Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 34. Das Personalitätsprinzip. verlangt 27. Doch beginnt man schon in fränkischer Zeit auf dieLiegenschaften Grundsätze anzuwenden, welche die Loslösung der Im- mobilien von dem Stammesrechte ihrer jeweiligen Eigentümer vor- bereiten. Zunächst in prozessualischer Hinsicht. Da die Erwerbstitel des Veräusserers, welche dieser aus Anlass der Veräusserung dem neuen Erwerber des Grundstücks zu übergeben pflegte, regelmässig auf die dem Personalrechte des Veräusserers entsprechende prozes- sualische Verfolgung und Verteidigung berechnet waren, da ferner im Rechtsstreit um das Gut die Notwendigkeit eintreten konnte, den Gewährsmann zu stellen, so lag es nicht selten im Interesse des Eigentümers, sich im Prozess um das Grundstück nach dem Geburts- rechte seines Vormanns verteidigen zu können 28. Das fränkische Reichsrecht brachte diesen Gesichtspunkt zu Gunsten der Kirchengüter zur Geltung, welche auf Grund einer unter Karl dem Grossen aus- gesprochenen, durch ein Kapitular Ludwigs I. eingeschärften Sentenz nach dem Stammesrechte der Donatoren verteidigt werden sollten 29. In Italien wurde es Rechtens, dass der Eigentümer, der sein Geburts- recht aufgegeben oder verloren und ein anderes Personalrecht erworben hatte, ererbte Güter nicht nach letzterem, sondern nach ersterem übereignete. So schenken und tradieren Ehefrauen ihr Erbgut nicht nach dem Rechte des Mannes, welches während der Ehe ihr persön- liches Recht ist, sondern nach ihrem Geburtsrechte 30. Desgleichen übereignen Geistliche ererbte Grundstücke nach ihrem Geburtsrecht, auch wenn sie nicht nach diesem, sondern nach römischem Rechte 27 Bernard, Chartes de Cluny I 101 Nr 90 von 905, Veräusserung von Gütern in pago Lucdunensi: vendimus, tradimus atque transfondimus secundum legem nostram salicam. Angeschlossen ist eine notitia warpituria, in der es heisst: et revestivit .. per suum andelangum secundum legem salicam et se exitum inde fecit. Loersch u. Schröder a. O. Nr 77 von 957 (aus der Histoire de Metz I 70): tradidi per manus fidelium meorum lege salica viventium .. praedium meum. Zahlreiche Beispiele bieten die italienischen Urkunden seit der Mitte des neunten Jahrhunderts; siehe u. a. Loersch u. Schröder a. O. Nr 68 von 872. 28 Die Lex Burg. gestattet 55, 2 dem Burgunder, der ein Grundstück durch königliche Schenkung (publica largitione) erhalten hat, dasselbe nach römischem Rechte einzuklagen und zu verteidigen. Vermutlich waren es römische Fiskalgüter, welche den Grundstock der publicae largitiones bildeten. 29 Cap. von circa 820 c. 3, I 297. 30 Die mit einem Römer verheiratete Langobardin veräussert ihr Gut nach
langobardischem Rechte Mon. Patriae, Chartae, I 193, von 961. Schröder, Ehe- liches Güterrecht I 21 Anm 13. Urkunden des 11. Jahrhunderts lassen ersehen, dass Frauen von Saliern und Alamannen ihre Güter nach langobardischem Geburts- rechte übereignen. Pertile, Storia I 58 Anm 22. § 34. Das Personalitätsprinzip. verlangt 27. Doch beginnt man schon in fränkischer Zeit auf dieLiegenschaften Grundsätze anzuwenden, welche die Loslösung der Im- mobilien von dem Stammesrechte ihrer jeweiligen Eigentümer vor- bereiten. Zunächst in prozessualischer Hinsicht. Da die Erwerbstitel des Veräuſserers, welche dieser aus Anlaſs der Veräuſserung dem neuen Erwerber des Grundstücks zu übergeben pflegte, regelmäſsig auf die dem Personalrechte des Veräuſserers entsprechende prozes- sualische Verfolgung und Verteidigung berechnet waren, da ferner im Rechtsstreit um das Gut die Notwendigkeit eintreten konnte, den Gewährsmann zu stellen, so lag es nicht selten im Interesse des Eigentümers, sich im Prozeſs um das Grundstück nach dem Geburts- rechte seines Vormanns verteidigen zu können 28. Das fränkische Reichsrecht brachte diesen Gesichtspunkt zu Gunsten der Kirchengüter zur Geltung, welche auf Grund einer unter Karl dem Groſsen aus- gesprochenen, durch ein Kapitular Ludwigs I. eingeschärften Sentenz nach dem Stammesrechte der Donatoren verteidigt werden sollten 29. In Italien wurde es Rechtens, daſs der Eigentümer, der sein Geburts- recht aufgegeben oder verloren und ein anderes Personalrecht erworben hatte, ererbte Güter nicht nach letzterem, sondern nach ersterem übereignete. So schenken und tradieren Ehefrauen ihr Erbgut nicht nach dem Rechte des Mannes, welches während der Ehe ihr persön- liches Recht ist, sondern nach ihrem Geburtsrechte 30. Desgleichen übereignen Geistliche ererbte Grundstücke nach ihrem Geburtsrecht, auch wenn sie nicht nach diesem, sondern nach römischem Rechte 27 Bernard, Chartes de Cluny I 101 Nr 90 von 905, Veräuſserung von Gütern in pago Lucdunensi: vendimus, tradimus atque transfondimus secundum legem nostram salicam. Angeschlossen ist eine notitia warpituria, in der es heiſst: et revestivit .. per suum andelangum secundum legem salicam et se exitum inde fecit. Loersch u. Schröder a. O. Nr 77 von 957 (aus der Histoire de Metz I 70): tradidi per manus fidelium meorum lege salica viventium .. praedium meum. Zahlreiche Beispiele bieten die italienischen Urkunden seit der Mitte des neunten Jahrhunderts; siehe u. a. Loersch u. Schröder a. O. Nr 68 von 872. 28 Die Lex Burg. gestattet 55, 2 dem Burgunder, der ein Grundstück durch königliche Schenkung (publica largitione) erhalten hat, dasselbe nach römischem Rechte einzuklagen und zu verteidigen. Vermutlich waren es römische Fiskalgüter, welche den Grundstock der publicae largitiones bildeten. 29 Cap. von circa 820 c. 3, I 297. 30 Die mit einem Römer verheiratete Langobardin veräuſsert ihr Gut nach
langobardischem Rechte Mon. Patriae, Chartae, I 193, von 961. Schröder, Ehe- liches Güterrecht I 21 Anm 13. Urkunden des 11. Jahrhunderts lassen ersehen, daſs Frauen von Saliern und Alamannen ihre Güter nach langobardischem Geburts- rechte übereignen. Pertile, Storia I 58 Anm 22. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0283" n="265"/><fw place="top" type="header">§ 34. Das Personalitätsprinzip.</fw><lb/> verlangt <note place="foot" n="27"><hi rendition="#g">Bernard</hi>, Chartes de Cluny I 101 Nr 90 von 905, Veräuſserung von Gütern<lb/> in pago Lucdunensi: vendimus, tradimus atque transfondimus secundum legem<lb/> nostram salicam. Angeschlossen ist eine notitia warpituria, in der es heiſst: et<lb/> revestivit .. per suum andelangum secundum legem salicam et se exitum inde fecit.<lb/><hi rendition="#g">Loersch u. Schröder</hi> a. O. Nr 77 von 957 (aus der Histoire de Metz I 70): tradidi<lb/> per manus fidelium meorum lege salica viventium .. praedium meum. Zahlreiche<lb/> Beispiele bieten die italienischen Urkunden seit der Mitte des neunten Jahrhunderts;<lb/> siehe u. a. <hi rendition="#g">Loersch u. Schröder</hi> a. O. Nr 68 von 872.</note>. Doch beginnt man schon in fränkischer Zeit auf die<lb/> Liegenschaften Grundsätze anzuwenden, welche die Loslösung der Im-<lb/> mobilien von dem Stammesrechte ihrer jeweiligen Eigentümer vor-<lb/> bereiten. Zunächst in prozessualischer Hinsicht. Da die Erwerbstitel<lb/> des Veräuſserers, welche dieser aus Anlaſs der Veräuſserung dem<lb/> neuen Erwerber des Grundstücks zu übergeben pflegte, regelmäſsig<lb/> auf die dem Personalrechte des Veräuſserers entsprechende prozes-<lb/> sualische Verfolgung und Verteidigung berechnet waren, da ferner im<lb/> Rechtsstreit um das Gut die Notwendigkeit eintreten konnte, den<lb/> Gewährsmann zu stellen, so lag es nicht selten im Interesse des<lb/> Eigentümers, sich im Prozeſs um das Grundstück nach dem Geburts-<lb/> rechte seines Vormanns verteidigen zu können <note place="foot" n="28">Die Lex Burg. gestattet 55, 2 dem Burgunder, der ein Grundstück durch<lb/> königliche Schenkung (publica largitione) erhalten hat, dasselbe nach römischem<lb/> Rechte einzuklagen und zu verteidigen. Vermutlich waren es römische Fiskalgüter,<lb/> welche den Grundstock der publicae largitiones bildeten.</note>. Das fränkische<lb/> Reichsrecht brachte diesen Gesichtspunkt zu Gunsten der Kirchengüter<lb/> zur Geltung, welche auf Grund einer unter Karl dem Groſsen aus-<lb/> gesprochenen, durch ein Kapitular Ludwigs I. eingeschärften Sentenz<lb/> nach dem Stammesrechte der Donatoren verteidigt werden sollten <note place="foot" n="29">Cap. von circa 820 c. 3, I 297.</note>.<lb/> In Italien wurde es Rechtens, daſs der Eigentümer, der sein Geburts-<lb/> recht aufgegeben oder verloren und ein anderes Personalrecht erworben<lb/> hatte, ererbte Güter nicht nach letzterem, sondern nach ersterem<lb/> übereignete. So schenken und tradieren Ehefrauen ihr Erbgut nicht<lb/> nach dem Rechte des Mannes, welches während der Ehe ihr persön-<lb/> liches Recht ist, sondern nach ihrem Geburtsrechte <note place="foot" n="30">Die mit einem Römer verheiratete Langobardin veräuſsert ihr Gut nach<lb/> langobardischem Rechte Mon. Patriae, Chartae, I 193, von 961. <hi rendition="#g">Schröder</hi>, Ehe-<lb/> liches Güterrecht I 21 Anm 13. Urkunden des 11. Jahrhunderts lassen ersehen,<lb/> daſs Frauen von Saliern und Alamannen ihre Güter nach langobardischem Geburts-<lb/> rechte übereignen. <hi rendition="#g">Pertile</hi>, Storia I 58 Anm 22.</note>. Desgleichen<lb/> übereignen Geistliche ererbte Grundstücke nach ihrem Geburtsrecht,<lb/> auch wenn sie nicht nach diesem, sondern nach römischem Rechte<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [265/0283]
§ 34. Das Personalitätsprinzip.
verlangt 27. Doch beginnt man schon in fränkischer Zeit auf die
Liegenschaften Grundsätze anzuwenden, welche die Loslösung der Im-
mobilien von dem Stammesrechte ihrer jeweiligen Eigentümer vor-
bereiten. Zunächst in prozessualischer Hinsicht. Da die Erwerbstitel
des Veräuſserers, welche dieser aus Anlaſs der Veräuſserung dem
neuen Erwerber des Grundstücks zu übergeben pflegte, regelmäſsig
auf die dem Personalrechte des Veräuſserers entsprechende prozes-
sualische Verfolgung und Verteidigung berechnet waren, da ferner im
Rechtsstreit um das Gut die Notwendigkeit eintreten konnte, den
Gewährsmann zu stellen, so lag es nicht selten im Interesse des
Eigentümers, sich im Prozeſs um das Grundstück nach dem Geburts-
rechte seines Vormanns verteidigen zu können 28. Das fränkische
Reichsrecht brachte diesen Gesichtspunkt zu Gunsten der Kirchengüter
zur Geltung, welche auf Grund einer unter Karl dem Groſsen aus-
gesprochenen, durch ein Kapitular Ludwigs I. eingeschärften Sentenz
nach dem Stammesrechte der Donatoren verteidigt werden sollten 29.
In Italien wurde es Rechtens, daſs der Eigentümer, der sein Geburts-
recht aufgegeben oder verloren und ein anderes Personalrecht erworben
hatte, ererbte Güter nicht nach letzterem, sondern nach ersterem
übereignete. So schenken und tradieren Ehefrauen ihr Erbgut nicht
nach dem Rechte des Mannes, welches während der Ehe ihr persön-
liches Recht ist, sondern nach ihrem Geburtsrechte 30. Desgleichen
übereignen Geistliche ererbte Grundstücke nach ihrem Geburtsrecht,
auch wenn sie nicht nach diesem, sondern nach römischem Rechte
27 Bernard, Chartes de Cluny I 101 Nr 90 von 905, Veräuſserung von Gütern
in pago Lucdunensi: vendimus, tradimus atque transfondimus secundum legem
nostram salicam. Angeschlossen ist eine notitia warpituria, in der es heiſst: et
revestivit .. per suum andelangum secundum legem salicam et se exitum inde fecit.
Loersch u. Schröder a. O. Nr 77 von 957 (aus der Histoire de Metz I 70): tradidi
per manus fidelium meorum lege salica viventium .. praedium meum. Zahlreiche
Beispiele bieten die italienischen Urkunden seit der Mitte des neunten Jahrhunderts;
siehe u. a. Loersch u. Schröder a. O. Nr 68 von 872.
28 Die Lex Burg. gestattet 55, 2 dem Burgunder, der ein Grundstück durch
königliche Schenkung (publica largitione) erhalten hat, dasselbe nach römischem
Rechte einzuklagen und zu verteidigen. Vermutlich waren es römische Fiskalgüter,
welche den Grundstock der publicae largitiones bildeten.
29 Cap. von circa 820 c. 3, I 297.
30 Die mit einem Römer verheiratete Langobardin veräuſsert ihr Gut nach
langobardischem Rechte Mon. Patriae, Chartae, I 193, von 961. Schröder, Ehe-
liches Güterrecht I 21 Anm 13. Urkunden des 11. Jahrhunderts lassen ersehen,
daſs Frauen von Saliern und Alamannen ihre Güter nach langobardischem Geburts-
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