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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 42. Die Lex Baiuwariorum.

Können wir nach alledem die Lex Baiuwariorum, welche sich vor
den übrigen Volksrechten gerade durch ihren einheitlichen Charakter
auszeichnet, als das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, so
lässt sich auch die Zeit ihrer Abfassung mit ziemlicher Genauigkeit
bestimmen. Sie ist jedenfalls jünger wie die unter Herzog Lantfrid
(+ 730) abgefasste Lex Alamannorum. Sie muss unter einem Vor-
gänger Tassilos III., also vor 749 entstanden sein. Denn in den
Beschlüssen der Aschheimer Synode wird sie dem Herzog Tassilo
gegenüber von den Bischöfen als precessorum vestrorum depicta pactus
bezeichnet17). Die Lex ist nicht vor 739 abgefasst worden; denn in
diesem Jahre organisierte Bonifazius die bairische Kirche, indem er mit
Zustimmung des Herzogs Odilo drei neue Bischöfe setzte, während es
vorher in Baiern nur einen Bischof gegeben hatte. Die Lex setzt
aber eine Mehrheit von Bischöfen voraus18). Zur Zeit da die Lex ent-
stand, gab es einen fränkischen König, ein Umstand, der die Jahre
von 739 bis 743 ausschliesst. Das bairische Herzogtum muss sich da-
mals in strammer Unterordnung unter die fränkische Staatsgewalt
befunden haben. Ein solches Verhältnis existierte in den Jahren
744 bis 748. Herzog Odilo von Baiern hatte sich vergeblich gegen die
Söhne Karl Martells aufgelehnt. Als es ihm nach seiner Niederlage
gelungen war, sich mit ihnen wieder auszusöhnen, wurde er 743 oder
744 wieder in sein Herzogtum eingesetzt, welches er dann bis zu
seinem Tode (748) verwaltete19). In dieser Zeit der Abhängigkeit
muss unter Beteiligung der fränkischen Staatsgewalt die Satzung des
Baiernrechtes vor sich gegangen sein.

Für eine frühere Entstehung hat man insbesondere geltend ge-
macht, dass das westgotische Gesetzbuch in der Form der Leges

Unter den res ecclesiae werden hier noch genannt caballus, bos, vacca, die man
kaum in einer Kirche zu stehlen Gelegenheit hatte. Übrigens hat I 3 nicht, wie
Roth meint, die Tendenz die Eidhelferzahlen zu vermindern, sondern sie zu er-
höhen. Vgl. Lex Alam. Lantfr. 85.
17) LL III 457 c. 4.
18) Lex Baiuw. I 10: in usu ecclesiae ipsius, ubi pontifex fuit; I 11: episcopus
civitatis illius; I 13: ab episcopis iudicentur. Sieht man von diesem Argumente
ab, so könnte auch die Zeit in Betracht kommen, als Hukpert, der Schützling Karl
Martells, 725--736 das Herzogtum inne hatte.
19) Schon in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes S 13 Anm 2 habe ich
die Entstehung der Lex Baiuwariorum unter Odilo angedeutet.
§ 42. Die Lex Baiuwariorum.

Können wir nach alledem die Lex Baiuwariorum, welche sich vor
den übrigen Volksrechten gerade durch ihren einheitlichen Charakter
auszeichnet, als das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, so
läſst sich auch die Zeit ihrer Abfassung mit ziemlicher Genauigkeit
bestimmen. Sie ist jedenfalls jünger wie die unter Herzog Lantfrid
(† 730) abgefaſste Lex Alamannorum. Sie muſs unter einem Vor-
gänger Tassilos III., also vor 749 entstanden sein. Denn in den
Beschlüssen der Aschheimer Synode wird sie dem Herzog Tassilo
gegenüber von den Bischöfen als precessorum vestrorum depicta pactus
bezeichnet17). Die Lex ist nicht vor 739 abgefaſst worden; denn in
diesem Jahre organisierte Bonifazius die bairische Kirche, indem er mit
Zustimmung des Herzogs Odilo drei neue Bischöfe setzte, während es
vorher in Baiern nur einen Bischof gegeben hatte. Die Lex setzt
aber eine Mehrheit von Bischöfen voraus18). Zur Zeit da die Lex ent-
stand, gab es einen fränkischen König, ein Umstand, der die Jahre
von 739 bis 743 ausschlieſst. Das bairische Herzogtum muſs sich da-
mals in strammer Unterordnung unter die fränkische Staatsgewalt
befunden haben. Ein solches Verhältnis existierte in den Jahren
744 bis 748. Herzog Odilo von Baiern hatte sich vergeblich gegen die
Söhne Karl Martells aufgelehnt. Als es ihm nach seiner Niederlage
gelungen war, sich mit ihnen wieder auszusöhnen, wurde er 743 oder
744 wieder in sein Herzogtum eingesetzt, welches er dann bis zu
seinem Tode (748) verwaltete19). In dieser Zeit der Abhängigkeit
muſs unter Beteiligung der fränkischen Staatsgewalt die Satzung des
Baiernrechtes vor sich gegangen sein.

Für eine frühere Entstehung hat man insbesondere geltend ge-
macht, daſs das westgotische Gesetzbuch in der Form der Leges

Unter den res ecclesiae werden hier noch genannt caballus, bos, vacca, die man
kaum in einer Kirche zu stehlen Gelegenheit hatte. Übrigens hat I 3 nicht, wie
Roth meint, die Tendenz die Eidhelferzahlen zu vermindern, sondern sie zu er-
höhen. Vgl. Lex Alam. Lantfr. 85.
17) LL III 457 c. 4.
18) Lex Baiuw. I 10: in usu ecclesiae ipsius, ubi pontifex fuit; I 11: episcopus
civitatis illius; I 13: ab episcopis iudicentur. Sieht man von diesem Argumente
ab, so könnte auch die Zeit in Betracht kommen, als Hukpert, der Schützling Karl
Martells, 725—736 das Herzogtum inne hatte.
19) Schon in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes S 13 Anm 2 habe ich
die Entstehung der Lex Baiuwariorum unter Odilo angedeutet.
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[317/0335] § 42. Die Lex Baiuwariorum. Können wir nach alledem die Lex Baiuwariorum, welche sich vor den übrigen Volksrechten gerade durch ihren einheitlichen Charakter auszeichnet, als das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, so läſst sich auch die Zeit ihrer Abfassung mit ziemlicher Genauigkeit bestimmen. Sie ist jedenfalls jünger wie die unter Herzog Lantfrid († 730) abgefaſste Lex Alamannorum. Sie muſs unter einem Vor- gänger Tassilos III., also vor 749 entstanden sein. Denn in den Beschlüssen der Aschheimer Synode wird sie dem Herzog Tassilo gegenüber von den Bischöfen als precessorum vestrorum depicta pactus bezeichnet 17). Die Lex ist nicht vor 739 abgefaſst worden; denn in diesem Jahre organisierte Bonifazius die bairische Kirche, indem er mit Zustimmung des Herzogs Odilo drei neue Bischöfe setzte, während es vorher in Baiern nur einen Bischof gegeben hatte. Die Lex setzt aber eine Mehrheit von Bischöfen voraus 18). Zur Zeit da die Lex ent- stand, gab es einen fränkischen König, ein Umstand, der die Jahre von 739 bis 743 ausschlieſst. Das bairische Herzogtum muſs sich da- mals in strammer Unterordnung unter die fränkische Staatsgewalt befunden haben. Ein solches Verhältnis existierte in den Jahren 744 bis 748. Herzog Odilo von Baiern hatte sich vergeblich gegen die Söhne Karl Martells aufgelehnt. Als es ihm nach seiner Niederlage gelungen war, sich mit ihnen wieder auszusöhnen, wurde er 743 oder 744 wieder in sein Herzogtum eingesetzt, welches er dann bis zu seinem Tode (748) verwaltete 19). In dieser Zeit der Abhängigkeit muſs unter Beteiligung der fränkischen Staatsgewalt die Satzung des Baiernrechtes vor sich gegangen sein. Für eine frühere Entstehung hat man insbesondere geltend ge- macht, daſs das westgotische Gesetzbuch in der Form der Leges 16) 17) LL III 457 c. 4. 18) Lex Baiuw. I 10: in usu ecclesiae ipsius, ubi pontifex fuit; I 11: episcopus civitatis illius; I 13: ab episcopis iudicentur. Sieht man von diesem Argumente ab, so könnte auch die Zeit in Betracht kommen, als Hukpert, der Schützling Karl Martells, 725—736 das Herzogtum inne hatte. 19) Schon in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes S 13 Anm 2 habe ich die Entstehung der Lex Baiuwariorum unter Odilo angedeutet. 16) Unter den res ecclesiae werden hier noch genannt caballus, bos, vacca, die man kaum in einer Kirche zu stehlen Gelegenheit hatte. Übrigens hat I 3 nicht, wie Roth meint, die Tendenz die Eidhelferzahlen zu vermindern, sondern sie zu er- höhen. Vgl. Lex Alam. Lantfr. 85.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/335>, abgerufen am 02.06.2024.