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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 17. Königtum und Fürstentum.
germanischen rex im römischen Sinne ist die ungeteilte Herrschaft,
die Einherrschaft über die gesamte civitas. Den Völkerschaften mit
Prinzipatsverfassung fehlt im Frieden ein gemeinsames Oberhaupt, die
Führung der civitas steht einer Mehrzahl von principes zu. Diese
grundsätzliche Unterscheidung scheinen aber die Germanen nicht ge-
kannt, vielmehr die Stellung der Herrschenden als eine im wesent-
lichen gleichartige aufgefasst zu haben, mochten sie nun im römischen
Sinne reges oder principes gewesen sein 1.

Auf die älteste gemeingermanische Bezeichnung des Volks-
herrschers weist uns nach aller Wahrscheinlichkeit das gotische Wort
thiudans hin 2, welches in Ulfilas' Bibelübersetzung für basileus ge-
braucht wird 3. Herrscher, Herr ist auch der altsächsische thiodan, der
nordische thjodann, der angelsächsische theoden. Bei den Baiern 4 und
Franken ist uns deotan, theudan 5 wenigstens als Eigenname über-
liefert. In dem ältesten Volksrechte der salischen Franken begegnet
uns zu den Worten ante regem die Glosse ante theoda, welche auf
einen Nominativ theod, dominus zurückzuführen scheint 6. Das Wort
König, ahd. chuning, angs. cyning, altn. konungr 7, im Gotischen nicht
vertreten, bezeichnete nicht bloss den Herrscher, sondern auch das
Mitglied des herrschenden Geschlechtes, z. B. den nichtregierenden
Königssohn 8. Litauer und Slawen, die das Wort entlehnten, be-

1 Seit Ammianus Marcellinus macht sich auch bei den römischen Schrift-
stellern die germanische Auffassung geltend. Ammian kennt bei den Burgundern
neben dem Oberpriester des Staates mehrere reges und unterscheidet bei den
Quaden und Alamannen reges, regales, reguli, subreguli. Regales sind die könig-
lichen Prinzen, reguli die Unterkönige. Ein spätestens dem 6. Jahrhundert an-
gehörender Grammatiker, der sog. Grammaticus de differentiis, sagt: inter regem
et regalem hoc interest, quod regius puer est regalis, "rex" qui regit regnum. Z2 f.
RG V 228. Fahlbeck, La royaute et le droit royal francs, der in einem Exkurs
S 293 ff. den Sprachgebrauch Ammians in ziemlich gewaltsamer Weise behandelt,
hält die regales für die Taciteischen principes. Schröder, RG I 21 sieht in
ihnen erblich gewordene Gaufürsten.
2 Eine Bemerkung des verewigten Müllenhoff. S. Vilmar, Deutsche alter-
tümer im Heliand, 1845, S 50.
3 Über den Gebrauch von thiudans bei Ulfilas Dahn, Könige VI 7.
4 Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 70 von 780, Nr 93 von 780--784,
Nr 568 von 811--834.
5 Förstemann, Altd. Namenbuch I: Personennamen, 1856, S. 1163.
6 Lex Sal. 46; Kern bei Hessels, Lex Sal. col. 534 § 227. Vergl. Graff,
Sprachschatz V 125. 128 unter Werodiota.
7 Grimm, RA S 229, WB V 1691. Hildebrand vermutet a. O. ein
altgermanisches kuni, das selbst schon König hiess, so dass kuni als Masculinum
den Geschlechtsherrn, als Neutrum das Geschlecht bedeutet habe.
8 Wie regalis bei Ammian.

§ 17. Königtum und Fürstentum.
germanischen rex im römischen Sinne ist die ungeteilte Herrschaft,
die Einherrschaft über die gesamte civitas. Den Völkerschaften mit
Prinzipatsverfassung fehlt im Frieden ein gemeinsames Oberhaupt, die
Führung der civitas steht einer Mehrzahl von principes zu. Diese
grundsätzliche Unterscheidung scheinen aber die Germanen nicht ge-
kannt, vielmehr die Stellung der Herrschenden als eine im wesent-
lichen gleichartige aufgefaſst zu haben, mochten sie nun im römischen
Sinne reges oder principes gewesen sein 1.

Auf die älteste gemeingermanische Bezeichnung des Volks-
herrschers weist uns nach aller Wahrscheinlichkeit das gotische Wort
thiudans hin 2, welches in Ulfilas’ Bibelübersetzung für βασιλεύς ge-
braucht wird 3. Herrscher, Herr ist auch der altsächsische thiodan, der
nordische thjóđann, der angelsächsische theóden. Bei den Baiern 4 und
Franken ist uns deotan, theudan 5 wenigstens als Eigenname über-
liefert. In dem ältesten Volksrechte der salischen Franken begegnet
uns zu den Worten ante regem die Glosse ante theoda, welche auf
einen Nominativ theod, dominus zurückzuführen scheint 6. Das Wort
König, ahd. chuning, angs. cyning, altn. konungr 7, im Gotischen nicht
vertreten, bezeichnete nicht bloſs den Herrscher, sondern auch das
Mitglied des herrschenden Geschlechtes, z. B. den nichtregierenden
Königssohn 8. Litauer und Slawen, die das Wort entlehnten, be-

1 Seit Ammianus Marcellinus macht sich auch bei den römischen Schrift-
stellern die germanische Auffassung geltend. Ammian kennt bei den Burgundern
neben dem Oberpriester des Staates mehrere reges und unterscheidet bei den
Quaden und Alamannen reges, regales, reguli, subreguli. Regales sind die könig-
lichen Prinzen, reguli die Unterkönige. Ein spätestens dem 6. Jahrhundert an-
gehörender Grammatiker, der sog. Grammaticus de differentiis, sagt: inter regem
et regalem hoc interest, quod regius puer est regalis, „rex“ qui regit regnum. Z2 f.
RG V 228. Fahlbeck, La royauté et le droit royal francs, der in einem Exkurs
S 293 ff. den Sprachgebrauch Ammians in ziemlich gewaltsamer Weise behandelt,
hält die regales für die Taciteischen principes. Schröder, RG I 21 sieht in
ihnen erblich gewordene Gaufürsten.
2 Eine Bemerkung des verewigten Müllenhoff. S. Vilmar, Deutsche alter-
tümer im Hêliand, 1845, S 50.
3 Über den Gebrauch von þiudans bei Ulfilas Dahn, Könige VI 7.
4 Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 70 von 780, Nr 93 von 780—784,
Nr 568 von 811—834.
5 Förstemann, Altd. Namenbuch I: Personennamen, 1856, S. 1163.
6 Lex Sal. 46; Kern bei Hessels, Lex Sal. col. 534 § 227. Vergl. Graff,
Sprachschatz V 125. 128 unter Werodiota.
7 Grimm, RA S 229, WB V 1691. Hildebrand vermutet a. O. ein
altgermanisches kuni, das selbst schon König hieſs, so daſs kuni als Masculinum
den Geschlechtsherrn, als Neutrum das Geschlecht bedeutet habe.
8 Wie regalis bei Ammian.
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[120/0138] § 17. Königtum und Fürstentum. germanischen rex im römischen Sinne ist die ungeteilte Herrschaft, die Einherrschaft über die gesamte civitas. Den Völkerschaften mit Prinzipatsverfassung fehlt im Frieden ein gemeinsames Oberhaupt, die Führung der civitas steht einer Mehrzahl von principes zu. Diese grundsätzliche Unterscheidung scheinen aber die Germanen nicht ge- kannt, vielmehr die Stellung der Herrschenden als eine im wesent- lichen gleichartige aufgefaſst zu haben, mochten sie nun im römischen Sinne reges oder principes gewesen sein 1. Auf die älteste gemeingermanische Bezeichnung des Volks- herrschers weist uns nach aller Wahrscheinlichkeit das gotische Wort thiudans hin 2, welches in Ulfilas’ Bibelübersetzung für βασιλεύς ge- braucht wird 3. Herrscher, Herr ist auch der altsächsische thiodan, der nordische thjóđann, der angelsächsische theóden. Bei den Baiern 4 und Franken ist uns deotan, theudan 5 wenigstens als Eigenname über- liefert. In dem ältesten Volksrechte der salischen Franken begegnet uns zu den Worten ante regem die Glosse ante theoda, welche auf einen Nominativ theod, dominus zurückzuführen scheint 6. Das Wort König, ahd. chuning, angs. cyning, altn. konungr 7, im Gotischen nicht vertreten, bezeichnete nicht bloſs den Herrscher, sondern auch das Mitglied des herrschenden Geschlechtes, z. B. den nichtregierenden Königssohn 8. Litauer und Slawen, die das Wort entlehnten, be- 1 Seit Ammianus Marcellinus macht sich auch bei den römischen Schrift- stellern die germanische Auffassung geltend. Ammian kennt bei den Burgundern neben dem Oberpriester des Staates mehrere reges und unterscheidet bei den Quaden und Alamannen reges, regales, reguli, subreguli. Regales sind die könig- lichen Prinzen, reguli die Unterkönige. Ein spätestens dem 6. Jahrhundert an- gehörender Grammatiker, der sog. Grammaticus de differentiis, sagt: inter regem et regalem hoc interest, quod regius puer est regalis, „rex“ qui regit regnum. Z2 f. RG V 228. Fahlbeck, La royauté et le droit royal francs, der in einem Exkurs S 293 ff. den Sprachgebrauch Ammians in ziemlich gewaltsamer Weise behandelt, hält die regales für die Taciteischen principes. Schröder, RG I 21 sieht in ihnen erblich gewordene Gaufürsten. 2 Eine Bemerkung des verewigten Müllenhoff. S. Vilmar, Deutsche alter- tümer im Hêliand, 1845, S 50. 3 Über den Gebrauch von þiudans bei Ulfilas Dahn, Könige VI 7. 4 Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 70 von 780, Nr 93 von 780—784, Nr 568 von 811—834. 5 Förstemann, Altd. Namenbuch I: Personennamen, 1856, S. 1163. 6 Lex Sal. 46; Kern bei Hessels, Lex Sal. col. 534 § 227. Vergl. Graff, Sprachschatz V 125. 128 unter Werodiota. 7 Grimm, RA S 229, WB V 1691. Hildebrand vermutet a. O. ein altgermanisches kuni, das selbst schon König hieſs, so daſs kuni als Masculinum den Geschlechtsherrn, als Neutrum das Geschlecht bedeutet habe. 8 Wie regalis bei Ammian.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/138>, abgerufen am 24.11.2024.