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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 53. Edictus Langobardorum.

Neue Zusätze erhielt der Edictus unter König Ratchis, welcher
im Jahre 746 acht Kapitel hinzufügte, und unter König Aistulf,
welcher als der letzte einheimische Gesetzgeber des Langobarden-
reiches im Jahre 755 noch dreizehn Kapitel anhängte.

Dem Körper des Edikts wurden nur solche Gesetze einverleibt,
welche auf den langobardischen Reichstagen mit Beirat der Beamten
und unter Zustimmung des Volkes beschlossen worden waren. Ausser-
dem haben aber die langobardischen Könige Verordnungen und in-
terimistische Gesetze erlassen, die von vorneherein nicht dazu bestimmt
waren in das Edikt aufgenommen zu werden. Diesen Charakter
haben ein Reglement Liutprands für die königlichen Gutsvögte, notitia
de actoribus betitelt, und zwei Kapitel des Königs Ratchis, welche
den Passzwang für Romfahrer und die königlichen Gasinden betreffen
und von welchen Racthis selbst bemerkt, dass sie nicht in das Edikt
eingefügt werden sollen. Von Ratchis besitzen wir noch vier andere
Kapitel, welche im Jahre 745 oder 746 nur mit Beirat der iudices
zustande kamen und nicht zur Einverleibung in das Edikt bestimmt
waren20. Dasselbe gilt von einem interimistischen Gesetze Aistulfs
von 750, dessen Inhalt hauptsächlich für einen Krieg mit den Römern
berechnet ist21. Weder Gesetz noch Verordnung ist das in Grimoalds
oder Liutprands Zeit entstandene Memoratorium de mercedes Coma-
cinorum, eine Aufzeichnung über das Recht der Zimmer- und Bau-
leute22, welche ohne Grund einem jener beiden Könige zugeschrieben
wird.

Seit der Unterwerfung des Langobardenreiches unter die frän-
kische Herrschaft machte das langobardische Recht in den unteritalischen
Sitzen der Langobarden insofern eine selbständige Entwicklung durch,

der Fall könne weder unten den Begriff des ariscild noch unter den der seditio
rusticanorum gebracht werden, quia istas causas uiri faciunt, nam non mulieres.
In Liu. 134 wird die Zusammenrottung der Gemeindegenossen zur Austreibung
eines missliebigen Dorfbewohners mit der Strafe von 20 solidi bedroht. Denn
dieses Verbrechen könne weder als ariscild (Roth. 19), noch als consilium rustica-
norum (Roth. 279), noch als seditio rusticanorum (Roth. 280) aufgefasst werden.
Et plus congruum nobis paruit esse de consilium malum, id est de consilio mortis
(Roth. 11) .... ideo adsimilavimus causam istam ad consilium mortis ... In
Liu. 78 wird die von Grimoald c. 4 eingeführte Verjährungsfrist von 30 Jahren für
Fiskalgüter verdoppelt, weil Roth. 369 bei causae regales doppelte compositio
anordnet.
20 Ihr Inhalt wird in Aistulfs Gesetzen von 746 teilweise wiederholt, teilweise
abgeändert. Boretius, Capitularien im Langobardenreich S 14.
21 Boretius a. O. S 12. 13.
22 Comacini hiessen sie nach ihrem Hauptwohnsitz in der Gegend von Como.
§ 53. Edictus Langobardorum.

Neue Zusätze erhielt der Edictus unter König Ratchis, welcher
im Jahre 746 acht Kapitel hinzufügte, und unter König Aistulf,
welcher als der letzte einheimische Gesetzgeber des Langobarden-
reiches im Jahre 755 noch dreizehn Kapitel anhängte.

Dem Körper des Edikts wurden nur solche Gesetze einverleibt,
welche auf den langobardischen Reichstagen mit Beirat der Beamten
und unter Zustimmung des Volkes beschlossen worden waren. Auſser-
dem haben aber die langobardischen Könige Verordnungen und in-
terimistische Gesetze erlassen, die von vorneherein nicht dazu bestimmt
waren in das Edikt aufgenommen zu werden. Diesen Charakter
haben ein Reglement Liutprands für die königlichen Gutsvögte, notitia
de actoribus betitelt, und zwei Kapitel des Königs Ratchis, welche
den Paſszwang für Romfahrer und die königlichen Gasinden betreffen
und von welchen Racthis selbst bemerkt, daſs sie nicht in das Edikt
eingefügt werden sollen. Von Ratchis besitzen wir noch vier andere
Kapitel, welche im Jahre 745 oder 746 nur mit Beirat der iudices
zustande kamen und nicht zur Einverleibung in das Edikt bestimmt
waren20. Dasselbe gilt von einem interimistischen Gesetze Aistulfs
von 750, dessen Inhalt hauptsächlich für einen Krieg mit den Römern
berechnet ist21. Weder Gesetz noch Verordnung ist das in Grimoalds
oder Liutprands Zeit entstandene Memoratorium de mercedes Coma-
cinorum, eine Aufzeichnung über das Recht der Zimmer- und Bau-
leute22, welche ohne Grund einem jener beiden Könige zugeschrieben
wird.

Seit der Unterwerfung des Langobardenreiches unter die frän-
kische Herrschaft machte das langobardische Recht in den unteritalischen
Sitzen der Langobarden insofern eine selbständige Entwicklung durch,

der Fall könne weder unten den Begriff des ariscild noch unter den der seditio
rusticanorum gebracht werden, quia istas causas uiri faciunt, nam non mulieres.
In Liu. 134 wird die Zusammenrottung der Gemeindegenossen zur Austreibung
eines miſsliebigen Dorfbewohners mit der Strafe von 20 solidi bedroht. Denn
dieses Verbrechen könne weder als ariscild (Roth. 19), noch als consilium rustica-
norum (Roth. 279), noch als seditio rusticanorum (Roth. 280) aufgefaſst werden.
Et plus congruum nobis paruit esse de consilium malum, id est de consilio mortis
(Roth. 11) .... ideo adsimilavimus causam istam ad consilium mortis … In
Liu. 78 wird die von Grimoald c. 4 eingeführte Verjährungsfrist von 30 Jahren für
Fiskalgüter verdoppelt, weil Roth. 369 bei causae regales doppelte compositio
anordnet.
20 Ihr Inhalt wird in Aistulfs Gesetzen von 746 teilweise wiederholt, teilweise
abgeändert. Boretius, Capitularien im Langobardenreich S 14.
21 Boretius a. O. S 12. 13.
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[372/0390] § 53. Edictus Langobardorum. Neue Zusätze erhielt der Edictus unter König Ratchis, welcher im Jahre 746 acht Kapitel hinzufügte, und unter König Aistulf, welcher als der letzte einheimische Gesetzgeber des Langobarden- reiches im Jahre 755 noch dreizehn Kapitel anhängte. Dem Körper des Edikts wurden nur solche Gesetze einverleibt, welche auf den langobardischen Reichstagen mit Beirat der Beamten und unter Zustimmung des Volkes beschlossen worden waren. Auſser- dem haben aber die langobardischen Könige Verordnungen und in- terimistische Gesetze erlassen, die von vorneherein nicht dazu bestimmt waren in das Edikt aufgenommen zu werden. Diesen Charakter haben ein Reglement Liutprands für die königlichen Gutsvögte, notitia de actoribus betitelt, und zwei Kapitel des Königs Ratchis, welche den Paſszwang für Romfahrer und die königlichen Gasinden betreffen und von welchen Racthis selbst bemerkt, daſs sie nicht in das Edikt eingefügt werden sollen. Von Ratchis besitzen wir noch vier andere Kapitel, welche im Jahre 745 oder 746 nur mit Beirat der iudices zustande kamen und nicht zur Einverleibung in das Edikt bestimmt waren 20. Dasselbe gilt von einem interimistischen Gesetze Aistulfs von 750, dessen Inhalt hauptsächlich für einen Krieg mit den Römern berechnet ist 21. Weder Gesetz noch Verordnung ist das in Grimoalds oder Liutprands Zeit entstandene Memoratorium de mercedes Coma- cinorum, eine Aufzeichnung über das Recht der Zimmer- und Bau- leute 22, welche ohne Grund einem jener beiden Könige zugeschrieben wird. Seit der Unterwerfung des Langobardenreiches unter die frän- kische Herrschaft machte das langobardische Recht in den unteritalischen Sitzen der Langobarden insofern eine selbständige Entwicklung durch, 19 20 Ihr Inhalt wird in Aistulfs Gesetzen von 746 teilweise wiederholt, teilweise abgeändert. Boretius, Capitularien im Langobardenreich S 14. 21 Boretius a. O. S 12. 13. 22 Comacini hieſsen sie nach ihrem Hauptwohnsitz in der Gegend von Como. 19 der Fall könne weder unten den Begriff des ariscild noch unter den der seditio rusticanorum gebracht werden, quia istas causas uiri faciunt, nam non mulieres. In Liu. 134 wird die Zusammenrottung der Gemeindegenossen zur Austreibung eines miſsliebigen Dorfbewohners mit der Strafe von 20 solidi bedroht. Denn dieses Verbrechen könne weder als ariscild (Roth. 19), noch als consilium rustica- norum (Roth. 279), noch als seditio rusticanorum (Roth. 280) aufgefaſst werden. Et plus congruum nobis paruit esse de consilium malum, id est de consilio mortis (Roth. 11) .... ideo adsimilavimus causam istam ad consilium mortis … In Liu. 78 wird die von Grimoald c. 4 eingeführte Verjährungsfrist von 30 Jahren für Fiskalgüter verdoppelt, weil Roth. 369 bei causae regales doppelte compositio anordnet.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/390>, abgerufen am 21.11.2024.