Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 21. Fehde und Busse. das Wort, aber die Sache findet sich auch in einer niederdeutschenRechtsquelle29. Das Recht der Fehde zum Zwecke der Rache war zweifellos im 29 Nach Normanns wendisch-rugianischem Landgebrauch tit. 24 muss der Übelthäter mit seinen Magen schwören: dat se so vele wolden nehmen, went en wedderfahren ware. Vgl. Tit. 84. 30 Tacitus, Germ. c. 21. 31 Siegel, Gerichtsverfahren S 9. Thonissen S 117 ff. Über das Rache- recht gegen den Ehebrecher bei handhafter That v. Richthofen zur Lex Saxonum S 283; Wilda S 812; Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 43 ff. 71 ff. 32 Arg. Roth. c. 74. Ältestes livländisches Ritterrecht Art. 59: lemet edder wundet ein den andern, dar is nen recht up gesettet; men legere en (bezahle ihn, Schiller und Lübben, Mnd. WB II 652, 3) edder drege sine veide. Wendisch-rugianischer Landgebrauch tit. 84. Niederländische Handfesten des 14. und 15. Jahrh. lassen die Magen des Thäters für die durch leemte verwirkte Busse haften. Mieris, Groot Charterboek III 331. 484. 637. 642. IV 38 u. öfter. Diese Haftung der Magen erklärt sich am einfachsten daraus, dass sie einst der Fehde ausgesetzt waren. Der Norden kennt ein Racherecht nicht bloss bei Verwundungen, sondern sogar bei Schlägen und bei gewissen Beschimpfungen. Wilda S 160 ff. 33 Lex Fris. 2, 2. Das Wergeld kann nur einmal eingeklagt werden. Ver-
mag die Sippe des Erschlagenen die Sühne des Totschlags bei dem Totschläger selbst zu erlangen, so ist gegen den Anstifter keine Klage auf Wergeld, sondern nur die Fehde zulässig; von der Fehde mag er sich durch aussergerichtliche Sühne befreien. "Sed tantum inimicitias propinquorum hominis occisi patiatur, donec quomodo potuerit eorum amicitiam adipiscatur." Derselbe Grundsatz wurde in Lex Fris. 2, 11 auf den Anstifter des Diebstahls ausgedehnt. Siegel, Geschichte des deutschen Gerichtsverf. S 12 f. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 246 f. § 21. Fehde und Buſse. das Wort, aber die Sache findet sich auch in einer niederdeutschenRechtsquelle29. Das Recht der Fehde zum Zwecke der Rache war zweifellos im 29 Nach Normanns wendisch-rugianischem Landgebrauch tit. 24 muss der Übelthäter mit seinen Magen schwören: dat se so vele wolden nehmen, went en wedderfahren ware. Vgl. Tit. 84. 30 Tacitus, Germ. c. 21. 31 Siegel, Gerichtsverfahren S 9. Thonissen S 117 ff. Über das Rache- recht gegen den Ehebrecher bei handhafter That v. Richthofen zur Lex Saxonum S 283; Wilda S 812; Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 43 ff. 71 ff. 32 Arg. Roth. c. 74. Ältestes livländisches Ritterrecht Art. 59: lemet edder wundet ein den andern, dar is nen recht up gesettet; men legere en (bezahle ihn, Schiller und Lübben, Mnd. WB II 652, 3) edder drege sine veide. Wendisch-rugianischer Landgebrauch tit. 84. Niederländische Handfesten des 14. und 15. Jahrh. lassen die Magen des Thäters für die durch leemte verwirkte Buſse haften. Mieris, Groot Charterboek III 331. 484. 637. 642. IV 38 u. öfter. Diese Haftung der Magen erklärt sich am einfachsten daraus, daſs sie einst der Fehde ausgesetzt waren. Der Norden kennt ein Racherecht nicht bloſs bei Verwundungen, sondern sogar bei Schlägen und bei gewissen Beschimpfungen. Wilda S 160 ff. 33 Lex Fris. 2, 2. Das Wergeld kann nur einmal eingeklagt werden. Ver-
mag die Sippe des Erschlagenen die Sühne des Totschlags bei dem Totschläger selbst zu erlangen, so ist gegen den Anstifter keine Klage auf Wergeld, sondern nur die Fehde zulässig; von der Fehde mag er sich durch auſsergerichtliche Sühne befreien. „Sed tantum inimicitias propinquorum hominis occisi patiatur, donec quomodo potuerit eorum amicitiam adipiscatur.“ Derselbe Grundsatz wurde in Lex Fris. 2, 11 auf den Anstifter des Diebstahls ausgedehnt. Siegel, Geschichte des deutschen Gerichtsverf. S 12 f. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 246 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0180" n="162"/><fw place="top" type="header">§ 21. Fehde und Buſse.</fw><lb/> das Wort, aber die Sache findet sich auch in einer niederdeutschen<lb/> Rechtsquelle<note place="foot" n="29">Nach Normanns wendisch-rugianischem Landgebrauch tit. 24 muss der<lb/> Übelthäter mit seinen Magen schwören: dat se so vele wolden nehmen, went en<lb/> wedderfahren ware. Vgl. Tit. 84.</note>.</p><lb/> <p>Das Recht der Fehde zum Zwecke der Rache war zweifellos im<lb/> Falle des Totschlags begründet<note place="foot" n="30">Tacitus, Germ. c. 21.</note>. Über den darüber hinausgehenden<lb/> Umfang des Fehderechts sind wir nur auf Rückschlüsse aus den<lb/> Quellen der folgenden Periode und auf Vermutungen angewiesen.<lb/> Wir finden später ein Recht der Rache und Fehde anerkannt bei<lb/> gröblichen Verletzungen der Ehre eines weiblichen Familienmitgliedes,<lb/> bei Ehebruch, Unzucht und Frauenraub<note place="foot" n="31"><hi rendition="#g">Siegel,</hi> Gerichtsverfahren S 9. <hi rendition="#g">Thonissen</hi> S 117 ff. Über das Rache-<lb/> recht gegen den Ehebrecher bei handhafter That v. <hi rendition="#g">Richthofen</hi> zur Lex Saxonum<lb/> S 283; <hi rendition="#g">Wilda</hi> S 812; <hi rendition="#g">Rosenthal,</hi> Rechtsfolgen des Ehebruchs S 43 ff. 71 ff.</note>. Auch wegen Verwundungen<lb/> erlauben einzelne Rechte den Fehdegang<note place="foot" n="32">Arg. Roth. c. 74. Ältestes livländisches Ritterrecht Art. 59: lemet edder<lb/> wundet ein den andern, dar is nen recht up gesettet; men legere en (bezahle ihn,<lb/><hi rendition="#g">Schiller</hi> und <hi rendition="#g">Lübben,</hi> Mnd. WB II 652, 3) <hi rendition="#g">edder drege sine veide.</hi><lb/> Wendisch-rugianischer Landgebrauch tit. 84. Niederländische Handfesten des 14.<lb/> und 15. Jahrh. lassen die Magen des Thäters für die durch leemte verwirkte Buſse<lb/> haften. <hi rendition="#g">Mieris,</hi> Groot Charterboek III 331. 484. 637. 642. IV 38 u. öfter. Diese<lb/> Haftung der Magen erklärt sich am einfachsten daraus, daſs sie einst der Fehde<lb/> ausgesetzt waren. Der Norden kennt ein Racherecht nicht bloſs bei Verwundungen,<lb/> sondern sogar bei Schlägen und bei gewissen Beschimpfungen. <hi rendition="#g">Wilda</hi> S 160 ff.</note>. Da der Zug der geschicht-<lb/> lichen Entwicklung nicht eine Ausdehnung, sondern eine allmähliche<lb/> Einschränkung der Fehde wahrnehmen läſst, so ist es wahrscheinlich,<lb/> daſs in germanischer Zeit die Fehde im allgemeinen um Blut und um<lb/> Ehre gestattet war. Aber auch über diese weitgezogenen Schranken<lb/> führt uns eine beachtenswerte Erscheinung des friesischen Volks-<lb/> rechtes hinaus. Demselben ist nämlich in fränkischer Zeit die Fehde<lb/> einzige Vergeltungsform für Unthaten, bei denen die Logik des<lb/> geltenden Rechts einen Anspruch auf Buſse oder sonstige Sühne ver-<lb/> sagen muſs<note place="foot" n="33">Lex Fris. 2, 2. Das Wergeld kann nur einmal eingeklagt werden. Ver-<lb/> mag die Sippe des Erschlagenen die Sühne des Totschlags bei dem Totschläger<lb/> selbst zu erlangen, so ist gegen den Anstifter keine Klage auf Wergeld, sondern<lb/> nur die Fehde zulässig; von der Fehde mag er sich durch auſsergerichtliche Sühne<lb/> befreien. „Sed tantum inimicitias propinquorum hominis occisi patiatur, donec<lb/> quomodo potuerit eorum amicitiam adipiscatur.“ Derselbe Grundsatz wurde in Lex<lb/> Fris. 2, 11 auf den Anstifter des Diebstahls ausgedehnt. <hi rendition="#g">Siegel,</hi> Geschichte des<lb/> deutschen Gerichtsverf. S 12 f. v. <hi rendition="#g">Richthofen,</hi> Zur Lex Saxonum S 246 f.</note>. In der Zeit, da das Buſsensystem noch in den An-<lb/> fängen seiner Entwicklung stand, mag es eine Reihe von Fällen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0180]
§ 21. Fehde und Buſse.
das Wort, aber die Sache findet sich auch in einer niederdeutschen
Rechtsquelle 29.
Das Recht der Fehde zum Zwecke der Rache war zweifellos im
Falle des Totschlags begründet 30. Über den darüber hinausgehenden
Umfang des Fehderechts sind wir nur auf Rückschlüsse aus den
Quellen der folgenden Periode und auf Vermutungen angewiesen.
Wir finden später ein Recht der Rache und Fehde anerkannt bei
gröblichen Verletzungen der Ehre eines weiblichen Familienmitgliedes,
bei Ehebruch, Unzucht und Frauenraub 31. Auch wegen Verwundungen
erlauben einzelne Rechte den Fehdegang 32. Da der Zug der geschicht-
lichen Entwicklung nicht eine Ausdehnung, sondern eine allmähliche
Einschränkung der Fehde wahrnehmen läſst, so ist es wahrscheinlich,
daſs in germanischer Zeit die Fehde im allgemeinen um Blut und um
Ehre gestattet war. Aber auch über diese weitgezogenen Schranken
führt uns eine beachtenswerte Erscheinung des friesischen Volks-
rechtes hinaus. Demselben ist nämlich in fränkischer Zeit die Fehde
einzige Vergeltungsform für Unthaten, bei denen die Logik des
geltenden Rechts einen Anspruch auf Buſse oder sonstige Sühne ver-
sagen muſs 33. In der Zeit, da das Buſsensystem noch in den An-
fängen seiner Entwicklung stand, mag es eine Reihe von Fällen
29 Nach Normanns wendisch-rugianischem Landgebrauch tit. 24 muss der
Übelthäter mit seinen Magen schwören: dat se so vele wolden nehmen, went en
wedderfahren ware. Vgl. Tit. 84.
30 Tacitus, Germ. c. 21.
31 Siegel, Gerichtsverfahren S 9. Thonissen S 117 ff. Über das Rache-
recht gegen den Ehebrecher bei handhafter That v. Richthofen zur Lex Saxonum
S 283; Wilda S 812; Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 43 ff. 71 ff.
32 Arg. Roth. c. 74. Ältestes livländisches Ritterrecht Art. 59: lemet edder
wundet ein den andern, dar is nen recht up gesettet; men legere en (bezahle ihn,
Schiller und Lübben, Mnd. WB II 652, 3) edder drege sine veide.
Wendisch-rugianischer Landgebrauch tit. 84. Niederländische Handfesten des 14.
und 15. Jahrh. lassen die Magen des Thäters für die durch leemte verwirkte Buſse
haften. Mieris, Groot Charterboek III 331. 484. 637. 642. IV 38 u. öfter. Diese
Haftung der Magen erklärt sich am einfachsten daraus, daſs sie einst der Fehde
ausgesetzt waren. Der Norden kennt ein Racherecht nicht bloſs bei Verwundungen,
sondern sogar bei Schlägen und bei gewissen Beschimpfungen. Wilda S 160 ff.
33 Lex Fris. 2, 2. Das Wergeld kann nur einmal eingeklagt werden. Ver-
mag die Sippe des Erschlagenen die Sühne des Totschlags bei dem Totschläger
selbst zu erlangen, so ist gegen den Anstifter keine Klage auf Wergeld, sondern
nur die Fehde zulässig; von der Fehde mag er sich durch auſsergerichtliche Sühne
befreien. „Sed tantum inimicitias propinquorum hominis occisi patiatur, donec
quomodo potuerit eorum amicitiam adipiscatur.“ Derselbe Grundsatz wurde in Lex
Fris. 2, 11 auf den Anstifter des Diebstahls ausgedehnt. Siegel, Geschichte des
deutschen Gerichtsverf. S 12 f. v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 246 f.
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