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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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und die Capitula Remedii.
wesens entscheiden gegen so hohes Alter der Lex. Diese kann nicht
jünger sein wie das neunte Jahrhundert, dem die überlieferten Hand-
schriften angehören. Sie muss spätestens im Jahre 859 in Unterrätien
vorhanden gewesen sein. Denn eine Urkunde 7, welche in den Jahren
852 oder 859 zu Rankweil ausgestellt worden ist 8, beruft sich mit
den Worten: sicut lex continet, auf eine Stelle der Lex Romana
Curiensis. Da an verschiedenen Stellen vom König, nirgends vom
Kaiser die Rede ist, dürfte die Lex zu einer Zeit abgefasst worden
sein, als Rätien nicht unter einem Kaiser, sondern nur unter einem
König stand. Denn es ist unwahrscheinlich, dass gerade eine römische
Rechtsaufzeichnung, eine Paraphrase römischer Kaiserkonstitutionen
ohne zwingenden Grund den Ausdruck rex gewählt hätte. Rätien
hatte im neunten Jahrhundert bis 840, oder wenn man erwägt, dass
Lothar seine Ansprüche auf Rätien erst im Vertrage von Verdun
endgiltig aufgab, bis 843 einen Kaiser als Staatsoberhaupt. Die Lex
wird also wegen der Erwähnung des Königs als jünger anzusehen
sein. Da eine rätische Schenkungsurkunde von 844 9 noch frei ist
von einem Vorbehalte, der in der Lex Curiensis bei Schenkungen
vorgeschrieben ist und seit 852 oder 859 regelmässig in den rätischen
Urkunden erscheint, so wird man der Wahrheit am nächsten kommen,
wenn man die Mitte des neunten Jahrhunderts als Entstehungszeit
der Lex Curiensis betrachtet.

Vom Standpunkte des heutigen Romanisten beurteilt, ist die Lex
Curiensis eine herzlich schlechte Arbeit. Der Verfasser war ein
schwacher Jurist und hat seine Quellen vielfach missverstanden. Dafür
liefert er aber von dem Zustande des römischen Rechtes, wie es da-
mals im Rechtsleben geübt wurde, ein treueres Bild wie irgend eine
andere der in den germanischen Reichen entstandenen Quellen des
römischen Rechtes. Für das römische Vulgarrecht ist die Lex
Curiensis die wichtigste Fundgrube.

Aus Churrätien stammt noch eine andere merkwürdige Rechts-
quelle, eine Satzung von zwölf Kapiteln, die man als Capitula Remedii
bezeichnet 10. Remedius, seit 800 Bischof von Chur, wird darin zwei-

7 Wartmann Nr 421.
8 Vgl. über die Datierung der rätisch-alamannischen Urkunden aus der Zeit
Ludwigs des Deutschen Wartmann, UB. der Abtei St. Gallen I zu Nr 353. Die
Epoche von 843, welche v. Salis in Betracht zieht, wird man, als Ludwig der
Deutsche in Rätien unbestritten regierte, schwerlich angewendet haben.
9 Wartmann Nr 391. Siehe Brunner, Z2 f. RG IV 265.
10 Wyss im Archiv f. schweizerische Geschichte VII 1851 S 212. Stobbe,
De lege Utinensi S 24. Planta, Das alte Rätien, 1872, S 309 ff.

und die Capitula Remedii.
wesens entscheiden gegen so hohes Alter der Lex. Diese kann nicht
jünger sein wie das neunte Jahrhundert, dem die überlieferten Hand-
schriften angehören. Sie muſs spätestens im Jahre 859 in Unterrätien
vorhanden gewesen sein. Denn eine Urkunde 7, welche in den Jahren
852 oder 859 zu Rankweil ausgestellt worden ist 8, beruft sich mit
den Worten: sicut lex continet, auf eine Stelle der Lex Romana
Curiensis. Da an verschiedenen Stellen vom König, nirgends vom
Kaiser die Rede ist, dürfte die Lex zu einer Zeit abgefaſst worden
sein, als Rätien nicht unter einem Kaiser, sondern nur unter einem
König stand. Denn es ist unwahrscheinlich, daſs gerade eine römische
Rechtsaufzeichnung, eine Paraphrase römischer Kaiserkonstitutionen
ohne zwingenden Grund den Ausdruck rex gewählt hätte. Rätien
hatte im neunten Jahrhundert bis 840, oder wenn man erwägt, daſs
Lothar seine Ansprüche auf Rätien erst im Vertrage von Verdun
endgiltig aufgab, bis 843 einen Kaiser als Staatsoberhaupt. Die Lex
wird also wegen der Erwähnung des Königs als jünger anzusehen
sein. Da eine rätische Schenkungsurkunde von 844 9 noch frei ist
von einem Vorbehalte, der in der Lex Curiensis bei Schenkungen
vorgeschrieben ist und seit 852 oder 859 regelmäſsig in den rätischen
Urkunden erscheint, so wird man der Wahrheit am nächsten kommen,
wenn man die Mitte des neunten Jahrhunderts als Entstehungszeit
der Lex Curiensis betrachtet.

Vom Standpunkte des heutigen Romanisten beurteilt, ist die Lex
Curiensis eine herzlich schlechte Arbeit. Der Verfasser war ein
schwacher Jurist und hat seine Quellen vielfach miſsverstanden. Dafür
liefert er aber von dem Zustande des römischen Rechtes, wie es da-
mals im Rechtsleben geübt wurde, ein treueres Bild wie irgend eine
andere der in den germanischen Reichen entstandenen Quellen des
römischen Rechtes. Für das römische Vulgarrecht ist die Lex
Curiensis die wichtigste Fundgrube.

Aus Churrätien stammt noch eine andere merkwürdige Rechts-
quelle, eine Satzung von zwölf Kapiteln, die man als Capitula Remedii
bezeichnet 10. Remedius, seit 800 Bischof von Chur, wird darin zwei-

7 Wartmann Nr 421.
8 Vgl. über die Datierung der rätisch-alamannischen Urkunden aus der Zeit
Ludwigs des Deutschen Wartmann, UB. der Abtei St. Gallen I zu Nr 353. Die
Epoche von 843, welche v. Salis in Betracht zieht, wird man, als Ludwig der
Deutsche in Rätien unbestritten regierte, schwerlich angewendet haben.
9 Wartmann Nr 391. Siehe Brunner, Z2 f. RG IV 265.
10 Wyſs im Archiv f. schweizerische Geschichte VII 1851 S 212. Stobbe,
De lege Utinensi S 24. Planta, Das alte Rätien, 1872, S 309 ff.
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[363/0381] und die Capitula Remedii. wesens entscheiden gegen so hohes Alter der Lex. Diese kann nicht jünger sein wie das neunte Jahrhundert, dem die überlieferten Hand- schriften angehören. Sie muſs spätestens im Jahre 859 in Unterrätien vorhanden gewesen sein. Denn eine Urkunde 7, welche in den Jahren 852 oder 859 zu Rankweil ausgestellt worden ist 8, beruft sich mit den Worten: sicut lex continet, auf eine Stelle der Lex Romana Curiensis. Da an verschiedenen Stellen vom König, nirgends vom Kaiser die Rede ist, dürfte die Lex zu einer Zeit abgefaſst worden sein, als Rätien nicht unter einem Kaiser, sondern nur unter einem König stand. Denn es ist unwahrscheinlich, daſs gerade eine römische Rechtsaufzeichnung, eine Paraphrase römischer Kaiserkonstitutionen ohne zwingenden Grund den Ausdruck rex gewählt hätte. Rätien hatte im neunten Jahrhundert bis 840, oder wenn man erwägt, daſs Lothar seine Ansprüche auf Rätien erst im Vertrage von Verdun endgiltig aufgab, bis 843 einen Kaiser als Staatsoberhaupt. Die Lex wird also wegen der Erwähnung des Königs als jünger anzusehen sein. Da eine rätische Schenkungsurkunde von 844 9 noch frei ist von einem Vorbehalte, der in der Lex Curiensis bei Schenkungen vorgeschrieben ist und seit 852 oder 859 regelmäſsig in den rätischen Urkunden erscheint, so wird man der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man die Mitte des neunten Jahrhunderts als Entstehungszeit der Lex Curiensis betrachtet. Vom Standpunkte des heutigen Romanisten beurteilt, ist die Lex Curiensis eine herzlich schlechte Arbeit. Der Verfasser war ein schwacher Jurist und hat seine Quellen vielfach miſsverstanden. Dafür liefert er aber von dem Zustande des römischen Rechtes, wie es da- mals im Rechtsleben geübt wurde, ein treueres Bild wie irgend eine andere der in den germanischen Reichen entstandenen Quellen des römischen Rechtes. Für das römische Vulgarrecht ist die Lex Curiensis die wichtigste Fundgrube. Aus Churrätien stammt noch eine andere merkwürdige Rechts- quelle, eine Satzung von zwölf Kapiteln, die man als Capitula Remedii bezeichnet 10. Remedius, seit 800 Bischof von Chur, wird darin zwei- 7 Wartmann Nr 421. 8 Vgl. über die Datierung der rätisch-alamannischen Urkunden aus der Zeit Ludwigs des Deutschen Wartmann, UB. der Abtei St. Gallen I zu Nr 353. Die Epoche von 843, welche v. Salis in Betracht zieht, wird man, als Ludwig der Deutsche in Rätien unbestritten regierte, schwerlich angewendet haben. 9 Wartmann Nr 391. Siehe Brunner, Z2 f. RG IV 265. 10 Wyſs im Archiv f. schweizerische Geschichte VII 1851 S 212. Stobbe, De lege Utinensi S 24. Planta, Das alte Rätien, 1872, S 309 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/381>, abgerufen am 22.11.2024.