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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 55. Die Kapitulariensammlungen.
in ihre missatischen Sprengel mitgegeben werden. In Gegensatz zu
den Capitula per se scribenda stellen sich unter ihnen dem Inhalte
nach nur diejenigen, welche blosse Instruktionen für die Missi ent-
halten. Diese sind oft nichts anderes wie schriftliche Notizen zur
Fixierung mündlicher Instruktionen 26 und enthalten manchmal nur
ein dürres Verzeichnis der Punkte, auf welche der Missus bei Be-
reisung des Sprengels sein Augenmerk zu richten hatte. Daneben
finden sich Kapitularien, die sich zwar an die Missi wenden, aber
nicht bloss für sie berechnet sind, sondern von ihnen verkündigt wer-
den sollen, um allgemeine Beachtung zu finden, oder ihnen als Voll-
macht dienen sollen für die Massregeln, deren Durchführung ihnen
aufgetragen wurde.

Die verschiedenen Arten von Kapitularien stehen in engem Zu-
sammenhang mit der Thätigkeit der Reichsversammlungen. Hier
wurden sie häufig angeregt und regelmässig beraten. Der Konsens der
auf dem Reichstage versammelten Menge wurde zur Not wohl auch
als Ersatz der bei den Capitula legibus addenda grundsätzlich erforder-
lichen Mitwirkung des Volkes angesehen. Im Anschluss an die Reichs-
versammlungen sind die Kapitularien mindestens gelegentlich auch
publiziert worden 27, so dass die dem deutschen Reichsrechte eigen-
tümliche Einrichtung der Reichstagsabschiede schon in fränkischer Zeit
ein Vorbild hatte. Einzelne Stücke haben geradezu den Charakter
von Reichstagsakten, sie erweisen sich als Aufzeichnungen über Gegen-
stände, welche auf Reichstagen verhandelt werden sollten oder ver-
handelt worden sind 28.

§ 55. Die Kapitulariensammlungen.

Die Collectio Ansegisi bei Baluze, Capitularia I 693; Pertz, LL I 271; in der
Kapitularienausg. von Boretius I 394. Die Sammlung Benedikts bei Baluze
I 801; Pertz, LL II 2 S 39.
Litteratur: Boretius in Cap. I 382--393. Stobbe, RQ I 231. Knust, De
Benedicti levitae collectione capitularium, 1836, und bei Pertz, LL II 2 S 19--39.

26 In Cap. I 145 beantwortet der König eine Anzahl von Anfragen eines
Missus. Eine dieser Anfragen bezieht sich auf Brückengelder und Zölle. Der
König verweist auf seinen Befehl, dass der Zoll dort, wo es alte Gewohnheit sei,
erhoben werden solle. Nam et hoc, heisst es dann, antea vobis ore proprio in-
iunximus
et nequaquam intellexistis.
27 Die Collectio s. Dionysii, Zeumer, Formulae S 509, enthält den Brief
eines Missus an einen Amtsvorgänger, worin er ihn bittet, ihm unter anderem zu
senden: illam paginam, que coram domino imperatore et nobis omnibus lecta est,
cum universis generaliter data fuit licentia eundi palatio.
28 Waitz, VG III 486. 487.

§ 55. Die Kapitulariensammlungen.
in ihre missatischen Sprengel mitgegeben werden. In Gegensatz zu
den Capitula per se scribenda stellen sich unter ihnen dem Inhalte
nach nur diejenigen, welche bloſse Instruktionen für die Missi ent-
halten. Diese sind oft nichts anderes wie schriftliche Notizen zur
Fixierung mündlicher Instruktionen 26 und enthalten manchmal nur
ein dürres Verzeichnis der Punkte, auf welche der Missus bei Be-
reisung des Sprengels sein Augenmerk zu richten hatte. Daneben
finden sich Kapitularien, die sich zwar an die Missi wenden, aber
nicht bloſs für sie berechnet sind, sondern von ihnen verkündigt wer-
den sollen, um allgemeine Beachtung zu finden, oder ihnen als Voll-
macht dienen sollen für die Maſsregeln, deren Durchführung ihnen
aufgetragen wurde.

Die verschiedenen Arten von Kapitularien stehen in engem Zu-
sammenhang mit der Thätigkeit der Reichsversammlungen. Hier
wurden sie häufig angeregt und regelmäſsig beraten. Der Konsens der
auf dem Reichstage versammelten Menge wurde zur Not wohl auch
als Ersatz der bei den Capitula legibus addenda grundsätzlich erforder-
lichen Mitwirkung des Volkes angesehen. Im Anschluſs an die Reichs-
versammlungen sind die Kapitularien mindestens gelegentlich auch
publiziert worden 27, so daſs die dem deutschen Reichsrechte eigen-
tümliche Einrichtung der Reichstagsabschiede schon in fränkischer Zeit
ein Vorbild hatte. Einzelne Stücke haben geradezu den Charakter
von Reichstagsakten, sie erweisen sich als Aufzeichnungen über Gegen-
stände, welche auf Reichstagen verhandelt werden sollten oder ver-
handelt worden sind 28.

§ 55. Die Kapitulariensammlungen.

Die Collectio Ansegisi bei Baluze, Capitularia I 693; Pertz, LL I 271; in der
Kapitularienausg. von Boretius I 394. Die Sammlung Benedikts bei Baluze
I 801; Pertz, LL II 2 S 39.
Litteratur: Boretius in Cap. I 382—393. Stobbe, RQ I 231. Knust, De
Benedicti levitae collectione capitularium, 1836, und bei Pertz, LL II 2 S 19—39.

26 In Cap. I 145 beantwortet der König eine Anzahl von Anfragen eines
Missus. Eine dieser Anfragen bezieht sich auf Brückengelder und Zölle. Der
König verweist auf seinen Befehl, daſs der Zoll dort, wo es alte Gewohnheit sei,
erhoben werden solle. Nam et hoc, heiſst es dann, antea vobis ore proprio in-
iunximus
et nequaquam intellexistis.
27 Die Collectio s. Dionysii, Zeumer, Formulae S 509, enthält den Brief
eines Missus an einen Amtsvorgänger, worin er ihn bittet, ihm unter anderem zu
senden: illam paginam, que coram domino imperatore et nobis omnibus lecta est,
cum universis generaliter data fuit licentia eundi palatio.
28 Waitz, VG III 486. 487.
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[382/0400] § 55. Die Kapitulariensammlungen. in ihre missatischen Sprengel mitgegeben werden. In Gegensatz zu den Capitula per se scribenda stellen sich unter ihnen dem Inhalte nach nur diejenigen, welche bloſse Instruktionen für die Missi ent- halten. Diese sind oft nichts anderes wie schriftliche Notizen zur Fixierung mündlicher Instruktionen 26 und enthalten manchmal nur ein dürres Verzeichnis der Punkte, auf welche der Missus bei Be- reisung des Sprengels sein Augenmerk zu richten hatte. Daneben finden sich Kapitularien, die sich zwar an die Missi wenden, aber nicht bloſs für sie berechnet sind, sondern von ihnen verkündigt wer- den sollen, um allgemeine Beachtung zu finden, oder ihnen als Voll- macht dienen sollen für die Maſsregeln, deren Durchführung ihnen aufgetragen wurde. Die verschiedenen Arten von Kapitularien stehen in engem Zu- sammenhang mit der Thätigkeit der Reichsversammlungen. Hier wurden sie häufig angeregt und regelmäſsig beraten. Der Konsens der auf dem Reichstage versammelten Menge wurde zur Not wohl auch als Ersatz der bei den Capitula legibus addenda grundsätzlich erforder- lichen Mitwirkung des Volkes angesehen. Im Anschluſs an die Reichs- versammlungen sind die Kapitularien mindestens gelegentlich auch publiziert worden 27, so daſs die dem deutschen Reichsrechte eigen- tümliche Einrichtung der Reichstagsabschiede schon in fränkischer Zeit ein Vorbild hatte. Einzelne Stücke haben geradezu den Charakter von Reichstagsakten, sie erweisen sich als Aufzeichnungen über Gegen- stände, welche auf Reichstagen verhandelt werden sollten oder ver- handelt worden sind 28. § 55. Die Kapitulariensammlungen. Die Collectio Ansegisi bei Baluze, Capitularia I 693; Pertz, LL I 271; in der Kapitularienausg. von Boretius I 394. Die Sammlung Benedikts bei Baluze I 801; Pertz, LL II 2 S 39. Litteratur: Boretius in Cap. I 382—393. Stobbe, RQ I 231. Knust, De Benedicti levitae collectione capitularium, 1836, und bei Pertz, LL II 2 S 19—39. 26 In Cap. I 145 beantwortet der König eine Anzahl von Anfragen eines Missus. Eine dieser Anfragen bezieht sich auf Brückengelder und Zölle. Der König verweist auf seinen Befehl, daſs der Zoll dort, wo es alte Gewohnheit sei, erhoben werden solle. Nam et hoc, heiſst es dann, antea vobis ore proprio in- iunximus et nequaquam intellexistis. 27 Die Collectio s. Dionysii, Zeumer, Formulae S 509, enthält den Brief eines Missus an einen Amtsvorgänger, worin er ihn bittet, ihm unter anderem zu senden: illam paginam, que coram domino imperatore et nobis omnibus lecta est, cum universis generaliter data fuit licentia eundi palatio. 28 Waitz, VG III 486. 487.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/400>, abgerufen am 21.11.2024.