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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.
Chamaven gehörten zu ihnen, obwohl ihr Sondername sich noch länger
erhielt. Die Könige der Ribuarier residieren in der zweiten Hälfte
des fünften Jahrhunderts zu Köln. Den dritten Hauptstamm der
Franken bilden die Chatten oder Hessen, deren Geschichte um die
Zeit der Gründung des fränkischen Reiches in vollständiges Dunkel
gehüllt ist.

Die Sachsen werden zuerst um die Mitte des zweiten Jahr-
hunderts unter mehreren die kimbrische Halbinsel erfüllenden Völker-
schaften erwähnt14. Sie sassen damals am rechten Ufer der unteren
Elbe, die sie von den Chauken trennte. Erst gegen Ende des
dritten Jahrhunderts gewinnt der Sachsenname umfassendere Bedeu-
tung und wird er Gesamtname einer niederdeutschen Völkergruppe,
welche sich nach Süden bis an den Harz ausdehnt und jedenfalls die
Angrivarier, vermutlich auch die Chauken und die Cherusker in sich
aufgesogen hat. Schon in der Zeit Diokletians machten sich die Sachsen
durch Seeraub und Plünderung der römischen Küsten gefürchtet. Seit
der Mitte des fünften Jahrhunderts setzen sich sächsische Schwärme
im Verein mit Angeln und Jüten in dem von den Römern aufgegebenen
Britannien fest, wo sie eine Anzahl selbständiger Königreiche gründen,
aber schliesslich unter der Einherrschaft der Könige von Wessex ver-
einigt werden und zu dem Volke der Angelsachsen erwachsen. Die
Sachsen des Festlandes zerfallen in karolingischer Zeit, soweit sie
links der Elbe sitzen, in die drei Gruppen der Westfalen, der Engern15
und der Ostfalen oder Osterleute. Ihnen werden die nördlichen Sachsen
als Nordleute oder Nordalbinger gegenübergestellt.

Zwischen Franken und Sachsen erhielt sich an der Nordseeküste die
uralte Völkergruppe der Friesen16. Drusus hatte sie unter römische
Botmässigkeit gebracht, doch war seit Claudius der grössere, etwa der
östlich der Yssel sesshafte Teil des Stammes davon frei geworden.
Die älteste Gliederung der Friesen ist nicht ganz klar. Tacitus unter-
scheidet grosse und kleine Friesen, Plinius kennt Frisii und Frisiavones,
eine Unterscheidung, die durch römische Militärinschriften bestätigt
wird. Eine einzelne friesische Völkerschaft17 sind höchst wahrschein-

14 Der Name wird von sahs, einem kurzen Schwerte hergeleitet.
15 In ihnen hat sich der Name der Angrivarii erhalten. Er stammt von dem
Worte Anger (ahd. angar) pratum, arvum. Grimm, WB I 348. Müllenhoff,
Z f. DA IX 236.
16 Nach Grimm, Gesch. d. DSpr S 465 f. die Freien; nach Zeuss S 136 die Wa-
genden, die Kühnen. Dazu Böcking, Not. dign. S 907 * und die daselbst zit. Stelle
des Geographen von Ravenna: et audaces homines eamdem patriam proferre asserunt.
17 Denn sie dienen im cuneus Frisiorum. Z2 f. RG V 226.

§ 8. Das Auftreten der deutschen Stämme.
Chamaven gehörten zu ihnen, obwohl ihr Sondername sich noch länger
erhielt. Die Könige der Ribuarier residieren in der zweiten Hälfte
des fünften Jahrhunderts zu Köln. Den dritten Hauptstamm der
Franken bilden die Chatten oder Hessen, deren Geschichte um die
Zeit der Gründung des fränkischen Reiches in vollständiges Dunkel
gehüllt ist.

Die Sachsen werden zuerst um die Mitte des zweiten Jahr-
hunderts unter mehreren die kimbrische Halbinsel erfüllenden Völker-
schaften erwähnt14. Sie saſsen damals am rechten Ufer der unteren
Elbe, die sie von den Chauken trennte. Erst gegen Ende des
dritten Jahrhunderts gewinnt der Sachsenname umfassendere Bedeu-
tung und wird er Gesamtname einer niederdeutschen Völkergruppe,
welche sich nach Süden bis an den Harz ausdehnt und jedenfalls die
Angrivarier, vermutlich auch die Chauken und die Cherusker in sich
aufgesogen hat. Schon in der Zeit Diokletians machten sich die Sachsen
durch Seeraub und Plünderung der römischen Küsten gefürchtet. Seit
der Mitte des fünften Jahrhunderts setzen sich sächsische Schwärme
im Verein mit Angeln und Jüten in dem von den Römern aufgegebenen
Britannien fest, wo sie eine Anzahl selbständiger Königreiche gründen,
aber schlieſslich unter der Einherrschaft der Könige von Wessex ver-
einigt werden und zu dem Volke der Angelsachsen erwachsen. Die
Sachsen des Festlandes zerfallen in karolingischer Zeit, soweit sie
links der Elbe sitzen, in die drei Gruppen der Westfalen, der Engern15
und der Ostfalen oder Osterleute. Ihnen werden die nördlichen Sachsen
als Nordleute oder Nordalbinger gegenübergestellt.

Zwischen Franken und Sachsen erhielt sich an der Nordseeküste die
uralte Völkergruppe der Friesen16. Drusus hatte sie unter römische
Botmäſsigkeit gebracht, doch war seit Claudius der gröſsere, etwa der
östlich der Yssel seſshafte Teil des Stammes davon frei geworden.
Die älteste Gliederung der Friesen ist nicht ganz klar. Tacitus unter-
scheidet groſse und kleine Friesen, Plinius kennt Frisii und Frisiavones,
eine Unterscheidung, die durch römische Militärinschriften bestätigt
wird. Eine einzelne friesische Völkerschaft17 sind höchst wahrschein-

14 Der Name wird von sahs, einem kurzen Schwerte hergeleitet.
15 In ihnen hat sich der Name der Angrivarii erhalten. Er stammt von dem
Worte Anger (ahd. angar) pratum, arvum. Grimm, WB I 348. Müllenhoff,
Z f. DA IX 236.
16 Nach Grimm, Gesch. d. DSpr S 465 f. die Freien; nach Zeuſs S 136 die Wa-
genden, die Kühnen. Dazu Böcking, Not. dign. S 907 * und die daselbst zit. Stelle
des Geographen von Ravenna: et audaces homines eamdem patriam proferre asserunt.
17 Denn sie dienen im cuneus Frisiorum. Z2 f. RG V 226.
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[44/0062] § 8. Das Auftreten der deutschen Stämme. Chamaven gehörten zu ihnen, obwohl ihr Sondername sich noch länger erhielt. Die Könige der Ribuarier residieren in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts zu Köln. Den dritten Hauptstamm der Franken bilden die Chatten oder Hessen, deren Geschichte um die Zeit der Gründung des fränkischen Reiches in vollständiges Dunkel gehüllt ist. Die Sachsen werden zuerst um die Mitte des zweiten Jahr- hunderts unter mehreren die kimbrische Halbinsel erfüllenden Völker- schaften erwähnt 14. Sie saſsen damals am rechten Ufer der unteren Elbe, die sie von den Chauken trennte. Erst gegen Ende des dritten Jahrhunderts gewinnt der Sachsenname umfassendere Bedeu- tung und wird er Gesamtname einer niederdeutschen Völkergruppe, welche sich nach Süden bis an den Harz ausdehnt und jedenfalls die Angrivarier, vermutlich auch die Chauken und die Cherusker in sich aufgesogen hat. Schon in der Zeit Diokletians machten sich die Sachsen durch Seeraub und Plünderung der römischen Küsten gefürchtet. Seit der Mitte des fünften Jahrhunderts setzen sich sächsische Schwärme im Verein mit Angeln und Jüten in dem von den Römern aufgegebenen Britannien fest, wo sie eine Anzahl selbständiger Königreiche gründen, aber schlieſslich unter der Einherrschaft der Könige von Wessex ver- einigt werden und zu dem Volke der Angelsachsen erwachsen. Die Sachsen des Festlandes zerfallen in karolingischer Zeit, soweit sie links der Elbe sitzen, in die drei Gruppen der Westfalen, der Engern 15 und der Ostfalen oder Osterleute. Ihnen werden die nördlichen Sachsen als Nordleute oder Nordalbinger gegenübergestellt. Zwischen Franken und Sachsen erhielt sich an der Nordseeküste die uralte Völkergruppe der Friesen 16. Drusus hatte sie unter römische Botmäſsigkeit gebracht, doch war seit Claudius der gröſsere, etwa der östlich der Yssel seſshafte Teil des Stammes davon frei geworden. Die älteste Gliederung der Friesen ist nicht ganz klar. Tacitus unter- scheidet groſse und kleine Friesen, Plinius kennt Frisii und Frisiavones, eine Unterscheidung, die durch römische Militärinschriften bestätigt wird. Eine einzelne friesische Völkerschaft 17 sind höchst wahrschein- 14 Der Name wird von sahs, einem kurzen Schwerte hergeleitet. 15 In ihnen hat sich der Name der Angrivarii erhalten. Er stammt von dem Worte Anger (ahd. angar) pratum, arvum. Grimm, WB I 348. Müllenhoff, Z f. DA IX 236. 16 Nach Grimm, Gesch. d. DSpr S 465 f. die Freien; nach Zeuſs S 136 die Wa- genden, die Kühnen. Dazu Böcking, Not. dign. S 907 * und die daselbst zit. Stelle des Geographen von Ravenna: et audaces homines eamdem patriam proferre asserunt. 17 Denn sie dienen im cuneus Frisiorum. Z2 f. RG V 226.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/62>, abgerufen am 21.11.2024.