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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.

Halbfrei war endlich die grössere Menge der Freigelassenen.
Denn auch in fränkischer Zeit gewährte die Freilassung in der Regel
nur eine beschränkte Freiheit, welche den Freigelassenen in der Hand
des Freilassers festhielt oder ihn doch unter eine Schutzherrschaft
stellte. Die Freilassung niederer Ordnung machte bei den nieder-
deutschen Stämmen zum Liten 26, bei den Langobarden zum Aldio.
Anderwärts erscheint der Freigelassene geringeren Rechtes als libertus
schlechtweg, so bei den Thüringern, wo ihm das halbe Wergeld des
Freien, so bei den Baiern, wo ihm das zweifache Wergeld des
Knechtes zugesprochen wird.

Neben den stammesrechtlichen Freilassungsarten kamen die des
römischen Rechtes zur Anwendung und zwar zumeist in einer Form,
welche durch den Einfluss der Kirche zu einer Freilassung niederer
Ordnung degradiert worden war. In Gallien hatte die Kirche es ver-
standen die Freilassung in den Kreis ihrer Interessen zu ziehen 27.
Sie begünstigte sie als ein frommes gottgefälliges Werk, arbeitete aber
mit Erfolg darauf hin, dass die Freigelassenen unter ihren Schutz ge-
stellt wurden. Schon die Gesetzgebung Konstantins hatte eine kirch-
liche Form der Freilassung geschaffen, darin bestehend, dass der Sklave
in der Kirche vor dem Bischof freigelassen und darüber eine Urkunde
aufgenommen wurde 28. Diese Freilassungsform fand die häufigste
Anwendung. Daneben bestanden zwar im römischen Vulgarrechte
noch die Freilassung durch Testament und die durch Begebung eines
Freibriefs, allein die Kirche wirkte darauf ein, dass in solchen
Fällen der Freigelassene ihrem Schutze empfohlen werde. Ferner be-
trachtete sie es als ihr Recht und ihre Aufgabe, die Freigelassenen
jeder Art zu schützen und in ihrer Freiheit zu verteidigen 29. Wer
die Freiheit eines Freigelassenen bestritt, sollte sich, so verlangte ein
Konzil von 585, zunächst an den Bischof wenden 30. Das Bestreben

26 Liti und liberti vertreten sich in Lex Sal. 26, liberti und lazzi in Rudolfs
Translatio S. Alexandri c. 1, SS II 675 und Nithard IV 2, SS II 668.
27 Loening, Kirchenrecht I 325.
28 Cod. Just. I 13 c. 1; Cod. Theod. IV 7 c. 1.
29 Conc. Agath. v. J. 506 c. 29; Conc. Paris. v. J. 614 c. 5; Clichy v. J. 626
c. 19. Hinsichtlich derjenigen, die gemäss der Konstitution Konstantins die Freiheit
empfangen hatten, wurde später das Schutzrecht der Kirche eigentümlicherweise
aus jener Konstitution hergeleitet, obzwar sie kein Wort davon sagt. Carta Senon.
App. 3, Zeumer S 210, Roziere Nr 63: secundum constitutionem bene memorie
Constantine legis, qua sanxum est, ut omnis, qui sub oculis episcoporum, presbitero-
rum seu diaconorum in ecclesia manumittantur, a civitate (ad civitatem Romanam)
pertinere et ab ecclesia defensatur. Vgl. Form. Bitur. 9.
30 Zweites Konzil von Macon c. 9. Loening, Kirchenrecht II 237.
§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.

Halbfrei war endlich die gröſsere Menge der Freigelassenen.
Denn auch in fränkischer Zeit gewährte die Freilassung in der Regel
nur eine beschränkte Freiheit, welche den Freigelassenen in der Hand
des Freilassers festhielt oder ihn doch unter eine Schutzherrschaft
stellte. Die Freilassung niederer Ordnung machte bei den nieder-
deutschen Stämmen zum Liten 26, bei den Langobarden zum Aldio.
Anderwärts erscheint der Freigelassene geringeren Rechtes als libertus
schlechtweg, so bei den Thüringern, wo ihm das halbe Wergeld des
Freien, so bei den Baiern, wo ihm das zweifache Wergeld des
Knechtes zugesprochen wird.

Neben den stammesrechtlichen Freilassungsarten kamen die des
römischen Rechtes zur Anwendung und zwar zumeist in einer Form,
welche durch den Einfluſs der Kirche zu einer Freilassung niederer
Ordnung degradiert worden war. In Gallien hatte die Kirche es ver-
standen die Freilassung in den Kreis ihrer Interessen zu ziehen 27.
Sie begünstigte sie als ein frommes gottgefälliges Werk, arbeitete aber
mit Erfolg darauf hin, daſs die Freigelassenen unter ihren Schutz ge-
stellt wurden. Schon die Gesetzgebung Konstantins hatte eine kirch-
liche Form der Freilassung geschaffen, darin bestehend, daſs der Sklave
in der Kirche vor dem Bischof freigelassen und darüber eine Urkunde
aufgenommen wurde 28. Diese Freilassungsform fand die häufigste
Anwendung. Daneben bestanden zwar im römischen Vulgarrechte
noch die Freilassung durch Testament und die durch Begebung eines
Freibriefs, allein die Kirche wirkte darauf ein, daſs in solchen
Fällen der Freigelassene ihrem Schutze empfohlen werde. Ferner be-
trachtete sie es als ihr Recht und ihre Aufgabe, die Freigelassenen
jeder Art zu schützen und in ihrer Freiheit zu verteidigen 29. Wer
die Freiheit eines Freigelassenen bestritt, sollte sich, so verlangte ein
Konzil von 585, zunächst an den Bischof wenden 30. Das Bestreben

26 Liti und liberti vertreten sich in Lex Sal. 26, liberti und lazzi in Rudolfs
Translatio S. Alexandri c. 1, SS II 675 und Nithard IV 2, SS II 668.
27 Loening, Kirchenrecht I 325.
28 Cod. Just. I 13 c. 1; Cod. Theod. IV 7 c. 1.
29 Conc. Agath. v. J. 506 c. 29; Conc. Paris. v. J. 614 c. 5; Clichy v. J. 626
c. 19. Hinsichtlich derjenigen, die gemäſs der Konstitution Konstantins die Freiheit
empfangen hatten, wurde später das Schutzrecht der Kirche eigentümlicherweise
aus jener Konstitution hergeleitet, obzwar sie kein Wort davon sagt. Carta Senon.
App. 3, Zeumer S 210, Rozière Nr 63: secundum constitutionem bene memorie
Constantine legis, qua sanxum est, ut omnis, qui sub oculis episcoporum, presbitero-
rum seu diaconorum in ecclesia manumittantur, a civitate (ad civitatem Romanam)
pertinere et ab ecclesia defensatur. Vgl. Form. Bitur. 9.
30 Zweites Konzil von Mâcon c. 9. Loening, Kirchenrecht II 237.
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[242/0260] § 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen. Halbfrei war endlich die gröſsere Menge der Freigelassenen. Denn auch in fränkischer Zeit gewährte die Freilassung in der Regel nur eine beschränkte Freiheit, welche den Freigelassenen in der Hand des Freilassers festhielt oder ihn doch unter eine Schutzherrschaft stellte. Die Freilassung niederer Ordnung machte bei den nieder- deutschen Stämmen zum Liten 26, bei den Langobarden zum Aldio. Anderwärts erscheint der Freigelassene geringeren Rechtes als libertus schlechtweg, so bei den Thüringern, wo ihm das halbe Wergeld des Freien, so bei den Baiern, wo ihm das zweifache Wergeld des Knechtes zugesprochen wird. Neben den stammesrechtlichen Freilassungsarten kamen die des römischen Rechtes zur Anwendung und zwar zumeist in einer Form, welche durch den Einfluſs der Kirche zu einer Freilassung niederer Ordnung degradiert worden war. In Gallien hatte die Kirche es ver- standen die Freilassung in den Kreis ihrer Interessen zu ziehen 27. Sie begünstigte sie als ein frommes gottgefälliges Werk, arbeitete aber mit Erfolg darauf hin, daſs die Freigelassenen unter ihren Schutz ge- stellt wurden. Schon die Gesetzgebung Konstantins hatte eine kirch- liche Form der Freilassung geschaffen, darin bestehend, daſs der Sklave in der Kirche vor dem Bischof freigelassen und darüber eine Urkunde aufgenommen wurde 28. Diese Freilassungsform fand die häufigste Anwendung. Daneben bestanden zwar im römischen Vulgarrechte noch die Freilassung durch Testament und die durch Begebung eines Freibriefs, allein die Kirche wirkte darauf ein, daſs in solchen Fällen der Freigelassene ihrem Schutze empfohlen werde. Ferner be- trachtete sie es als ihr Recht und ihre Aufgabe, die Freigelassenen jeder Art zu schützen und in ihrer Freiheit zu verteidigen 29. Wer die Freiheit eines Freigelassenen bestritt, sollte sich, so verlangte ein Konzil von 585, zunächst an den Bischof wenden 30. Das Bestreben 26 Liti und liberti vertreten sich in Lex Sal. 26, liberti und lazzi in Rudolfs Translatio S. Alexandri c. 1, SS II 675 und Nithard IV 2, SS II 668. 27 Loening, Kirchenrecht I 325. 28 Cod. Just. I 13 c. 1; Cod. Theod. IV 7 c. 1. 29 Conc. Agath. v. J. 506 c. 29; Conc. Paris. v. J. 614 c. 5; Clichy v. J. 626 c. 19. Hinsichtlich derjenigen, die gemäſs der Konstitution Konstantins die Freiheit empfangen hatten, wurde später das Schutzrecht der Kirche eigentümlicherweise aus jener Konstitution hergeleitet, obzwar sie kein Wort davon sagt. Carta Senon. App. 3, Zeumer S 210, Rozière Nr 63: secundum constitutionem bene memorie Constantine legis, qua sanxum est, ut omnis, qui sub oculis episcoporum, presbitero- rum seu diaconorum in ecclesia manumittantur, a civitate (ad civitatem Romanam) pertinere et ab ecclesia defensatur. Vgl. Form. Bitur. 9. 30 Zweites Konzil von Mâcon c. 9. Loening, Kirchenrecht II 237.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/260>, abgerufen am 22.11.2024.