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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
leben 31. Nach Auflösung des fränkischen Reiches finden sich dies-
seits der Alpen vereinzelte Fälle, in welchen Übereignungen eines
Grundstücks nach den Formen mehrerer Stammesrechte stattfinden 32.

5. Bei Eheschliessungen mussten in Konsequenz der das Vertrags-
recht beherrschenden Grundsätze die Rechte beider Ehegatten, nicht
bloss das des Mannes, berücksichtigt werden. Für die Form, in welcher
der Bräutigam sich bei der Verlobung rechtlich verpflichtete, war sein
Geburtsrecht massgebend. Als König Chlodovech sich mit der burgun-
dischen Königstochter verlobte, geschah dies in der Form des salischen
Rechts, per solidum et denarium 33. Bis in das zehnte Jahrhundert
hinein wird es in den Formeln und Urkunden ausdrücklich hervor-
gehoben, dass der Bräutigam die Verlobung gemäss seinem Geburts-
rechte abgeschlossen habe 34. Allein der Kaufpreis der Braut, die
Ablösung des Mundiums richteten sich nach dem Stammesrechte der
Braut und ihres Vormundes. So setzt das langobardische Edikt vor-
aus, dass der Römer, der eine Langobardin heiratet, deren Mundium
bezahlt 35. Nach einer langobardischen Formel muss der Trauung
einer salischen Witwe die dem salischen Rechte eigentümliche Ent-
richtung des reipus von Seite des langobardischen Bräutigams voraus-
gehen 36. Auch bei der Trauung war für die Übergabe der Braut ihr
und ihres Mundwalds Rechts zu beobachten, solange die Eheschlie-
ssung den formellen Charakter des Frauenkaufs nicht abgestreift hatte.
Morgengabe und Wittum bestellte der Ehemann nach seinem Geburts-
rechte. Dem Langobardenkönig Ratchis wurde es zu schwerem Vor-
wurf gemacht, weil er bei der Heirat mit der Römerin Tassia sich
nicht an Meta und Morgengabe, sondern an "donationes cartulae
romanae" gehalten hatte 37. In burgundischen Urkunden des zehnten

31 Beispiele bei Pertile a. O. I 58 Anm 23. Ein Fall von 780 unten S 270
Anm 55. Im Registrum Farfense II 250, von 856 übereignet eine Nonne Warnhild
ex natione Francorum (ihr Vater stammte aus dem Wormsgau) iuxta saligam legem,
was ihr verstorbener Mann iuxta suam saligam legem ihr aus Anlass der Ehe-
schliessung zugewendet hatte.
32 Beispiele bei Stobbe a. O. VI 32. Über Lacomblet, UB I, Nr 65 v. J.
855, s. jedoch v. Richthofen, LL III 638 f. u. Schröder, Unters. zu den fränk.
Volksrechten, Festschrift S 19.
33 Schröder, Ehel. Güterr. I 55 Anm 3.
34 Form. Bignon. 6, Lind. 7, Merkel. 15. Bernard, Chartes de Cluny I 96,
Nr 86 von 904: te dilectissima sponsa mea B. iusta legem salicam et consuetudinem
per solido et denario visus fuero esponsas(s)e. Das. I 117, Nr 105 von 909: Ego F.
desponso mihi iuxta legem meam romanam ..
35 Liu. 127.
36 Cartularium Langob. Nr 16.
37 Chronicon Benedicti c. 16, SS III 702.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
leben 31. Nach Auflösung des fränkischen Reiches finden sich dies-
seits der Alpen vereinzelte Fälle, in welchen Übereignungen eines
Grundstücks nach den Formen mehrerer Stammesrechte stattfinden 32.

5. Bei Eheschlieſsungen muſsten in Konsequenz der das Vertrags-
recht beherrschenden Grundsätze die Rechte beider Ehegatten, nicht
bloſs das des Mannes, berücksichtigt werden. Für die Form, in welcher
der Bräutigam sich bei der Verlobung rechtlich verpflichtete, war sein
Geburtsrecht maſsgebend. Als König Chlodovech sich mit der burgun-
dischen Königstochter verlobte, geschah dies in der Form des salischen
Rechts, per solidum et denarium 33. Bis in das zehnte Jahrhundert
hinein wird es in den Formeln und Urkunden ausdrücklich hervor-
gehoben, daſs der Bräutigam die Verlobung gemäſs seinem Geburts-
rechte abgeschlossen habe 34. Allein der Kaufpreis der Braut, die
Ablösung des Mundiums richteten sich nach dem Stammesrechte der
Braut und ihres Vormundes. So setzt das langobardische Edikt vor-
aus, daſs der Römer, der eine Langobardin heiratet, deren Mundium
bezahlt 35. Nach einer langobardischen Formel muſs der Trauung
einer salischen Witwe die dem salischen Rechte eigentümliche Ent-
richtung des reipus von Seite des langobardischen Bräutigams voraus-
gehen 36. Auch bei der Trauung war für die Übergabe der Braut ihr
und ihres Mundwalds Rechts zu beobachten, solange die Eheschlie-
ſsung den formellen Charakter des Frauenkaufs nicht abgestreift hatte.
Morgengabe und Wittum bestellte der Ehemann nach seinem Geburts-
rechte. Dem Langobardenkönig Ratchis wurde es zu schwerem Vor-
wurf gemacht, weil er bei der Heirat mit der Römerin Tassia sich
nicht an Meta und Morgengabe, sondern an „donationes cartulae
romanae“ gehalten hatte 37. In burgundischen Urkunden des zehnten

31 Beispiele bei Pertile a. O. I 58 Anm 23. Ein Fall von 780 unten S 270
Anm 55. Im Registrum Farfense II 250, von 856 übereignet eine Nonne Warnhild
ex natione Francorum (ihr Vater stammte aus dem Wormsgau) iuxta saligam legem,
was ihr verstorbener Mann iuxta suam saligam legem ihr aus Anlaſs der Ehe-
schlieſsung zugewendet hatte.
32 Beispiele bei Stobbe a. O. VI 32. Über Lacomblet, UB I, Nr 65 v. J.
855, s. jedoch v. Richthofen, LL III 638 f. u. Schröder, Unters. zu den fränk.
Volksrechten, Festschrift S 19.
33 Schröder, Ehel. Güterr. I 55 Anm 3.
34 Form. Bignon. 6, Lind. 7, Merkel. 15. Bernard, Chartes de Cluny I 96,
Nr 86 von 904: te dilectissima sponsa mea B. iusta legem salicam et consuetudinem
per solido et denario visus fuero esponsas(s)e. Das. I 117, Nr 105 von 909: Ego F.
desponso mihi iuxta legem meam romanam ..
35 Liu. 127.
36 Cartularium Langob. Nr 16.
37 Chronicon Benedicti c. 16, SS III 702.
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[266/0284] § 34. Das Personalitätsprinzip. leben 31. Nach Auflösung des fränkischen Reiches finden sich dies- seits der Alpen vereinzelte Fälle, in welchen Übereignungen eines Grundstücks nach den Formen mehrerer Stammesrechte stattfinden 32. 5. Bei Eheschlieſsungen muſsten in Konsequenz der das Vertrags- recht beherrschenden Grundsätze die Rechte beider Ehegatten, nicht bloſs das des Mannes, berücksichtigt werden. Für die Form, in welcher der Bräutigam sich bei der Verlobung rechtlich verpflichtete, war sein Geburtsrecht maſsgebend. Als König Chlodovech sich mit der burgun- dischen Königstochter verlobte, geschah dies in der Form des salischen Rechts, per solidum et denarium 33. Bis in das zehnte Jahrhundert hinein wird es in den Formeln und Urkunden ausdrücklich hervor- gehoben, daſs der Bräutigam die Verlobung gemäſs seinem Geburts- rechte abgeschlossen habe 34. Allein der Kaufpreis der Braut, die Ablösung des Mundiums richteten sich nach dem Stammesrechte der Braut und ihres Vormundes. So setzt das langobardische Edikt vor- aus, daſs der Römer, der eine Langobardin heiratet, deren Mundium bezahlt 35. Nach einer langobardischen Formel muſs der Trauung einer salischen Witwe die dem salischen Rechte eigentümliche Ent- richtung des reipus von Seite des langobardischen Bräutigams voraus- gehen 36. Auch bei der Trauung war für die Übergabe der Braut ihr und ihres Mundwalds Rechts zu beobachten, solange die Eheschlie- ſsung den formellen Charakter des Frauenkaufs nicht abgestreift hatte. Morgengabe und Wittum bestellte der Ehemann nach seinem Geburts- rechte. Dem Langobardenkönig Ratchis wurde es zu schwerem Vor- wurf gemacht, weil er bei der Heirat mit der Römerin Tassia sich nicht an Meta und Morgengabe, sondern an „donationes cartulae romanae“ gehalten hatte 37. In burgundischen Urkunden des zehnten 31 Beispiele bei Pertile a. O. I 58 Anm 23. Ein Fall von 780 unten S 270 Anm 55. Im Registrum Farfense II 250, von 856 übereignet eine Nonne Warnhild ex natione Francorum (ihr Vater stammte aus dem Wormsgau) iuxta saligam legem, was ihr verstorbener Mann iuxta suam saligam legem ihr aus Anlaſs der Ehe- schlieſsung zugewendet hatte. 32 Beispiele bei Stobbe a. O. VI 32. Über Lacomblet, UB I, Nr 65 v. J. 855, s. jedoch v. Richthofen, LL III 638 f. u. Schröder, Unters. zu den fränk. Volksrechten, Festschrift S 19. 33 Schröder, Ehel. Güterr. I 55 Anm 3. 34 Form. Bignon. 6, Lind. 7, Merkel. 15. Bernard, Chartes de Cluny I 96, Nr 86 von 904: te dilectissima sponsa mea B. iusta legem salicam et consuetudinem per solido et denario visus fuero esponsas(s)e. Das. I 117, Nr 105 von 909: Ego F. desponso mihi iuxta legem meam romanam .. 35 Liu. 127. 36 Cartularium Langob. Nr 16. 37 Chronicon Benedicti c. 16, SS III 702.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/284>, abgerufen am 22.11.2024.