Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 53. Edictus Langobardorum. "volumina"15, eingeteilt. Sie können sich in Bezug auf Durchsichtig-keit und Anschaulichkeit zwar nicht mit Rotharis Gesetzen messen, sind aber gleich diesen noch ein Zeugnis von der hervorragenden juristischen Begabung des langobardischen Stammes. Die Sprache der Gesetzgebung wird unter Liutprand allmählich ausführlicher. Die Satzungen werden bereits durch allgemeine Erwägungen oder durch den Hinweis auf Rechtsfälle, die sie veranlassten, motiviert. Der Ein- fluss des Katholizismus, der seit Grimoald bei den Langobarden durch- gedrungen war, beginnt sich in der Gesetzgebung fühlbar zu machen. Liutprands Prologe nehmen Bibelsprüche und fromme Äusserungen in sich auf. Nicht eigene Weisheit, sondern göttliche Inspiration hat nach dem Prolog des ersten Volumens dem katholischen König die neuen Gesetze diktiert. Zu den hergebrachten Freilassungsarten tritt als eine privilegierte Form die Freilassung in der Kirche hinzu. Heidnische Bräuche und heidnischer Aberglaube werden verfolgt und bestraft, die Verfügungen zum Heile der Seele begünstigt. Die Ehe mit der Witwe des Vetters wird verboten, weil der Papst es verlangt habe, qui in omni mundo caput ecclesiarum Dei et sacerdotum est16. Entlehnungen aus dem römischen Rechte sind auch bei Liutprand selten. Nur in Materien, die mit dem Urkundenwesen zusammen- hängen, gewinnt es steigende Bedeutung. So stellt es Liutprand in die Wahl der Kontrahenten, ob sie ihre Geschäftsurkunden nach römischem oder nach langobardischem Rechte ausstellen wollen17. So ist der Rechtssatz, dass Schuldurkunden nach fünf Jahren ihre Giltigkeit verlieren, wenn sie nicht erneuert worden sind, auf eine verwandte Bestimmung des Kaisers Honorius von 421 zurückzuführen18. Bemerkenswert sind in Liutprands Gesetzen die Anfänge einer mit dem Wortlaut des älteren Edikts operierenden Jurisprudenz. Der gesetzlichen Regelung neuer Rechtsfälle wird mitunter die Erörterung vorausgeschickt, dass und warum sie sich nicht unter ältere Gesetze subsumieren lassen19. als eine im Fürstentum Benevent entstandene Rechtsaufzeichnung darstellt. Vgl. LL V 121 Anm 11 und Rosin, Die Formvorschriften für die Veräusserungsge- schäfte der Frauen nach langob. Recht, bei Gierke, Untersuchungen VIII 24 ff. 15 Liu. prol. vor c. 30 ff.: quoniam quidem superius in hoc edicti corpore ea quae nobis et nostris iudicibus vel caeteris Langobardis congrua paruerunt, in quatuor uoluminibus adiungere curauimus. Vgl. prol. vor c. 54 und 70. 16 Liu. c. 33. 17 Liu. 91. Vgl. Brunner, RG d. U. I 7 Anm 1. 18 Liu. 16 vgl. mit Cod. Theod. II 27 l. un. Vgl. Bethmann-Hollweg, Civilprozess III 287, IV 384. 19 Liu. 141 setzt die Strafe zu Haut und Haar auf collectio mulierum; denn 24*
§ 53. Edictus Langobardorum. „volumina“15, eingeteilt. Sie können sich in Bezug auf Durchsichtig-keit und Anschaulichkeit zwar nicht mit Rotharis Gesetzen messen, sind aber gleich diesen noch ein Zeugnis von der hervorragenden juristischen Begabung des langobardischen Stammes. Die Sprache der Gesetzgebung wird unter Liutprand allmählich ausführlicher. Die Satzungen werden bereits durch allgemeine Erwägungen oder durch den Hinweis auf Rechtsfälle, die sie veranlaſsten, motiviert. Der Ein- fluſs des Katholizismus, der seit Grimoald bei den Langobarden durch- gedrungen war, beginnt sich in der Gesetzgebung fühlbar zu machen. Liutprands Prologe nehmen Bibelsprüche und fromme Äuſserungen in sich auf. Nicht eigene Weisheit, sondern göttliche Inspiration hat nach dem Prolog des ersten Volumens dem katholischen König die neuen Gesetze diktiert. Zu den hergebrachten Freilassungsarten tritt als eine privilegierte Form die Freilassung in der Kirche hinzu. Heidnische Bräuche und heidnischer Aberglaube werden verfolgt und bestraft, die Verfügungen zum Heile der Seele begünstigt. Die Ehe mit der Witwe des Vetters wird verboten, weil der Papst es verlangt habe, qui in omni mundo caput ecclesiarum Dei et sacerdotum est16. Entlehnungen aus dem römischen Rechte sind auch bei Liutprand selten. Nur in Materien, die mit dem Urkundenwesen zusammen- hängen, gewinnt es steigende Bedeutung. So stellt es Liutprand in die Wahl der Kontrahenten, ob sie ihre Geschäftsurkunden nach römischem oder nach langobardischem Rechte ausstellen wollen17. So ist der Rechtssatz, daſs Schuldurkunden nach fünf Jahren ihre Giltigkeit verlieren, wenn sie nicht erneuert worden sind, auf eine verwandte Bestimmung des Kaisers Honorius von 421 zurückzuführen18. Bemerkenswert sind in Liutprands Gesetzen die Anfänge einer mit dem Wortlaut des älteren Edikts operierenden Jurisprudenz. Der gesetzlichen Regelung neuer Rechtsfälle wird mitunter die Erörterung vorausgeschickt, daſs und warum sie sich nicht unter ältere Gesetze subsumieren lassen19. als eine im Fürstentum Benevent entstandene Rechtsaufzeichnung darstellt. Vgl. LL V 121 Anm 11 und Rosin, Die Formvorschriften für die Veräuſserungsge- schäfte der Frauen nach langob. Recht, bei Gierke, Untersuchungen VIII 24 ff. 15 Liu. prol. vor c. 30 ff.: quoniam quidem superius in hoc edicti corpore ea quae nobis et nostris iudicibus vel caeteris Langobardis congrua paruerunt, in quatuor uoluminibus adiungere curauimus. Vgl. prol. vor c. 54 und 70. 16 Liu. c. 33. 17 Liu. 91. Vgl. Brunner, RG d. U. I 7 Anm 1. 18 Liu. 16 vgl. mit Cod. Theod. II 27 l. un. Vgl. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs III 287, IV 384. 19 Liu. 141 setzt die Strafe zu Haut und Haar auf collectio mulierum; denn 24*
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§ 53. Edictus Langobardorum.
„volumina“ 15, eingeteilt. Sie können sich in Bezug auf Durchsichtig-
keit und Anschaulichkeit zwar nicht mit Rotharis Gesetzen messen,
sind aber gleich diesen noch ein Zeugnis von der hervorragenden
juristischen Begabung des langobardischen Stammes. Die Sprache der
Gesetzgebung wird unter Liutprand allmählich ausführlicher. Die
Satzungen werden bereits durch allgemeine Erwägungen oder durch
den Hinweis auf Rechtsfälle, die sie veranlaſsten, motiviert. Der Ein-
fluſs des Katholizismus, der seit Grimoald bei den Langobarden durch-
gedrungen war, beginnt sich in der Gesetzgebung fühlbar zu machen.
Liutprands Prologe nehmen Bibelsprüche und fromme Äuſserungen in
sich auf. Nicht eigene Weisheit, sondern göttliche Inspiration hat
nach dem Prolog des ersten Volumens dem katholischen König die
neuen Gesetze diktiert. Zu den hergebrachten Freilassungsarten tritt
als eine privilegierte Form die Freilassung in der Kirche hinzu.
Heidnische Bräuche und heidnischer Aberglaube werden verfolgt und
bestraft, die Verfügungen zum Heile der Seele begünstigt. Die Ehe
mit der Witwe des Vetters wird verboten, weil der Papst es verlangt
habe, qui in omni mundo caput ecclesiarum Dei et sacerdotum est 16.
Entlehnungen aus dem römischen Rechte sind auch bei Liutprand
selten. Nur in Materien, die mit dem Urkundenwesen zusammen-
hängen, gewinnt es steigende Bedeutung. So stellt es Liutprand in
die Wahl der Kontrahenten, ob sie ihre Geschäftsurkunden nach
römischem oder nach langobardischem Rechte ausstellen wollen 17.
So ist der Rechtssatz, daſs Schuldurkunden nach fünf Jahren ihre
Giltigkeit verlieren, wenn sie nicht erneuert worden sind, auf eine
verwandte Bestimmung des Kaisers Honorius von 421 zurückzuführen 18.
Bemerkenswert sind in Liutprands Gesetzen die Anfänge einer mit
dem Wortlaut des älteren Edikts operierenden Jurisprudenz. Der
gesetzlichen Regelung neuer Rechtsfälle wird mitunter die Erörterung
vorausgeschickt, daſs und warum sie sich nicht unter ältere Gesetze
subsumieren lassen 19.
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15 Liu. prol. vor c. 30 ff.: quoniam quidem superius in hoc edicti corpore
ea quae nobis et nostris iudicibus vel caeteris Langobardis congrua paruerunt, in
quatuor uoluminibus adiungere curauimus. Vgl. prol. vor c. 54 und 70.
16 Liu. c. 33.
17 Liu. 91. Vgl. Brunner, RG d. U. I 7 Anm 1.
18 Liu. 16 vgl. mit Cod. Theod. II 27 l. un. Vgl. Bethmann-Hollweg,
Civilprozeſs III 287, IV 384.
19 Liu. 141 setzt die Strafe zu Haut und Haar auf collectio mulierum; denn
14 als eine im Fürstentum Benevent entstandene Rechtsaufzeichnung darstellt. Vgl.
LL V 121 Anm 11 und Rosin, Die Formvorschriften für die Veräuſserungsge-
schäfte der Frauen nach langob. Recht, bei Gierke, Untersuchungen VIII 24 ff.
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