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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Freilassungen, welche in der Kirche geschehen, aber den Freigelassenen
jeder Schutzherrschaft entheben. Andrerseits setzen sie Freilassungen
ausserhalb der Kirche voraus, welche den Freigelassenen unter den
Schutz der Kirche stellten. In diesem Falle wurde ihm nicht selten
ein an die Kirche zu zahlender Wachszins auferlegt. Dann heisst er
cerarius 36.

In Alamannien hat die Kirche unter Herzog Lantfried auch die
Schutzherrschaft über die cartularii erlangt. Die Lex Alamannorum
spricht ihr das Wergeld der kinderlosen Freigelassenen zu, mögen
diese nun in der Kirche oder per cartam ihre Freiheit empfangen
haben 37. Dagegen hat die karolingische Gesetzgebung und Verwal-
tung die Rechte des Königtums an den cartularii mit Nachdruck ge-
wahrt, indem sie das Erbe und das Wergeld der cartularii für den
Fiskus in Anspruch nahm 38. Seitdem machte die Kirche geltend, dass
jede Freilassung, wenn sie zum Heil der Seele dienen wolle, in der
Kirche vorgenommen werden und den Freigelassenen in ihren Schutz
stellen müsse 39.

Der tabularius befand sich stets in erblicher Abhängigkeit von
der Kirche und konnte aus derselben nicht freigelassen werden. Er war
der Kirche zinspflichtig und gerichtspflichtig und entbehrte die Frei-
zügigkeit. Nach den Gesetzen Konstantins gewährte die Freilassung
in der Kirche die volle Freiheit des römischen Bürgers. Die Frei-
lassung zum tabularius, die sich aus der konstantinischen Form her-
ausgebildet hat, gab nur die Halbfreiheit. Die Kirche hatte sie zu
einer Freilassung schwächerer Wirkung herabgedrückt. Der cartularius
konnte von jeglichem patrocinium und von der Verpflichtung, ein liti-
monium zu zahlen, durch den Wortlaut der Freilassungsurkunde ent-
hoben werden. Das Recht der Freizügigkeit pflegte er durch die wohl

36 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 15, I 50, wo cerarii et tabularii atque cartolarii
unterschieden werden.
37 Lex Alam. Hlo. 17, Lantfr. 15.
38 Cap. Aquisgr. von 801--813 c. 6, I 171. Cap. ad leg. Baiuw. add. von
801--813 c. 6, I 158: hi vero qui per cartam ingenuitatis dimissi sunt liberi, ubi
nullum patrocinium et defensionem non elegerint, similiter regi componantur 40
solidis. Cap. legi Rib. add. v. J. 803 c. 10, I 118. Lex Chamav. c. 12. Form.
imp. 38. Siehe Zeumer, Über die Beerbung der Freigelassenen durch den Fiscus,
Forschungen XXIII 189 ff.
39 Regino, De synodalibus causis liber I c. 416, hg. von Wasserschleben:
non solum autem qui ad clericatus ordinem promovendi sunt, in ecclesia manu-
mittendi sunt, verum etiam hi quos quisque pro remedio animae suae emancipare
vult, secundum legem mundanam in ecclesia absolvi debent et eiusdem ecclesiae
patrocinio commendari. Siehe Guerard, Polypt. I 373 Anm 7.

§ 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen.
Freilassungen, welche in der Kirche geschehen, aber den Freigelassenen
jeder Schutzherrschaft entheben. Andrerseits setzen sie Freilassungen
auſserhalb der Kirche voraus, welche den Freigelassenen unter den
Schutz der Kirche stellten. In diesem Falle wurde ihm nicht selten
ein an die Kirche zu zahlender Wachszins auferlegt. Dann heiſst er
cerarius 36.

In Alamannien hat die Kirche unter Herzog Lantfried auch die
Schutzherrschaft über die cartularii erlangt. Die Lex Alamannorum
spricht ihr das Wergeld der kinderlosen Freigelassenen zu, mögen
diese nun in der Kirche oder per cartam ihre Freiheit empfangen
haben 37. Dagegen hat die karolingische Gesetzgebung und Verwal-
tung die Rechte des Königtums an den cartularii mit Nachdruck ge-
wahrt, indem sie das Erbe und das Wergeld der cartularii für den
Fiskus in Anspruch nahm 38. Seitdem machte die Kirche geltend, daſs
jede Freilassung, wenn sie zum Heil der Seele dienen wolle, in der
Kirche vorgenommen werden und den Freigelassenen in ihren Schutz
stellen müsse 39.

Der tabularius befand sich stets in erblicher Abhängigkeit von
der Kirche und konnte aus derselben nicht freigelassen werden. Er war
der Kirche zinspflichtig und gerichtspflichtig und entbehrte die Frei-
zügigkeit. Nach den Gesetzen Konstantins gewährte die Freilassung
in der Kirche die volle Freiheit des römischen Bürgers. Die Frei-
lassung zum tabularius, die sich aus der konstantinischen Form her-
ausgebildet hat, gab nur die Halbfreiheit. Die Kirche hatte sie zu
einer Freilassung schwächerer Wirkung herabgedrückt. Der cartularius
konnte von jeglichem patrocinium und von der Verpflichtung, ein liti-
monium zu zahlen, durch den Wortlaut der Freilassungsurkunde ent-
hoben werden. Das Recht der Freizügigkeit pflegte er durch die wohl

36 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 15, I 50, wo cerarii et tabularii atque cartolarii
unterschieden werden.
37 Lex Alam. Hlo. 17, Lantfr. 15.
38 Cap. Aquisgr. von 801—813 c. 6, I 171. Cap. ad leg. Baiuw. add. von
801—813 c. 6, I 158: hi vero qui per cartam ingenuitatis dimissi sunt liberi, ubi
nullum patrocinium et defensionem non elegerint, similiter regi componantur 40
solidis. Cap. legi Rib. add. v. J. 803 c. 10, I 118. Lex Chamav. c. 12. Form.
imp. 38. Siehe Zeumer, Über die Beerbung der Freigelassenen durch den Fiscus,
Forschungen XXIII 189 ff.
39 Regino, De synodalibus causis liber I c. 416, hg. von Wasserschleben:
non solum autem qui ad clericatus ordinem promovendi sunt, in ecclesia manu-
mittendi sunt, verum etiam hi quos quisque pro remedio animae suae emancipare
vult, secundum legem mundanam in ecclesia absolvi debent et eiusdem ecclesiae
patrocinio commendari. Siehe Guérard, Polypt. I 373 Anm 7.
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[244/0262] § 31. Die Halbfreien und die Freigelassenen. Freilassungen, welche in der Kirche geschehen, aber den Freigelassenen jeder Schutzherrschaft entheben. Andrerseits setzen sie Freilassungen auſserhalb der Kirche voraus, welche den Freigelassenen unter den Schutz der Kirche stellten. In diesem Falle wurde ihm nicht selten ein an die Kirche zu zahlender Wachszins auferlegt. Dann heiſst er cerarius 36. In Alamannien hat die Kirche unter Herzog Lantfried auch die Schutzherrschaft über die cartularii erlangt. Die Lex Alamannorum spricht ihr das Wergeld der kinderlosen Freigelassenen zu, mögen diese nun in der Kirche oder per cartam ihre Freiheit empfangen haben 37. Dagegen hat die karolingische Gesetzgebung und Verwal- tung die Rechte des Königtums an den cartularii mit Nachdruck ge- wahrt, indem sie das Erbe und das Wergeld der cartularii für den Fiskus in Anspruch nahm 38. Seitdem machte die Kirche geltend, daſs jede Freilassung, wenn sie zum Heil der Seele dienen wolle, in der Kirche vorgenommen werden und den Freigelassenen in ihren Schutz stellen müsse 39. Der tabularius befand sich stets in erblicher Abhängigkeit von der Kirche und konnte aus derselben nicht freigelassen werden. Er war der Kirche zinspflichtig und gerichtspflichtig und entbehrte die Frei- zügigkeit. Nach den Gesetzen Konstantins gewährte die Freilassung in der Kirche die volle Freiheit des römischen Bürgers. Die Frei- lassung zum tabularius, die sich aus der konstantinischen Form her- ausgebildet hat, gab nur die Halbfreiheit. Die Kirche hatte sie zu einer Freilassung schwächerer Wirkung herabgedrückt. Der cartularius konnte von jeglichem patrocinium und von der Verpflichtung, ein liti- monium zu zahlen, durch den Wortlaut der Freilassungsurkunde ent- hoben werden. Das Recht der Freizügigkeit pflegte er durch die wohl 36 Cap. Haristall. v. J. 779 c. 15, I 50, wo cerarii et tabularii atque cartolarii unterschieden werden. 37 Lex Alam. Hlo. 17, Lantfr. 15. 38 Cap. Aquisgr. von 801—813 c. 6, I 171. Cap. ad leg. Baiuw. add. von 801—813 c. 6, I 158: hi vero qui per cartam ingenuitatis dimissi sunt liberi, ubi nullum patrocinium et defensionem non elegerint, similiter regi componantur 40 solidis. Cap. legi Rib. add. v. J. 803 c. 10, I 118. Lex Chamav. c. 12. Form. imp. 38. Siehe Zeumer, Über die Beerbung der Freigelassenen durch den Fiscus, Forschungen XXIII 189 ff. 39 Regino, De synodalibus causis liber I c. 416, hg. von Wasserschleben: non solum autem qui ad clericatus ordinem promovendi sunt, in ecclesia manu- mittendi sunt, verum etiam hi quos quisque pro remedio animae suae emancipare vult, secundum legem mundanam in ecclesia absolvi debent et eiusdem ecclesiae patrocinio commendari. Siehe Guérard, Polypt. I 373 Anm 7.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/262>, abgerufen am 22.11.2024.