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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
dem römischen Urkundenstil entlehnte Klausel: habeat portas apertas, zu
erhalten. Ein solcher cartularius galt für einen vollfreien Römer, nur
dass der Fiskus sein Erbe und sein Wergeld nahm. Der cartularius
konnte aber auch unter den Schutz des Freilassers, der Kirche oder
eines Dritten gestellt und es konnte ihm die freie Wahl eines Schutz-
herrn überlassen werden. Kurz, seine Stellung wurde im einzelnen
Falle durch den Inhalt der carta manumissionis bestimmt.

Während die Kirche die Freilassung fremder Knechte beförderte,
um ihren Einfluss und ihr Vermögen zu vermehren, knüpfte sie die
Freilassung von Kirchensklaven an erschwerende Bedingungen. Nie-
mand sollte einen solchen nach einer in das ribuarische Volksrecht
aufgenommenen Vorschrift zum libertus machen, ohne der Kirche
einen Ersatzsklaven zu gewähren. Für den Fall, dass der Frei-
gelassene nicht unter das patrocinium der Kirche gestellt wurde, ver-
langte schon ein toledanisches Konzil vom Jahre 633, dass der Frei-
lasser zwei Knechte gleichen Wertes und gleichen Pekuliums zum
Ersatz gebe 40. Die Kirche wusste diese Forderung auch im frän-
kischen Reiche durchzusetzen, was aus Freilassungsurkunden des
neunten Jahrhunderts hervorgeht 41.

Wie die tabularii nebst den sonstigen Halbfreien der Kirche in
älterer Zeit als homines ecclesiastici, so werden die halbfreien Leute des
Königs als homines regii zusammengefasst. Zu ihnen gehören ins-
besondere die freigelassenen Knechte des Königs, welche nicht die
Rechte der vollfreien Franken erhalten haben. Ihre Freilassung konnte
durch Freibrief geschehen. Dieser Freibrief brauchte keine Königs-
urkunde zu sein. Es genügte, wenn der vom König zur Freilassung
ermächtigte Fiskalbeamte die epistola libertatis ausstellte 42.

Die Halbfreien konnten durch Freilassung die volle Freiheit er-
langen. Der colonus, der litus und der libertus (so nannte man den
Freigelassenen niederer Ordnung 43) konnte zum ingenuus im eigent-
lichen Sinne erhoben werden. Das römische Recht hatte zwar durch
die Fiktion, dass der Kolone persönlich frei sei, einer Freilassung des-

40 Aufgenommen in Regino, De synodalibus causis liber I c. 369, hg. von
Wasserschleben.
41 Brunner, Freilassung durch Schatzwurf S 70.
42 In Marculf I 39 wird der domesticus vom König angewiesen, aus Anlass
der Geburt eines Königssohnes in jeder villa drei Unfreie beiderlei Geschlechtes
"per vestras (des domesticus) epistolas" freizulassen. Das Formular des entsprechen-
den Freibriefs giebt Marculf II 52.
43 Siehe Zeumer, Beerbung der Freigelassenen, Forschungen XXIII 196.

§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
dem römischen Urkundenstil entlehnte Klausel: habeat portas apertas, zu
erhalten. Ein solcher cartularius galt für einen vollfreien Römer, nur
daſs der Fiskus sein Erbe und sein Wergeld nahm. Der cartularius
konnte aber auch unter den Schutz des Freilassers, der Kirche oder
eines Dritten gestellt und es konnte ihm die freie Wahl eines Schutz-
herrn überlassen werden. Kurz, seine Stellung wurde im einzelnen
Falle durch den Inhalt der carta manumissionis bestimmt.

Während die Kirche die Freilassung fremder Knechte beförderte,
um ihren Einfluſs und ihr Vermögen zu vermehren, knüpfte sie die
Freilassung von Kirchensklaven an erschwerende Bedingungen. Nie-
mand sollte einen solchen nach einer in das ribuarische Volksrecht
aufgenommenen Vorschrift zum libertus machen, ohne der Kirche
einen Ersatzsklaven zu gewähren. Für den Fall, daſs der Frei-
gelassene nicht unter das patrocinium der Kirche gestellt wurde, ver-
langte schon ein toledanisches Konzil vom Jahre 633, daſs der Frei-
lasser zwei Knechte gleichen Wertes und gleichen Pekuliums zum
Ersatz gebe 40. Die Kirche wuſste diese Forderung auch im frän-
kischen Reiche durchzusetzen, was aus Freilassungsurkunden des
neunten Jahrhunderts hervorgeht 41.

Wie die tabularii nebst den sonstigen Halbfreien der Kirche in
älterer Zeit als homines ecclesiastici, so werden die halbfreien Leute des
Königs als homines regii zusammengefaſst. Zu ihnen gehören ins-
besondere die freigelassenen Knechte des Königs, welche nicht die
Rechte der vollfreien Franken erhalten haben. Ihre Freilassung konnte
durch Freibrief geschehen. Dieser Freibrief brauchte keine Königs-
urkunde zu sein. Es genügte, wenn der vom König zur Freilassung
ermächtigte Fiskalbeamte die epistola libertatis ausstellte 42.

Die Halbfreien konnten durch Freilassung die volle Freiheit er-
langen. Der colonus, der litus und der libertus (so nannte man den
Freigelassenen niederer Ordnung 43) konnte zum ingenuus im eigent-
lichen Sinne erhoben werden. Das römische Recht hatte zwar durch
die Fiktion, daſs der Kolone persönlich frei sei, einer Freilassung des-

40 Aufgenommen in Regino, De synodalibus causis liber I c. 369, hg. von
Wasserschleben.
41 Brunner, Freilassung durch Schatzwurf S 70.
42 In Marculf I 39 wird der domesticus vom König angewiesen, aus Anlaſs
der Geburt eines Königssohnes in jeder villa drei Unfreie beiderlei Geschlechtes
„per vestras (des domesticus) epistolas“ freizulassen. Das Formular des entsprechen-
den Freibriefs giebt Marculf II 52.
43 Siehe Zeumer, Beerbung der Freigelassenen, Forschungen XXIII 196.
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[245/0263] § 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen. dem römischen Urkundenstil entlehnte Klausel: habeat portas apertas, zu erhalten. Ein solcher cartularius galt für einen vollfreien Römer, nur daſs der Fiskus sein Erbe und sein Wergeld nahm. Der cartularius konnte aber auch unter den Schutz des Freilassers, der Kirche oder eines Dritten gestellt und es konnte ihm die freie Wahl eines Schutz- herrn überlassen werden. Kurz, seine Stellung wurde im einzelnen Falle durch den Inhalt der carta manumissionis bestimmt. Während die Kirche die Freilassung fremder Knechte beförderte, um ihren Einfluſs und ihr Vermögen zu vermehren, knüpfte sie die Freilassung von Kirchensklaven an erschwerende Bedingungen. Nie- mand sollte einen solchen nach einer in das ribuarische Volksrecht aufgenommenen Vorschrift zum libertus machen, ohne der Kirche einen Ersatzsklaven zu gewähren. Für den Fall, daſs der Frei- gelassene nicht unter das patrocinium der Kirche gestellt wurde, ver- langte schon ein toledanisches Konzil vom Jahre 633, daſs der Frei- lasser zwei Knechte gleichen Wertes und gleichen Pekuliums zum Ersatz gebe 40. Die Kirche wuſste diese Forderung auch im frän- kischen Reiche durchzusetzen, was aus Freilassungsurkunden des neunten Jahrhunderts hervorgeht 41. Wie die tabularii nebst den sonstigen Halbfreien der Kirche in älterer Zeit als homines ecclesiastici, so werden die halbfreien Leute des Königs als homines regii zusammengefaſst. Zu ihnen gehören ins- besondere die freigelassenen Knechte des Königs, welche nicht die Rechte der vollfreien Franken erhalten haben. Ihre Freilassung konnte durch Freibrief geschehen. Dieser Freibrief brauchte keine Königs- urkunde zu sein. Es genügte, wenn der vom König zur Freilassung ermächtigte Fiskalbeamte die epistola libertatis ausstellte 42. Die Halbfreien konnten durch Freilassung die volle Freiheit er- langen. Der colonus, der litus und der libertus (so nannte man den Freigelassenen niederer Ordnung 43) konnte zum ingenuus im eigent- lichen Sinne erhoben werden. Das römische Recht hatte zwar durch die Fiktion, daſs der Kolone persönlich frei sei, einer Freilassung des- 40 Aufgenommen in Regino, De synodalibus causis liber I c. 369, hg. von Wasserschleben. 41 Brunner, Freilassung durch Schatzwurf S 70. 42 In Marculf I 39 wird der domesticus vom König angewiesen, aus Anlaſs der Geburt eines Königssohnes in jeder villa drei Unfreie beiderlei Geschlechtes „per vestras (des domesticus) epistolas“ freizulassen. Das Formular des entsprechen- den Freibriefs giebt Marculf II 52. 43 Siehe Zeumer, Beerbung der Freigelassenen, Forschungen XXIII 196.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/263>, abgerufen am 22.11.2024.