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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 32. Adel und Freie.
der vornehmsten Sachsen zu Grafen bestellen 19. Nicht die Adeligen,
sondern nur die Freien und Liten hatten Anlass, nach dem Tode
Ludwigs des Frommen in einem fruchtlosen Aufstande für die Wieder-
herstellung der alten Zustände zu kämpfen. Der Adel, dem wir später
bei den Sachsen begegnen, ist zum Teile Amtsadel.

Mit auffallender Beharrlichkeit haben die Friesen ihre alt-
ständischen Verhältnisse und ihren Geschlechtsadel bewahrt. Bis in
das fünfzehnte Jahrhundert hinein kennen die nicht frankonisierten
Teile Frieslands die Gliederung des Volkes in Ethelinge, Frilinge und
Liten. Auch das Verhältnis der Wergeldsätze hat sich kaum ge-
ändert. Der Etheling besitzt das doppelte, in einzelnen Gegenden
das anderthalbfache, der Lite das halbe Wergeld des Freien 20.

Bei den Baiern lassen sich die fünf Adelsgeschlechter, welche ihr
Volksrecht als die ersten nach den Agilolfingern nennt, zum Teil über
die fränkische Zeit hinaus in hervorragender Stellung verfolgen 21.
Das Geschlecht der Fagana verfügt unter Tassilo III. über aus-
gedehnten Grundbesitz 22. Zwei Fagana fungieren 743 als bairische
iudices 23. Unter den bairischen Bischöfen des neunten Jahrhunderts
scheinen die Fagana und die Huosier vertreten zu sein 24. Von den
Huosiern sollen die nachmaligen Grafen von Pitten abstammen 25.

Die Salier und die Ribuarier hatten, wie schon oben bemerkt
worden ist, ausser dem Königsgeschlechte keinen Geburtsadel. Wahr-
scheinlich war er hier durch das Königtum ausgerottet oder seiner
Vorrechte entkleidet worden. Die soziale Stellung des Adels fiel bei
den Franken einer sich allmählich ausbildenden Aristokratie des
Königsdienstes und des Grossgrundbesitzes zu, welche die Quellen als
potentes, meliores, priores, proceres, nobiles oder optimates bezeichnen.
In den Gegenden, wo die Franken nur oder doch hauptsächlich als

19 Annales Lauresham. zu 782, SS I 32; Waitz, VG III 129.
20 v. Richthofen, Untersuchungen zur friesischen RG II 1107 ff. Eine Wer-
geldordnung von 1504 a. O. S 1110 giebt dem Häuptling (nobilis) das doppelte Wer-
geld des freien Hausmanns, dem Heuermann (Liten) das halbe Wergeld des Freien.
21 Die in jüngeren Quellen vorhandenen Nachrichten über die Adelsgeschlechter
der Lex Baiuw. hat Merkel, Z f. RG I 255 zusammengestellt. Doch bleibt noch
Raum für mancherlei Ergänzungen.
22 Meichelbeck, Hist. Fris. I S 49.
23 Meichelbeck I S 44, vgl. mit I S 49. S. oben S 150 Anm 36.
24 Von den Freisinger Bischöfen gehörten Otto (784--811) vermutlich dem
Stamme der Fagana, Hitto (811--835) und Erchenbert (836--854) wahrscheinlich,
Anno (855--875) und Arnold (875--883) vielleicht dem Geschlechte der Huosier an.
Graf Hundt, Abh. der bayer. Akad. XIII 22. 26 f. 35. 39. 41.
25 Graf Hundt a. O. XIII 7.

§ 32. Adel und Freie.
der vornehmsten Sachsen zu Grafen bestellen 19. Nicht die Adeligen,
sondern nur die Freien und Liten hatten Anlaſs, nach dem Tode
Ludwigs des Frommen in einem fruchtlosen Aufstande für die Wieder-
herstellung der alten Zustände zu kämpfen. Der Adel, dem wir später
bei den Sachsen begegnen, ist zum Teile Amtsadel.

Mit auffallender Beharrlichkeit haben die Friesen ihre alt-
ständischen Verhältnisse und ihren Geschlechtsadel bewahrt. Bis in
das fünfzehnte Jahrhundert hinein kennen die nicht frankonisierten
Teile Frieslands die Gliederung des Volkes in Ethelinge, Frilinge und
Liten. Auch das Verhältnis der Wergeldsätze hat sich kaum ge-
ändert. Der Etheling besitzt das doppelte, in einzelnen Gegenden
das anderthalbfache, der Lite das halbe Wergeld des Freien 20.

Bei den Baiern lassen sich die fünf Adelsgeschlechter, welche ihr
Volksrecht als die ersten nach den Agilolfingern nennt, zum Teil über
die fränkische Zeit hinaus in hervorragender Stellung verfolgen 21.
Das Geschlecht der Fagana verfügt unter Tassilo III. über aus-
gedehnten Grundbesitz 22. Zwei Fagana fungieren 743 als bairische
iudices 23. Unter den bairischen Bischöfen des neunten Jahrhunderts
scheinen die Fagana und die Huosier vertreten zu sein 24. Von den
Huosiern sollen die nachmaligen Grafen von Pitten abstammen 25.

Die Salier und die Ribuarier hatten, wie schon oben bemerkt
worden ist, auſser dem Königsgeschlechte keinen Geburtsadel. Wahr-
scheinlich war er hier durch das Königtum ausgerottet oder seiner
Vorrechte entkleidet worden. Die soziale Stellung des Adels fiel bei
den Franken einer sich allmählich ausbildenden Aristokratie des
Königsdienstes und des Groſsgrundbesitzes zu, welche die Quellen als
potentes, meliores, priores, proceres, nobiles oder optimates bezeichnen.
In den Gegenden, wo die Franken nur oder doch hauptsächlich als

19 Annales Lauresham. zu 782, SS I 32; Waitz, VG III 129.
20 v. Richthofen, Untersuchungen zur friesischen RG II 1107 ff. Eine Wer-
geldordnung von 1504 a. O. S 1110 giebt dem Häuptling (nobilis) das doppelte Wer-
geld des freien Hausmanns, dem Heuermann (Liten) das halbe Wergeld des Freien.
21 Die in jüngeren Quellen vorhandenen Nachrichten über die Adelsgeschlechter
der Lex Baiuw. hat Merkel, Z f. RG I 255 zusammengestellt. Doch bleibt noch
Raum für mancherlei Ergänzungen.
22 Meichelbeck, Hist. Fris. I S 49.
23 Meichelbeck I S 44, vgl. mit I S 49. S. oben S 150 Anm 36.
24 Von den Freisinger Bischöfen gehörten Otto (784—811) vermutlich dem
Stamme der Fagana, Hitto (811—835) und Erchenbert (836—854) wahrscheinlich,
Anno (855—875) und Arnold (875—883) vielleicht dem Geschlechte der Huosier an.
Graf Hundt, Abh. der bayer. Akad. XIII 22. 26 f. 35. 39. 41.
25 Graf Hundt a. O. XIII 7.
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[251/0269] § 32. Adel und Freie. der vornehmsten Sachsen zu Grafen bestellen 19. Nicht die Adeligen, sondern nur die Freien und Liten hatten Anlaſs, nach dem Tode Ludwigs des Frommen in einem fruchtlosen Aufstande für die Wieder- herstellung der alten Zustände zu kämpfen. Der Adel, dem wir später bei den Sachsen begegnen, ist zum Teile Amtsadel. Mit auffallender Beharrlichkeit haben die Friesen ihre alt- ständischen Verhältnisse und ihren Geschlechtsadel bewahrt. Bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein kennen die nicht frankonisierten Teile Frieslands die Gliederung des Volkes in Ethelinge, Frilinge und Liten. Auch das Verhältnis der Wergeldsätze hat sich kaum ge- ändert. Der Etheling besitzt das doppelte, in einzelnen Gegenden das anderthalbfache, der Lite das halbe Wergeld des Freien 20. Bei den Baiern lassen sich die fünf Adelsgeschlechter, welche ihr Volksrecht als die ersten nach den Agilolfingern nennt, zum Teil über die fränkische Zeit hinaus in hervorragender Stellung verfolgen 21. Das Geschlecht der Fagana verfügt unter Tassilo III. über aus- gedehnten Grundbesitz 22. Zwei Fagana fungieren 743 als bairische iudices 23. Unter den bairischen Bischöfen des neunten Jahrhunderts scheinen die Fagana und die Huosier vertreten zu sein 24. Von den Huosiern sollen die nachmaligen Grafen von Pitten abstammen 25. Die Salier und die Ribuarier hatten, wie schon oben bemerkt worden ist, auſser dem Königsgeschlechte keinen Geburtsadel. Wahr- scheinlich war er hier durch das Königtum ausgerottet oder seiner Vorrechte entkleidet worden. Die soziale Stellung des Adels fiel bei den Franken einer sich allmählich ausbildenden Aristokratie des Königsdienstes und des Groſsgrundbesitzes zu, welche die Quellen als potentes, meliores, priores, proceres, nobiles oder optimates bezeichnen. In den Gegenden, wo die Franken nur oder doch hauptsächlich als 19 Annales Lauresham. zu 782, SS I 32; Waitz, VG III 129. 20 v. Richthofen, Untersuchungen zur friesischen RG II 1107 ff. Eine Wer- geldordnung von 1504 a. O. S 1110 giebt dem Häuptling (nobilis) das doppelte Wer- geld des freien Hausmanns, dem Heuermann (Liten) das halbe Wergeld des Freien. 21 Die in jüngeren Quellen vorhandenen Nachrichten über die Adelsgeschlechter der Lex Baiuw. hat Merkel, Z f. RG I 255 zusammengestellt. Doch bleibt noch Raum für mancherlei Ergänzungen. 22 Meichelbeck, Hist. Fris. I S 49. 23 Meichelbeck I S 44, vgl. mit I S 49. S. oben S 150 Anm 36. 24 Von den Freisinger Bischöfen gehörten Otto (784—811) vermutlich dem Stamme der Fagana, Hitto (811—835) und Erchenbert (836—854) wahrscheinlich, Anno (855—875) und Arnold (875—883) vielleicht dem Geschlechte der Huosier an. Graf Hundt, Abh. der bayer. Akad. XIII 22. 26 f. 35. 39. 41. 25 Graf Hundt a. O. XIII 7.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/269>, abgerufen am 22.11.2024.