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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
Nach der fränkischen Eroberung tritt unter dem Einfluss der frän-
kischen Rechtssitte in Italien ein schwankender Rechtszustand ein.
Geistliche bekennen nicht selten, dass sie nach langobardischem Rechte
leben 56. Andrerseits suchte aber die Kirche dem Satze, dass der
Kleriker als solcher dem römischen Rechte unterworfen sei, allge-
meine Geltung zu verschaffen. Die langobardische Jurisprudenz be-
trachtete ihn im elften Jahrhundert als geltendes Recht 57 und auch
in den Urkunden wird er als solches seit dieser Zeit gelegentlich
hervorgehoben 58.


In Gegenden mit gemischter Bevölkerung findet sich die Eigen-
tümlichkeit, dass man in den Geschäftsurkunden nicht selten das Per-
sonalrecht des Kontrahenten ausdrücklich hervorhob, dessen lex für
die Verbindlichkeit des Geschäftes massgebend war. Ein Bedürfnis,
die Rechtsgeschäfte in dieser Beziehung gegen etwaige Anfechtung
sicher zu stellen, ergab sich zumeist für die der Minorität angehörigen
Rechtsgenossen, während das Stammesrecht der herrschenden Majo-
rität als selbstverständlich eher mit Stillschweigen übergangen werden
konnte. Nicht bloss bei Verträgen unter Personen verschiedenen
Rechtes, auch bei solchen, die von Kontrahenten desselben Geburts-

einem Langobarden vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand geboren worden
waren, nach dem Rechte leben sollen, das ihr Vater zur Zeit ihrer Geburt besass,
setzt einen Wechsel des Rechtes voraus, den die Aufnahme in den Klerikerstand
zur Folge hatte. Zu demselben Ergebnis führt die kürzlich von Kohler, Beiträge
zur german. Privatrechtsgeschichte, 2. Heft 1885, S 7 Nr 2 veröffentlichte und be-
sprochene Urkunde von 780, worin ein Kleriker Felix bezeugt, dass er aus Anlass
einer Schenkung von seiner Tochter Launegild erhalten habe, obwohl er dem rö-
mischen Rechte unterworfen sei: accepi ad te suprascripta filia mea launigild
quamquam romane legibus subiectus. Der Inhalt der Urkunde lässt er-
sehen, dass Felix von Geburt ein Langobarde war. Das Objekt der Schenkung
bilden Güter, welche Felix (gemäss langobardischem Rechte) von seiner Frau er-
erbt hatte. Daher vollzieht er die Schenkung nach langobardischem Rechte, näm-
lich gegen Launegild. S. oben S 265. In den Rechtsverkehr der römischen Be-
völkerung ist das Launegild erst seit dem 10. Jahrh. eingetreten.
56 Cod. dipl. Langob. Nr 326, col. 548 v. J. 885: ego T. archipresbiter ... qui
professo sum lege vivere Langobardorum, und öfter. Vgl. Savigny a. O. I 143
Anm h.
57 Expositio zu Lud. P. 53, auf welche Stelle man das römische Personal-
recht der Geistlichkeit missverständlich zurückführte.
58 Muratori, SS II b 1002 v. J. 1086: sicut in lege (Lud. P. 53) scriptum est,
omnis ordo ecclesiarum secundum legem romanam vivant et faciant, ego ... sic
facio. Cod. dipl. Lang. Nr 974 col. 1713 v. J. 1000: et propter onore sacerdotii mei
mihi aliquit impetit lege romana. Weitere Beispiele bei Pertile, Storia I 56 Anm 10.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
Nach der fränkischen Eroberung tritt unter dem Einfluſs der frän-
kischen Rechtssitte in Italien ein schwankender Rechtszustand ein.
Geistliche bekennen nicht selten, daſs sie nach langobardischem Rechte
leben 56. Andrerseits suchte aber die Kirche dem Satze, daſs der
Kleriker als solcher dem römischen Rechte unterworfen sei, allge-
meine Geltung zu verschaffen. Die langobardische Jurisprudenz be-
trachtete ihn im elften Jahrhundert als geltendes Recht 57 und auch
in den Urkunden wird er als solches seit dieser Zeit gelegentlich
hervorgehoben 58.


In Gegenden mit gemischter Bevölkerung findet sich die Eigen-
tümlichkeit, daſs man in den Geschäftsurkunden nicht selten das Per-
sonalrecht des Kontrahenten ausdrücklich hervorhob, dessen lex für
die Verbindlichkeit des Geschäftes maſsgebend war. Ein Bedürfnis,
die Rechtsgeschäfte in dieser Beziehung gegen etwaige Anfechtung
sicher zu stellen, ergab sich zumeist für die der Minorität angehörigen
Rechtsgenossen, während das Stammesrecht der herrschenden Majo-
rität als selbstverständlich eher mit Stillschweigen übergangen werden
konnte. Nicht bloſs bei Verträgen unter Personen verschiedenen
Rechtes, auch bei solchen, die von Kontrahenten desselben Geburts-

einem Langobarden vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand geboren worden
waren, nach dem Rechte leben sollen, das ihr Vater zur Zeit ihrer Geburt besaſs,
setzt einen Wechsel des Rechtes voraus, den die Aufnahme in den Klerikerstand
zur Folge hatte. Zu demselben Ergebnis führt die kürzlich von Kohler, Beiträge
zur german. Privatrechtsgeschichte, 2. Heft 1885, S 7 Nr 2 veröffentlichte und be-
sprochene Urkunde von 780, worin ein Kleriker Felix bezeugt, daſs er aus Anlaſs
einer Schenkung von seiner Tochter Launegild erhalten habe, obwohl er dem rö-
mischen Rechte unterworfen sei: accepi ad te suprascripta filia mea launigild
quamquam romane legibus subiectus. Der Inhalt der Urkunde läſst er-
sehen, daſs Felix von Geburt ein Langobarde war. Das Objekt der Schenkung
bilden Güter, welche Felix (gemäſs langobardischem Rechte) von seiner Frau er-
erbt hatte. Daher vollzieht er die Schenkung nach langobardischem Rechte, näm-
lich gegen Launegild. S. oben S 265. In den Rechtsverkehr der römischen Be-
völkerung ist das Launegild erst seit dem 10. Jahrh. eingetreten.
56 Cod. dipl. Langob. Nr 326, col. 548 v. J. 885: ego T. archipresbiter … qui
professo sum lege vivere Langobardorum, und öfter. Vgl. Savigny a. O. I 143
Anm h.
57 Expositio zu Lud. P. 53, auf welche Stelle man das römische Personal-
recht der Geistlichkeit miſsverständlich zurückführte.
58 Muratori, SS II b 1002 v. J. 1086: sicut in lege (Lud. P. 53) scriptum est,
omnis ordo ecclesiarum secundum legem romanam vivant et faciant, ego … sic
facio. Cod. dipl. Lang. Nr 974 col. 1713 v. J. 1000: et propter onore sacerdotii mei
mihi aliquit impetit lege romana. Weitere Beispiele bei Pertile, Storia I 56 Anm 10.
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[270/0288] § 34. Das Personalitätsprinzip. Nach der fränkischen Eroberung tritt unter dem Einfluſs der frän- kischen Rechtssitte in Italien ein schwankender Rechtszustand ein. Geistliche bekennen nicht selten, daſs sie nach langobardischem Rechte leben 56. Andrerseits suchte aber die Kirche dem Satze, daſs der Kleriker als solcher dem römischen Rechte unterworfen sei, allge- meine Geltung zu verschaffen. Die langobardische Jurisprudenz be- trachtete ihn im elften Jahrhundert als geltendes Recht 57 und auch in den Urkunden wird er als solches seit dieser Zeit gelegentlich hervorgehoben 58. In Gegenden mit gemischter Bevölkerung findet sich die Eigen- tümlichkeit, daſs man in den Geschäftsurkunden nicht selten das Per- sonalrecht des Kontrahenten ausdrücklich hervorhob, dessen lex für die Verbindlichkeit des Geschäftes maſsgebend war. Ein Bedürfnis, die Rechtsgeschäfte in dieser Beziehung gegen etwaige Anfechtung sicher zu stellen, ergab sich zumeist für die der Minorität angehörigen Rechtsgenossen, während das Stammesrecht der herrschenden Majo- rität als selbstverständlich eher mit Stillschweigen übergangen werden konnte. Nicht bloſs bei Verträgen unter Personen verschiedenen Rechtes, auch bei solchen, die von Kontrahenten desselben Geburts- 55 56 Cod. dipl. Langob. Nr 326, col. 548 v. J. 885: ego T. archipresbiter … qui professo sum lege vivere Langobardorum, und öfter. Vgl. Savigny a. O. I 143 Anm h. 57 Expositio zu Lud. P. 53, auf welche Stelle man das römische Personal- recht der Geistlichkeit miſsverständlich zurückführte. 58 Muratori, SS II b 1002 v. J. 1086: sicut in lege (Lud. P. 53) scriptum est, omnis ordo ecclesiarum secundum legem romanam vivant et faciant, ego … sic facio. Cod. dipl. Lang. Nr 974 col. 1713 v. J. 1000: et propter onore sacerdotii mei mihi aliquit impetit lege romana. Weitere Beispiele bei Pertile, Storia I 56 Anm 10. 55 einem Langobarden vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand geboren worden waren, nach dem Rechte leben sollen, das ihr Vater zur Zeit ihrer Geburt besaſs, setzt einen Wechsel des Rechtes voraus, den die Aufnahme in den Klerikerstand zur Folge hatte. Zu demselben Ergebnis führt die kürzlich von Kohler, Beiträge zur german. Privatrechtsgeschichte, 2. Heft 1885, S 7 Nr 2 veröffentlichte und be- sprochene Urkunde von 780, worin ein Kleriker Felix bezeugt, daſs er aus Anlaſs einer Schenkung von seiner Tochter Launegild erhalten habe, obwohl er dem rö- mischen Rechte unterworfen sei: accepi ad te suprascripta filia mea launigild quamquam romane legibus subiectus. Der Inhalt der Urkunde läſst er- sehen, daſs Felix von Geburt ein Langobarde war. Das Objekt der Schenkung bilden Güter, welche Felix (gemäſs langobardischem Rechte) von seiner Frau er- erbt hatte. Daher vollzieht er die Schenkung nach langobardischem Rechte, näm- lich gegen Launegild. S. oben S 265. In den Rechtsverkehr der römischen Be- völkerung ist das Launegild erst seit dem 10. Jahrh. eingetreten.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/288>, abgerufen am 22.11.2024.