Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 21. Fehde und Busse.
gegeben haben, in welchen für eine begangene Rechtsverletzung
Genugthuung nur auf dem Wege der Fehde oder der aussergericht-
lichen Sühne zu erlangen war.

Das Recht der Fehde stand nur dem Verletzten und seiner Sippe
zu. Von der Wahl der beleidigten Sippe hing es ab, ob der Misse-
thäter mit seinen Geschlechtsgenossen der Fehde ausgesetzt sei, "die
Fehde, die Feindschaft tragen" oder die durch das Recht festgesetzte
compositio zahlen solle34. Dagegen hat es mit nichten im Belieben
des Missethäters gestanden, ob er die Feindschaft der beleidigten
Sippe dulden oder die Unthat durch Busszahlung sühnen wolle35.
Weigerte er sich das Sühngeld zu entrichten, so konnte der beleidigte
Teil es gerichtlich einklagen. Dann trat ihm die Gesamtheit helfend
zur Seite, indem ein gerichtliches Urteil dem Beklagten auferlegte, sich
zur Zahlung des Sühngeldes zu verpflichten36. Unterliess es der
Thäter, das gerichtliche Urteil zu erfüllen, so verfiel er der all-
gemeinen Friedlosigkeit. Es stand ihm sonach allerdings eine Wahl
offen, aber nicht die Wahl zwischen Busse und Fehde37, sondern die

34 Lex Sax. c. 18: Compositionem solvat vel faidam portet, eine Stelle, aus
der man mit Unrecht ein Fehderecht des Missethäters hat ableiten wollen. Faidam
portet bedeutet hier so viel wie faidosus sit. v. Richthofen in LL V 56 Anm 42.
Statt faidam portare findet sich sonst inimicitias portare. Lex Fris. 2, 2. Deutsche
Quellen haben Fehde tragen (oben Anm 32), Feindschaft tragen. Vos Reinaerde ed.
Martin Vers 7295: ic acht cleine al dijn maghen, ic sel die vete wel draghen.
35 Für ein Fehderecht des Übelthäters hat sich Rogge, Gerichtswesen S 2 ff.
21 ff. ausgesprochen. Dagegen u. a. Eichhorn I 80 f.; v. Woringen, Bei-
träge S 35 ff.; v. Wächter, Beiträge S 43. 249, Beilagen 80. Wilda, Geib
und Waitz wollen auch von einem eigentlichen Fehderecht des Verletzten nichts
wissen.
36 Die Möglichkeit gerichtlicher Einklagung des Wergeldes schliesst ein sog.
Fehderecht des Missethäters aus. Sie kann aus Tac. Germ. c. 12 pars mulctae ...
propinquis ... exolvitur gefolgert werden, weil darunter kaum etwas anderes wie
das Wergeld zu verstehen ist. Übrigens verbürgen die Wergeldklage Carta Senon. 51;
Form. Sal. Bign. 8, 9; Form. Sal. Lindenbr. 19 (Zeumer S 280), wo durch ge-
richtliches Urteil auf Geldsühne erkannt wird. In Form. Lindenbr. 19 verspricht
der befriedigte Kläger dem Beklagten Gewährschaft für den Fall, dass aliquis
ipso de hoc homicidio remallare voluerit. Aethelred II 6 § 1 verbietet die Ver-
folgung älterer Totschläge und anderer Friedensbrüche, indem er bestimmt, dass
niemand sie rächen oder dafür Busse fordern solle: and nan man thaet ne wraece
ne bote ne bidde, eine Vorschrift, die voraussetzt, dass an sich der Verletzte das
Recht hatte die Busse einzuklagen.
37 Dass er dieses Wahlrecht nicht besass, ergiebt u. a. Rothari 74. Der
langobardische König setzt höhere Bussen auf Verwundungen: ut faida ... post
accepta conpositione postponatur et amplius non requiratur nec dolus teneatur
sed sit sibi causa finita amicitia manentem. Hatte der Thäter die Wahl, ob er
11*

§ 21. Fehde und Buſse.
gegeben haben, in welchen für eine begangene Rechtsverletzung
Genugthuung nur auf dem Wege der Fehde oder der auſsergericht-
lichen Sühne zu erlangen war.

Das Recht der Fehde stand nur dem Verletzten und seiner Sippe
zu. Von der Wahl der beleidigten Sippe hing es ab, ob der Misse-
thäter mit seinen Geschlechtsgenossen der Fehde ausgesetzt sei, „die
Fehde, die Feindschaft tragen“ oder die durch das Recht festgesetzte
compositio zahlen solle34. Dagegen hat es mit nichten im Belieben
des Missethäters gestanden, ob er die Feindschaft der beleidigten
Sippe dulden oder die Unthat durch Buſszahlung sühnen wolle35.
Weigerte er sich das Sühngeld zu entrichten, so konnte der beleidigte
Teil es gerichtlich einklagen. Dann trat ihm die Gesamtheit helfend
zur Seite, indem ein gerichtliches Urteil dem Beklagten auferlegte, sich
zur Zahlung des Sühngeldes zu verpflichten36. Unterlieſs es der
Thäter, das gerichtliche Urteil zu erfüllen, so verfiel er der all-
gemeinen Friedlosigkeit. Es stand ihm sonach allerdings eine Wahl
offen, aber nicht die Wahl zwischen Buſse und Fehde37, sondern die

34 Lex Sax. c. 18: Compositionem solvat vel faidam portet, eine Stelle, aus
der man mit Unrecht ein Fehderecht des Missethäters hat ableiten wollen. Faidam
portet bedeutet hier so viel wie faidosus sit. v. Richthofen in LL V 56 Anm 42.
Statt faidam portare findet sich sonst inimicitias portare. Lex Fris. 2, 2. Deutsche
Quellen haben Fehde tragen (oben Anm 32), Feindschaft tragen. Vos Reinaerde ed.
Martin Vers 7295: ic acht cleine al dijn maghen, ic sel die vete wel draghen.
35 Für ein Fehderecht des Übelthäters hat sich Rogge, Gerichtswesen S 2 ff.
21 ff. ausgesprochen. Dagegen u. a. Eichhorn I 80 f.; v. Woringen, Bei-
träge S 35 ff.; v. Wächter, Beiträge S 43. 249, Beilagen 80. Wilda, Geib
und Waitz wollen auch von einem eigentlichen Fehderecht des Verletzten nichts
wissen.
36 Die Möglichkeit gerichtlicher Einklagung des Wergeldes schlieſst ein sog.
Fehderecht des Missethäters aus. Sie kann aus Tac. Germ. c. 12 pars mulctae …
propinquis … exolvitur gefolgert werden, weil darunter kaum etwas anderes wie
das Wergeld zu verstehen ist. Übrigens verbürgen die Wergeldklage Carta Senon. 51;
Form. Sal. Bign. 8, 9; Form. Sal. Lindenbr. 19 (Zeumer S 280), wo durch ge-
richtliches Urteil auf Geldsühne erkannt wird. In Form. Lindenbr. 19 verspricht
der befriedigte Kläger dem Beklagten Gewährschaft für den Fall, daſs aliquis
ipso de hoc homicidio remallare voluerit. Aethelred II 6 § 1 verbietet die Ver-
folgung älterer Totschläge und anderer Friedensbrüche, indem er bestimmt, daſs
niemand sie rächen oder dafür Buſse fordern solle: and nân man þæt ne wræce
ne bôte ne bidde, eine Vorschrift, die voraussetzt, daſs an sich der Verletzte das
Recht hatte die Buſse einzuklagen.
37 Daſs er dieses Wahlrecht nicht besaſs, ergiebt u. a. Rothari 74. Der
langobardische König setzt höhere Buſsen auf Verwundungen: ut faida … post
accepta conpositione postponatur et amplius non requiratur nec dolus teneatur
sed sit sibi causa finita amicitia manentem. Hatte der Thäter die Wahl, ob er
11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="163"/><fw place="top" type="header">§ 21. Fehde und Bu&#x017F;se.</fw><lb/>
gegeben haben, in welchen für eine begangene Rechtsverletzung<lb/>
Genugthuung nur auf dem Wege der Fehde oder der au&#x017F;sergericht-<lb/>
lichen Sühne zu erlangen war.</p><lb/>
          <p>Das Recht der Fehde stand nur dem Verletzten und seiner Sippe<lb/>
zu. Von der Wahl der beleidigten Sippe hing es ab, ob der Misse-<lb/>
thäter mit seinen Geschlechtsgenossen der Fehde ausgesetzt sei, &#x201E;die<lb/>
Fehde, die Feindschaft tragen&#x201C; oder die durch das Recht festgesetzte<lb/>
compositio zahlen solle<note place="foot" n="34">Lex Sax. c. 18: Compositionem solvat vel faidam portet, eine Stelle, aus<lb/>
der man mit Unrecht ein Fehderecht des Missethäters hat ableiten wollen. Faidam<lb/>
portet bedeutet hier so viel wie faidosus sit. v. <hi rendition="#g">Richthofen</hi> in LL V 56 Anm 42.<lb/>
Statt faidam portare findet sich sonst inimicitias portare. Lex Fris. 2, 2. Deutsche<lb/>
Quellen haben Fehde tragen (oben Anm 32), Feindschaft tragen. Vos Reinaerde ed.<lb/><hi rendition="#g">Martin</hi> Vers 7295: ic acht cleine al dijn maghen, ic sel die vete wel draghen.</note>. Dagegen hat es mit nichten im Belieben<lb/>
des Missethäters gestanden, ob er die Feindschaft der beleidigten<lb/>
Sippe dulden oder die Unthat durch Bu&#x017F;szahlung sühnen wolle<note place="foot" n="35">Für ein Fehderecht des Übelthäters hat sich <hi rendition="#g">Rogge,</hi> Gerichtswesen S 2 ff.<lb/>
21 ff. ausgesprochen. Dagegen u. a. <hi rendition="#g">Eichhorn</hi> I 80 f.; v. <hi rendition="#g">Woringen,</hi> Bei-<lb/>
träge S 35 ff.; v. <hi rendition="#g">Wächter,</hi> Beiträge S 43. 249, Beilagen 80. <hi rendition="#g">Wilda, Geib</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Waitz</hi> wollen auch von einem eigentlichen Fehderecht des Verletzten nichts<lb/>
wissen.</note>.<lb/>
Weigerte er sich das Sühngeld zu entrichten, so konnte der beleidigte<lb/>
Teil es gerichtlich einklagen. Dann trat ihm die Gesamtheit helfend<lb/>
zur Seite, indem ein gerichtliches Urteil dem Beklagten auferlegte, sich<lb/>
zur Zahlung des Sühngeldes zu verpflichten<note place="foot" n="36">Die Möglichkeit gerichtlicher Einklagung des Wergeldes schlie&#x017F;st ein sog.<lb/>
Fehderecht des Missethäters aus. Sie kann aus Tac. Germ. c. 12 pars mulctae &#x2026;<lb/>
propinquis &#x2026; exolvitur gefolgert werden, weil darunter kaum etwas anderes wie<lb/>
das Wergeld zu verstehen ist. Übrigens verbürgen die Wergeldklage Carta Senon. 51;<lb/>
Form. Sal. Bign. 8, 9; Form. Sal. Lindenbr. 19 (<hi rendition="#g">Zeumer</hi> S 280), wo durch ge-<lb/>
richtliches Urteil auf Geldsühne erkannt wird. In Form. Lindenbr. 19 verspricht<lb/>
der befriedigte Kläger dem Beklagten Gewährschaft für den Fall, da&#x017F;s aliquis<lb/>
ipso de hoc homicidio remallare voluerit. Aethelred II 6 § 1 verbietet die Ver-<lb/>
folgung älterer Totschläge und anderer Friedensbrüche, indem er bestimmt, da&#x017F;s<lb/>
niemand sie rächen oder dafür Bu&#x017F;se fordern solle: and nân man þæt ne wræce<lb/>
ne bôte ne bidde, eine Vorschrift, die voraussetzt, da&#x017F;s an sich der Verletzte das<lb/>
Recht hatte die Bu&#x017F;se einzuklagen.</note>. Unterlie&#x017F;s es der<lb/>
Thäter, das gerichtliche Urteil zu erfüllen, so verfiel er der all-<lb/>
gemeinen Friedlosigkeit. Es stand ihm sonach allerdings eine Wahl<lb/>
offen, aber nicht die Wahl zwischen Bu&#x017F;se und Fehde<note xml:id="note-0181" next="#note-0182" place="foot" n="37">Da&#x017F;s er dieses Wahlrecht nicht besa&#x017F;s, ergiebt u. a. Rothari 74. Der<lb/>
langobardische König setzt höhere Bu&#x017F;sen auf Verwundungen: ut faida &#x2026; post<lb/>
accepta conpositione postponatur et amplius non requiratur nec dolus teneatur<lb/>
sed sit sibi causa finita amicitia manentem. Hatte der Thäter die Wahl, ob er</note>, sondern die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0181] § 21. Fehde und Buſse. gegeben haben, in welchen für eine begangene Rechtsverletzung Genugthuung nur auf dem Wege der Fehde oder der auſsergericht- lichen Sühne zu erlangen war. Das Recht der Fehde stand nur dem Verletzten und seiner Sippe zu. Von der Wahl der beleidigten Sippe hing es ab, ob der Misse- thäter mit seinen Geschlechtsgenossen der Fehde ausgesetzt sei, „die Fehde, die Feindschaft tragen“ oder die durch das Recht festgesetzte compositio zahlen solle 34. Dagegen hat es mit nichten im Belieben des Missethäters gestanden, ob er die Feindschaft der beleidigten Sippe dulden oder die Unthat durch Buſszahlung sühnen wolle 35. Weigerte er sich das Sühngeld zu entrichten, so konnte der beleidigte Teil es gerichtlich einklagen. Dann trat ihm die Gesamtheit helfend zur Seite, indem ein gerichtliches Urteil dem Beklagten auferlegte, sich zur Zahlung des Sühngeldes zu verpflichten 36. Unterlieſs es der Thäter, das gerichtliche Urteil zu erfüllen, so verfiel er der all- gemeinen Friedlosigkeit. Es stand ihm sonach allerdings eine Wahl offen, aber nicht die Wahl zwischen Buſse und Fehde 37, sondern die 34 Lex Sax. c. 18: Compositionem solvat vel faidam portet, eine Stelle, aus der man mit Unrecht ein Fehderecht des Missethäters hat ableiten wollen. Faidam portet bedeutet hier so viel wie faidosus sit. v. Richthofen in LL V 56 Anm 42. Statt faidam portare findet sich sonst inimicitias portare. Lex Fris. 2, 2. Deutsche Quellen haben Fehde tragen (oben Anm 32), Feindschaft tragen. Vos Reinaerde ed. Martin Vers 7295: ic acht cleine al dijn maghen, ic sel die vete wel draghen. 35 Für ein Fehderecht des Übelthäters hat sich Rogge, Gerichtswesen S 2 ff. 21 ff. ausgesprochen. Dagegen u. a. Eichhorn I 80 f.; v. Woringen, Bei- träge S 35 ff.; v. Wächter, Beiträge S 43. 249, Beilagen 80. Wilda, Geib und Waitz wollen auch von einem eigentlichen Fehderecht des Verletzten nichts wissen. 36 Die Möglichkeit gerichtlicher Einklagung des Wergeldes schlieſst ein sog. Fehderecht des Missethäters aus. Sie kann aus Tac. Germ. c. 12 pars mulctae … propinquis … exolvitur gefolgert werden, weil darunter kaum etwas anderes wie das Wergeld zu verstehen ist. Übrigens verbürgen die Wergeldklage Carta Senon. 51; Form. Sal. Bign. 8, 9; Form. Sal. Lindenbr. 19 (Zeumer S 280), wo durch ge- richtliches Urteil auf Geldsühne erkannt wird. In Form. Lindenbr. 19 verspricht der befriedigte Kläger dem Beklagten Gewährschaft für den Fall, daſs aliquis ipso de hoc homicidio remallare voluerit. Aethelred II 6 § 1 verbietet die Ver- folgung älterer Totschläge und anderer Friedensbrüche, indem er bestimmt, daſs niemand sie rächen oder dafür Buſse fordern solle: and nân man þæt ne wræce ne bôte ne bidde, eine Vorschrift, die voraussetzt, daſs an sich der Verletzte das Recht hatte die Buſse einzuklagen. 37 Daſs er dieses Wahlrecht nicht besaſs, ergiebt u. a. Rothari 74. Der langobardische König setzt höhere Buſsen auf Verwundungen: ut faida … post accepta conpositione postponatur et amplius non requiratur nec dolus teneatur sed sit sibi causa finita amicitia manentem. Hatte der Thäter die Wahl, ob er 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/181
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/181>, abgerufen am 21.11.2024.