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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 56. Das langobardische Recht
und seine Nachfolger für das fränkische Reich erliessen, wurden, so-
weit es als passend erschien, auch in Italien promulgiert, ausserdem
einzelne Kapitularien speziell für Italien abgefasst (Capitula italica).
Ebenso haben die Karolinger, welche Italien als Unterkönige regierten,
wie Pippin und Lothar, durch italische Kapitularien die Rechts-
zustände des Landes geordnet. Das fränkische Königsrecht, welches
auf diese Weise in Italien eingeführt wurde, beanspruchte im all-
gemeinen territoriale Geltung, es wollte nicht bloss für die Lango-
barden, sondern auch für die Römer und sonstige italische Unter-
thanen gelten. Doch stellen sich einzelne Kapitularien als Capitula
legi Langobardorum addenda, also als Ergänzungen des langobardischen
Stammesrechtes dar, ohne territoriale Geltung zu beanspruchen 1. Von
einer Mitwirkung des langobardischen Volkes und der langobardischen
Grossen ist bei den im fränkischen Reiche entstandenen Kapitularien
unter Karl dem Grossen und Ludwig I. keine Rede, mag es sich nun
um allgemeine oder um speziell italische Kapitularien handeln 2.
Wohl aber haben sich die italischen Könige Pippin, Lothar und
Ludwig II. bei ihren Gesetzen des Beirates der italischen Grossen
bedient 3. Das fränkische Königsrecht schnitt nicht selten schroff in
das hergebrachte Langobardenrecht ein. Man fragte im fränkischen
Reiche nicht darnach, ob auch jeder Rechtssatz der Kapitularien in
das System des langobardischen Rechtes passe, sondern dekretierte
ohne Bedenken Rechtssätze aus dem Geiste des fränkischen Rechtes
heraus, indem es der Praxis und der Jurisprudenz Italiens überlassen
blieb, sie mit dem geltenden Rechte in Einklang zu setzen.

Zu dem Rechtsstoff des Ediktes traten im Langobardenreich als
eine in Form und Inhalt anders geartete Masse von Rechtsquellen
seit dem Beginn der fränkischen Herrschaft bis zum Ausgang des
neunten Jahrhunderts die Kapitularien Karls des Grossen, seines

1 Z. B. das Cap. ital. v. J. 801, I 204.
2 In Italien stiessen einzelne Kapitel des Cap. legg. add. v. J. 803, I 113,
darunter, wie es scheint, das in c. 1 daselbst normierte Wergeld der Geistlichkeit,
auf Widerstand. Aus diesem Anlass schrieb Karl 806--10 an seinen Sohn Pippin
(Cap. I 211): audivimus etiam, quod quedam capitula, quae in lege scribi iussimus,
per aliqua loca aliqui ex nostris ac vestris dicunt, quod nos nequaquam illis hanc
causam ad notitiam per nosmetipsos condictam habeamus, et ideo nolunt ea oboe-
dire nec consentire neque pro lege tenere. Karl fordert daher seinen Sohn auf,
sie allenthalben bekannt zu machen, indem er zugleich das in Cap. I 113, c. 1
normierte Wergeld des presbyter von 600 solidi auf das dreifache Wergeld seiner
Geburt herabsetzt. Der Konsens der Langobarden wird nicht als erforderlich er-
achtet, sondern nur auf die Publikation Gewicht gelegt.
3 Boretius, Beiträge S 55.

§ 56. Das langobardische Recht
und seine Nachfolger für das fränkische Reich erlieſsen, wurden, so-
weit es als passend erschien, auch in Italien promulgiert, auſserdem
einzelne Kapitularien speziell für Italien abgefaſst (Capitula italica).
Ebenso haben die Karolinger, welche Italien als Unterkönige regierten,
wie Pippin und Lothar, durch italische Kapitularien die Rechts-
zustände des Landes geordnet. Das fränkische Königsrecht, welches
auf diese Weise in Italien eingeführt wurde, beanspruchte im all-
gemeinen territoriale Geltung, es wollte nicht bloſs für die Lango-
barden, sondern auch für die Römer und sonstige italische Unter-
thanen gelten. Doch stellen sich einzelne Kapitularien als Capitula
legi Langobardorum addenda, also als Ergänzungen des langobardischen
Stammesrechtes dar, ohne territoriale Geltung zu beanspruchen 1. Von
einer Mitwirkung des langobardischen Volkes und der langobardischen
Groſsen ist bei den im fränkischen Reiche entstandenen Kapitularien
unter Karl dem Groſsen und Ludwig I. keine Rede, mag es sich nun
um allgemeine oder um speziell italische Kapitularien handeln 2.
Wohl aber haben sich die italischen Könige Pippin, Lothar und
Ludwig II. bei ihren Gesetzen des Beirates der italischen Groſsen
bedient 3. Das fränkische Königsrecht schnitt nicht selten schroff in
das hergebrachte Langobardenrecht ein. Man fragte im fränkischen
Reiche nicht darnach, ob auch jeder Rechtssatz der Kapitularien in
das System des langobardischen Rechtes passe, sondern dekretierte
ohne Bedenken Rechtssätze aus dem Geiste des fränkischen Rechtes
heraus, indem es der Praxis und der Jurisprudenz Italiens überlassen
blieb, sie mit dem geltenden Rechte in Einklang zu setzen.

Zu dem Rechtsstoff des Ediktes traten im Langobardenreich als
eine in Form und Inhalt anders geartete Masse von Rechtsquellen
seit dem Beginn der fränkischen Herrschaft bis zum Ausgang des
neunten Jahrhunderts die Kapitularien Karls des Groſsen, seines

1 Z. B. das Cap. ital. v. J. 801, I 204.
2 In Italien stieſsen einzelne Kapitel des Cap. legg. add. v. J. 803, I 113,
darunter, wie es scheint, das in c. 1 daselbst normierte Wergeld der Geistlichkeit,
auf Widerstand. Aus diesem Anlaſs schrieb Karl 806—10 an seinen Sohn Pippin
(Cap. I 211): audivimus etiam, quod quedam capitula, quae in lege scribi iussimus,
per aliqua loca aliqui ex nostris ac vestris dicunt, quod nos nequaquam illis hanc
causam ad notitiam per nosmetipsos condictam habeamus, et ideo nolunt ea oboe-
dire nec consentire neque pro lege tenere. Karl fordert daher seinen Sohn auf,
sie allenthalben bekannt zu machen, indem er zugleich das in Cap. I 113, c. 1
normierte Wergeld des presbyter von 600 solidi auf das dreifache Wergeld seiner
Geburt herabsetzt. Der Konsens der Langobarden wird nicht als erforderlich er-
achtet, sondern nur auf die Publikation Gewicht gelegt.
3 Boretius, Beiträge S 55.
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[388/0406] § 56. Das langobardische Recht und seine Nachfolger für das fränkische Reich erlieſsen, wurden, so- weit es als passend erschien, auch in Italien promulgiert, auſserdem einzelne Kapitularien speziell für Italien abgefaſst (Capitula italica). Ebenso haben die Karolinger, welche Italien als Unterkönige regierten, wie Pippin und Lothar, durch italische Kapitularien die Rechts- zustände des Landes geordnet. Das fränkische Königsrecht, welches auf diese Weise in Italien eingeführt wurde, beanspruchte im all- gemeinen territoriale Geltung, es wollte nicht bloſs für die Lango- barden, sondern auch für die Römer und sonstige italische Unter- thanen gelten. Doch stellen sich einzelne Kapitularien als Capitula legi Langobardorum addenda, also als Ergänzungen des langobardischen Stammesrechtes dar, ohne territoriale Geltung zu beanspruchen 1. Von einer Mitwirkung des langobardischen Volkes und der langobardischen Groſsen ist bei den im fränkischen Reiche entstandenen Kapitularien unter Karl dem Groſsen und Ludwig I. keine Rede, mag es sich nun um allgemeine oder um speziell italische Kapitularien handeln 2. Wohl aber haben sich die italischen Könige Pippin, Lothar und Ludwig II. bei ihren Gesetzen des Beirates der italischen Groſsen bedient 3. Das fränkische Königsrecht schnitt nicht selten schroff in das hergebrachte Langobardenrecht ein. Man fragte im fränkischen Reiche nicht darnach, ob auch jeder Rechtssatz der Kapitularien in das System des langobardischen Rechtes passe, sondern dekretierte ohne Bedenken Rechtssätze aus dem Geiste des fränkischen Rechtes heraus, indem es der Praxis und der Jurisprudenz Italiens überlassen blieb, sie mit dem geltenden Rechte in Einklang zu setzen. Zu dem Rechtsstoff des Ediktes traten im Langobardenreich als eine in Form und Inhalt anders geartete Masse von Rechtsquellen seit dem Beginn der fränkischen Herrschaft bis zum Ausgang des neunten Jahrhunderts die Kapitularien Karls des Groſsen, seines 1 Z. B. das Cap. ital. v. J. 801, I 204. 2 In Italien stieſsen einzelne Kapitel des Cap. legg. add. v. J. 803, I 113, darunter, wie es scheint, das in c. 1 daselbst normierte Wergeld der Geistlichkeit, auf Widerstand. Aus diesem Anlaſs schrieb Karl 806—10 an seinen Sohn Pippin (Cap. I 211): audivimus etiam, quod quedam capitula, quae in lege scribi iussimus, per aliqua loca aliqui ex nostris ac vestris dicunt, quod nos nequaquam illis hanc causam ad notitiam per nosmetipsos condictam habeamus, et ideo nolunt ea oboe- dire nec consentire neque pro lege tenere. Karl fordert daher seinen Sohn auf, sie allenthalben bekannt zu machen, indem er zugleich das in Cap. I 113, c. 1 normierte Wergeld des presbyter von 600 solidi auf das dreifache Wergeld seiner Geburt herabsetzt. Der Konsens der Langobarden wird nicht als erforderlich er- achtet, sondern nur auf die Publikation Gewicht gelegt. 3 Boretius, Beiträge S 55.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/406>, abgerufen am 21.11.2024.