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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 42. Die Lex Baiuwariorum.
antiquae und nicht in der Form der Lex Wisigothorum benutzt wor-
den ist, wie sie unter König Reckessuinth zustande gekommen war.
Die Erklärung dieser Thatsache ist in dem Umstande zu suchen, dass
in den westgotischen Teilen Galliens, welche Chlodovech und welche die
Ostgoten erworben hatten, die Gesetzgebung der Nachfolger Alarichs II.
nicht in Kraft getreten ist, sondern nur eine Sammlung westgotischer
Königsgesetze in Gebrauch geblieben sein kann, welche vor dem Tode
Alarichs II. ausgearbeitet worden war. Die einzige Konstitutionen-
sammlung, welche vor dieser Zeit im Westgotenreiche promulgiert
wurde, war die des Königs Eurich. Ein Kodex, der die Sammlung
Eurichs enthielt, muss in die Hände der Redaktoren des Baiernrechtes
gelangt sein. An Beziehungen der Baiern zu Gallien fehlt es nicht.
Baiern fochten in Aquitanien. Eine vereinzelte Notiz besagt, dass
Odilo nach seiner Niederlage längere Zeit in Gallien verweilt habe20).

Gegen die Entstehung der Lex in den Jahren 743--748 kann
auch nicht ins Treffen geführt werden, dass ihr in zahlreichen Hand-
schriften die Notiz vorausgeschickt wird: hoc decretum apud regem
et principibus eius et apud cuncto populo christiano qui infra regnum
Mervungorum consistunt. Dass man das fränkische Reich, als es im
Namen eines Merowingers regiert wurde, regnum Mervungorum nannte,
hat nichts Auffallendes an sich. Der Ausdruck regnum Francorum
wäre an der Spitze einer bairischen Lex minder passend gewesen.
Die Satzung ist ohne Zweifel mit Zustimmung der Hausmeier und
des von ihnen eingesetzten Königs zustande gekommen.

In der Zeit Tassilos III. erscheint die Lex Baiuwariorum bereits
als ein in sich abgeschlossenes Gesetzbuch. Die oben erwähnte Asch-
heimer Synode von 756 zitiert sie als Pactus. In einer Urkunde von
772 wird sie als Baioariorum lex atque pactus erwähnt21). Das
Schicksal anderer Volksrechte, deren ursprüngliche Anlage durch Ein-
schiebung von Novellen zerstört wurde, ist ihr erspart geblieben.
Nur sehr wenige Stellen der Lex Baiuwariorum haben den Charakter
nachträglich eingefügter Novellen22).

20) Breves Notitiae Salzb. ed. Keinz VII 5, S 33: in illis quoque tempori-
bus Otilo dux expulsus ab aemulis suis de Bavaria fuit cum domino Pipino rege (!)
in Francia multis diebus. Inde reverso et accepto ducatu suo tradidit ... VIII 1:
in peregrinatione Otilonis ducis fuit cum eis quidam presbyter, capellanus eius,
Ursus nomine.
21) Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 27.
22) Als Novelle stellt sich Lex Baiuw. IV 31 dar, betreffend die Tötung eines
peregrinus. Während IV 30 dieses Verbrechen mit der duplex compositio und einer
an den Herzog zu zahlenden Busse von 160 solidi bestraft, setzt IV 31 eine com-

§ 42. Die Lex Baiuwariorum.
antiquae und nicht in der Form der Lex Wisigothorum benutzt wor-
den ist, wie sie unter König Reckessuinth zustande gekommen war.
Die Erklärung dieser Thatsache ist in dem Umstande zu suchen, daſs
in den westgotischen Teilen Galliens, welche Chlodovech und welche die
Ostgoten erworben hatten, die Gesetzgebung der Nachfolger Alarichs II.
nicht in Kraft getreten ist, sondern nur eine Sammlung westgotischer
Königsgesetze in Gebrauch geblieben sein kann, welche vor dem Tode
Alarichs II. ausgearbeitet worden war. Die einzige Konstitutionen-
sammlung, welche vor dieser Zeit im Westgotenreiche promulgiert
wurde, war die des Königs Eurich. Ein Kodex, der die Sammlung
Eurichs enthielt, muſs in die Hände der Redaktoren des Baiernrechtes
gelangt sein. An Beziehungen der Baiern zu Gallien fehlt es nicht.
Baiern fochten in Aquitanien. Eine vereinzelte Notiz besagt, daſs
Odilo nach seiner Niederlage längere Zeit in Gallien verweilt habe20).

Gegen die Entstehung der Lex in den Jahren 743—748 kann
auch nicht ins Treffen geführt werden, daſs ihr in zahlreichen Hand-
schriften die Notiz vorausgeschickt wird: hoc decretum apud regem
et principibus eius et apud cuncto populo christiano qui infra regnum
Mervungorum consistunt. Daſs man das fränkische Reich, als es im
Namen eines Merowingers regiert wurde, regnum Mervungorum nannte,
hat nichts Auffallendes an sich. Der Ausdruck regnum Francorum
wäre an der Spitze einer bairischen Lex minder passend gewesen.
Die Satzung ist ohne Zweifel mit Zustimmung der Hausmeier und
des von ihnen eingesetzten Königs zustande gekommen.

In der Zeit Tassilos III. erscheint die Lex Baiuwariorum bereits
als ein in sich abgeschlossenes Gesetzbuch. Die oben erwähnte Asch-
heimer Synode von 756 zitiert sie als Pactus. In einer Urkunde von
772 wird sie als Baioariorum lex atque pactus erwähnt21). Das
Schicksal anderer Volksrechte, deren ursprüngliche Anlage durch Ein-
schiebung von Novellen zerstört wurde, ist ihr erspart geblieben.
Nur sehr wenige Stellen der Lex Baiuwariorum haben den Charakter
nachträglich eingefügter Novellen22).

20) Breves Notitiae Salzb. ed. Keinz VII 5, S 33: in illis quoque tempori-
bus Otilo dux expulsus ab aemulis suis de Bavaria fuit cum domino Pipino rege (!)
in Francia multis diebus. Inde reverso et accepto ducatu suo tradidit … VIII 1:
in peregrinatione Otilonis ducis fuit cum eis quidam presbyter, capellanus eius,
Ursus nomine.
21) Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 27.
22) Als Novelle stellt sich Lex Baiuw. IV 31 dar, betreffend die Tötung eines
peregrinus. Während IV 30 dieses Verbrechen mit der duplex compositio und einer
an den Herzog zu zahlenden Buſse von 160 solidi bestraft, setzt IV 31 eine com-
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[318/0336] § 42. Die Lex Baiuwariorum. antiquae und nicht in der Form der Lex Wisigothorum benutzt wor- den ist, wie sie unter König Reckessuinth zustande gekommen war. Die Erklärung dieser Thatsache ist in dem Umstande zu suchen, daſs in den westgotischen Teilen Galliens, welche Chlodovech und welche die Ostgoten erworben hatten, die Gesetzgebung der Nachfolger Alarichs II. nicht in Kraft getreten ist, sondern nur eine Sammlung westgotischer Königsgesetze in Gebrauch geblieben sein kann, welche vor dem Tode Alarichs II. ausgearbeitet worden war. Die einzige Konstitutionen- sammlung, welche vor dieser Zeit im Westgotenreiche promulgiert wurde, war die des Königs Eurich. Ein Kodex, der die Sammlung Eurichs enthielt, muſs in die Hände der Redaktoren des Baiernrechtes gelangt sein. An Beziehungen der Baiern zu Gallien fehlt es nicht. Baiern fochten in Aquitanien. Eine vereinzelte Notiz besagt, daſs Odilo nach seiner Niederlage längere Zeit in Gallien verweilt habe 20). Gegen die Entstehung der Lex in den Jahren 743—748 kann auch nicht ins Treffen geführt werden, daſs ihr in zahlreichen Hand- schriften die Notiz vorausgeschickt wird: hoc decretum apud regem et principibus eius et apud cuncto populo christiano qui infra regnum Mervungorum consistunt. Daſs man das fränkische Reich, als es im Namen eines Merowingers regiert wurde, regnum Mervungorum nannte, hat nichts Auffallendes an sich. Der Ausdruck regnum Francorum wäre an der Spitze einer bairischen Lex minder passend gewesen. Die Satzung ist ohne Zweifel mit Zustimmung der Hausmeier und des von ihnen eingesetzten Königs zustande gekommen. In der Zeit Tassilos III. erscheint die Lex Baiuwariorum bereits als ein in sich abgeschlossenes Gesetzbuch. Die oben erwähnte Asch- heimer Synode von 756 zitiert sie als Pactus. In einer Urkunde von 772 wird sie als Baioariorum lex atque pactus erwähnt 21). Das Schicksal anderer Volksrechte, deren ursprüngliche Anlage durch Ein- schiebung von Novellen zerstört wurde, ist ihr erspart geblieben. Nur sehr wenige Stellen der Lex Baiuwariorum haben den Charakter nachträglich eingefügter Novellen 22). 20) Breves Notitiae Salzb. ed. Keinz VII 5, S 33: in illis quoque tempori- bus Otilo dux expulsus ab aemulis suis de Bavaria fuit cum domino Pipino rege (!) in Francia multis diebus. Inde reverso et accepto ducatu suo tradidit … VIII 1: in peregrinatione Otilonis ducis fuit cum eis quidam presbyter, capellanus eius, Ursus nomine. 21) Meichelbeck, Hist. Fris. I Nr 27. 22) Als Novelle stellt sich Lex Baiuw. IV 31 dar, betreffend die Tötung eines peregrinus. Während IV 30 dieses Verbrechen mit der duplex compositio und einer an den Herzog zu zahlenden Buſse von 160 solidi bestraft, setzt IV 31 eine com-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/336>, abgerufen am 24.11.2024.