Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 54. Königsrecht und Kapitularien. Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige, Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks- Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen. sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag. 7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense, Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie- bat, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur XV solidis. 8 Cap. I 47. 9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius, Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27. 10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro
nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen- tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi- tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann- fälle und sagt zum Schluss des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate. § 54. Königsrecht und Kapitularien. Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige, Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks- Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen. sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag. 7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense, Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie- bat, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur XV solidis. 8 Cap. I 47. 9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius, Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27. 10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro
nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen- tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi- tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann- fälle und sagt zum Schluſs des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0395" n="377"/> <fw place="top" type="header">§ 54. Königsrecht und Kapitularien.</fw><lb/> <p>Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige,<lb/> allgemeine Verordnungen erlassen<note place="foot" n="7">Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense,<lb/> Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, <hi rendition="#g">quod et pater meus ante praecipie-<lb/> bat</hi>, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur<lb/> XV solidis.</note>. Es sind uns drei Dekrete Karl-<lb/> manns und Pippins aus den Jahren 742—744 erhalten. Sie sind mit<lb/> Zustimmung der geistlichen und weltlichen Amtsaristokratie zustande<lb/> gekommen.</p><lb/> <p>Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks-<lb/> rechtlichen oder administrativen Inhalt haben, gleichartige Benen-<lb/> nungen. Sie hieſsen entweder, wie die Königsurkunde überhaupt,<lb/> auctoritas oder edictum, praeceptio, decretum, decretio. Dagegen<lb/> wurde in karolingischer Zeit der Ausdruck „capitulare“ technische<lb/> Bezeichnung der königlichen Satzungen. Er begegnet uns im frän-<lb/> kischen Reiche zuerst für eine Verordnung Karls von 779<note place="foot" n="8">Cap. I 47.</note>. Schon<lb/> 750 findet er sich bei den Langobarden, nämlich in einer Verordnung<lb/> Aistulfs, wo er vermutlich im Gegensatz zum Edictus als der Quelle<lb/> des Volksrechtes gebraucht wird<note place="foot" n="9">Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. <hi rendition="#g">Boretius</hi>,<lb/> Cap. im Langobardenreich S 12; <hi rendition="#g">derselbe</hi>, Beiträge S 27.</note>. Capitulare heiſst bei den Franken<lb/> der einzelne Abschnitt der Satzungsurkunde<note place="foot" n="10">Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro<lb/> nostra emendatione commune sunt prolata, per <hi rendition="#g">distincta capitula</hi> subter tenen-<lb/> tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in<lb/> omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der<lb/> fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi-<lb/> tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis<lb/> bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das<lb/> Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann-<lb/> fälle und sagt zum Schluſs des 3. Kapitels: haec <hi rendition="#g">octo</hi> capitula in assiduitate.</note>. Die Gesamtheit der<lb/> in einer Urkunde zusammengetragenen, weil gleichzeitig entstandenen<lb/> Kapitel wird capitulare oder capitulatio genannt oder durch den<lb/> Plural capitula bezeichnet.</p><lb/> <p>Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen.<lb/> Jenachdem ihr Inhalt geistliche oder weltliche Angelegenheiten be-<lb/> trifft, sind capitularia ecclesiastica und mundana zu unterscheiden.<lb/> Doch besteht keine scharfe Trennung der beiden Gruppen, da manche<lb/> Kapitularien zugleich weltliche und kirchliche Materien regeln. Be-<lb/> deutsamer ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien, wie sie am<lb/><note xml:id="seg2pn_29_2" prev="#seg2pn_29_1" place="foot" n="6">sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram<lb/> und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0395]
§ 54. Königsrecht und Kapitularien.
Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige,
allgemeine Verordnungen erlassen 7. Es sind uns drei Dekrete Karl-
manns und Pippins aus den Jahren 742—744 erhalten. Sie sind mit
Zustimmung der geistlichen und weltlichen Amtsaristokratie zustande
gekommen.
Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks-
rechtlichen oder administrativen Inhalt haben, gleichartige Benen-
nungen. Sie hieſsen entweder, wie die Königsurkunde überhaupt,
auctoritas oder edictum, praeceptio, decretum, decretio. Dagegen
wurde in karolingischer Zeit der Ausdruck „capitulare“ technische
Bezeichnung der königlichen Satzungen. Er begegnet uns im frän-
kischen Reiche zuerst für eine Verordnung Karls von 779 8. Schon
750 findet er sich bei den Langobarden, nämlich in einer Verordnung
Aistulfs, wo er vermutlich im Gegensatz zum Edictus als der Quelle
des Volksrechtes gebraucht wird 9. Capitulare heiſst bei den Franken
der einzelne Abschnitt der Satzungsurkunde 10. Die Gesamtheit der
in einer Urkunde zusammengetragenen, weil gleichzeitig entstandenen
Kapitel wird capitulare oder capitulatio genannt oder durch den
Plural capitula bezeichnet.
Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen.
Jenachdem ihr Inhalt geistliche oder weltliche Angelegenheiten be-
trifft, sind capitularia ecclesiastica und mundana zu unterscheiden.
Doch besteht keine scharfe Trennung der beiden Gruppen, da manche
Kapitularien zugleich weltliche und kirchliche Materien regeln. Be-
deutsamer ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien, wie sie am
6
7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense,
Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie-
bat, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur
XV solidis.
8 Cap. I 47.
9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius,
Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27.
10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro
nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen-
tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in
omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der
fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi-
tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis
bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das
Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann-
fälle und sagt zum Schluſs des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate.
6 sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram
und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |