziges Wort, dessen Bedeutung jedoch durch den Gegensatz,
wie durch den ganzen Zusammenhang sehr scharf hervorge-
hoben wird. Er nennt Polygnot ausgezeichnet als [fremdsprachliches Material - fehlt],
während des Zeuxis Malerei kein [fremdsprachliches Material - fehlt] habe.1) Diesen Aus-
spruch thut Aristoteles bei Gelegenheit der Definition der
Tragödie und zur Erläuterung derselben. Wir werden dage-
gen den umgekehrten Weg einschlagen und sein Urtheil über
die Künstler aus unserer Kenntniss der Tragödie erklären
müssen. Das Wesen derselben setzt er in die Darstellung
der Handlung ([fremdsprachliches Material - fehlt]); diese aber solle auf dem [fremdsprachliches Material - fehlt] beru-
hen, aus dem [fremdsprachliches Material - fehlt] hervorgehen. Doch sei letzteres nicht
selbst Zweck: denn während ohne Handlung eine Tragödie
überhaupt nicht denkbar sei, gäbe es dagegen in Wirklichkeit,
namentlich unter den neueren, manche ohne Ethos. Ethos
nun ist nach dem Sprachgebrauche des Aristoteles, der hier
wegen der später modificirten Bedeutung allein als maassge-
bend gelten darf, der unveränderliche, von den einzelnen
Handlungen durchaus unabhängige Charakter der Personen,
durch welchen vielmehr die Handlungsweise des Individuums
überall erst bestimmt wird, ohne dass die jedesmalige einzel-
ne Situation auf ihn selbst eine Rückwirkung zu äussern ver-
möchte.2) Dieses Ethos ist natürlich, wie keineswegs immer
vorhanden in der Tragödie, so auch keineswegs blos in ihr
zu finden. Homer war, mit den beiden Haupthelden seiner
Gedichte beginnend, in der Aufstellung ethischer Charaktere

1) Poet. 6: [fremdsprachliches Material - fehlt].
2) Poet. 6: [fremdsprachliches Material - fehlt].

allerdings in ihrem Wesen den Göttern noch näher, als das
gewöhnliche Geschlecht der Menschen; aber mindestens
eben so grossen Antheil hat sie an dem Wesen der Letzte-
ren. Eine Idealität in gleichem Sinne, wie den Göttern kann
also den Heroen nicht zukommen. Wohl aber sind sie
Ideale, insofern die besondere geistige Eigenthümlichkeit,
welche das ganze Wesen einer Persönlichkeit bestimmt,
in ihnen in ursprünglicher Reinheit ausgeprägt erscheint.
Und dass sie Polygnot in dieser Weise aufgefasst hatte, das
lehren nicht nur seine delphischen Gemälde, wie wir sie
früher im Einzelnen betrachtet haben, sondern das bestätigt
auch Aristoteles noch ausdrücklich, zwar nur durch ein ein-
ziges Wort, dessen Bedeutung jedoch durch den Gegensatz,
wie durch den ganzen Zusammenhang sehr scharf hervorge-
hoben wird. Er nennt Polygnot ausgezeichnet als [fremdsprachliches Material – fehlt],
während des Zeuxis Malerei kein [fremdsprachliches Material – fehlt] habe.1) Diesen Aus-
spruch thut Aristoteles bei Gelegenheit der Definition der
Tragödie und zur Erläuterung derselben. Wir werden dage-
gen den umgekehrten Weg einschlagen und sein Urtheil über
die Künstler aus unserer Kenntniss der Tragödie erklären
müssen. Das Wesen derselben setzt er in die Darstellung
der Handlung ([fremdsprachliches Material – fehlt]); diese aber solle auf dem [fremdsprachliches Material – fehlt] beru-
hen, aus dem [fremdsprachliches Material – fehlt] hervorgehen. Doch sei letzteres nicht
selbst Zweck: denn während ohne Handlung eine Tragödie
überhaupt nicht denkbar sei, gäbe es dagegen in Wirklichkeit,
namentlich unter den neueren, manche ohne Ethos. Ethos
nun ist nach dem Sprachgebrauche des Aristoteles, der hier
wegen der später modificirten Bedeutung allein als maassge-
bend gelten darf, der unveränderliche, von den einzelnen
Handlungen durchaus unabhängige Charakter der Personen,
durch welchen vielmehr die Handlungsweise des Individuums
überall erst bestimmt wird, ohne dass die jedesmalige einzel-
ne Situation auf ihn selbst eine Rückwirkung zu äussern ver-
möchte.2) Dieses Ethos ist natürlich, wie keineswegs immer
vorhanden in der Tragödie, so auch keineswegs blos in ihr
zu finden. Homer war, mit den beiden Haupthelden seiner
Gedichte beginnend, in der Aufstellung ethischer Charaktere

1) Poët. 6: [fremdsprachliches Material – fehlt].
2) Poët. 6: [fremdsprachliches Material – fehlt].
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[43/0060] allerdings in ihrem Wesen den Göttern noch näher, als das gewöhnliche Geschlecht der Menschen; aber mindestens eben so grossen Antheil hat sie an dem Wesen der Letzte- ren. Eine Idealität in gleichem Sinne, wie den Göttern kann also den Heroen nicht zukommen. Wohl aber sind sie Ideale, insofern die besondere geistige Eigenthümlichkeit, welche das ganze Wesen einer Persönlichkeit bestimmt, in ihnen in ursprünglicher Reinheit ausgeprägt erscheint. Und dass sie Polygnot in dieser Weise aufgefasst hatte, das lehren nicht nur seine delphischen Gemälde, wie wir sie früher im Einzelnen betrachtet haben, sondern das bestätigt auch Aristoteles noch ausdrücklich, zwar nur durch ein ein- ziges Wort, dessen Bedeutung jedoch durch den Gegensatz, wie durch den ganzen Zusammenhang sehr scharf hervorge- hoben wird. Er nennt Polygnot ausgezeichnet als _ , während des Zeuxis Malerei kein _ habe. 1) Diesen Aus- spruch thut Aristoteles bei Gelegenheit der Definition der Tragödie und zur Erläuterung derselben. Wir werden dage- gen den umgekehrten Weg einschlagen und sein Urtheil über die Künstler aus unserer Kenntniss der Tragödie erklären müssen. Das Wesen derselben setzt er in die Darstellung der Handlung (_ ); diese aber solle auf dem _ beru- hen, aus dem _ hervorgehen. Doch sei letzteres nicht selbst Zweck: denn während ohne Handlung eine Tragödie überhaupt nicht denkbar sei, gäbe es dagegen in Wirklichkeit, namentlich unter den neueren, manche ohne Ethos. Ethos nun ist nach dem Sprachgebrauche des Aristoteles, der hier wegen der später modificirten Bedeutung allein als maassge- bend gelten darf, der unveränderliche, von den einzelnen Handlungen durchaus unabhängige Charakter der Personen, durch welchen vielmehr die Handlungsweise des Individuums überall erst bestimmt wird, ohne dass die jedesmalige einzel- ne Situation auf ihn selbst eine Rückwirkung zu äussern ver- möchte. 2) Dieses Ethos ist natürlich, wie keineswegs immer vorhanden in der Tragödie, so auch keineswegs blos in ihr zu finden. Homer war, mit den beiden Haupthelden seiner Gedichte beginnend, in der Aufstellung ethischer Charaktere 1) Poët. 6: _ . 2) Poët. 6: _ .

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/60>, abgerufen am 21.11.2024.