Schon Tacitus hebt die geringe Volkszahl der Langobarden her- vor 12, die durch ihre hervorragende Tapferkeit ausgeglichen werde, ein Motiv, welches in der langobardischen Stammsage wiederkehrt 13. Um sich ihrer Feinde zu erwehren haben sie im Drange der Not freigelassene Knechte und Schwärme besiegter Völkerschaften in das Volksheer aufgenommen 14. Fremde Elemente sind auf diese Weise in den Volkskörper eingedrungen, ein Umstand, der es erklären hilft, dass der überlieferte Sprachschatz der hochdeutschen Langobarden vereinzelte Worte aufweist, die als germanische zu bestimmen oder überhaupt aufzuhellen der Sprachwissenschaft bisher nicht gelungen ist.
Im Verhältnis zu den Römern und zu den römischen Institutionen ist das Auftreten der Langobarden ein durchaus anderes als das der Ostgoten. Wo die Langobarden festen Fuss fassten, haben sie das römische Verwaltungssystem und die römische Ämterverfassung hin- weggefegt und nicht einen Zwitterstaat, sondern ein rein nationales Staatswesen geschaffen. Die Römer wurden nicht als gleichberech- tigtes, sondern als unterjochtes Volk behandelt. Noch um die Mitte des siebenten Jahrhunderts ist das Volksrecht der Langobarden fast völlig frei von römischen Einflüssen. Erst als der Staat eine feste volkstümliche Grundlage gewonnen hatte, begann eine massvolle An- lehnung an römische Einrichtungen und begann die öffentlichrechtliche Gleichstellung der römischen Bevölkerung sich anzubahnen. Nach mehr wie zweihundertjährigem Bestande ging das Reich der Lango- barden auf Karl den Grossen über. Es ist damals nicht innerer Ent- kräftung erlegen, sondern durch das übermächtige Bündnis der denk- bar gefährlichsten Gegner, nämlich durch die geeinte Kraft des frän- kischen Reiches und durch die Todfeindschaft des römischen Papsttums überwunden worden.
Die Reiche der Vandalen, der Burgunder, der Westgoten, der Ostgoten und der Langobarden haben das gemeinsame Merkmal, dass in ihnen von Anfang an ausser dem nationalen Gegensatze der ger- manischen und der ihr an Kopfzahl überlegenen römischen Bevöl- kerung ein folgenschwerer konfessioneller Zwiespalt obwaltete. Durch ihre Berührung mit den Oströmern hatten ostgermanische Stämme
12 Germania c. 40.
13 Origo, SS rer. Lang. 2: erat gens parva quae Winnilis vocabatur.
14 Pauli Hist. Lang. I 13, I 20 a. E., I 27, II 26: certum est autem tunc Alboin multos secum ex diversis, quas vel alii reges vel ipse ceperat, gentibus ad Italiam adduxisse. Unde usque hodie eorum, in quibus habitant vicos Gepidos, Vulgares, Sarmatas, Pannonios, Suavos, Noricos sive aliis huiuscemodi nominibus appellamus.
der arianischen Germanen.
Schon Tacitus hebt die geringe Volkszahl der Langobarden her- vor 12, die durch ihre hervorragende Tapferkeit ausgeglichen werde, ein Motiv, welches in der langobardischen Stammsage wiederkehrt 13. Um sich ihrer Feinde zu erwehren haben sie im Drange der Not freigelassene Knechte und Schwärme besiegter Völkerschaften in das Volksheer aufgenommen 14. Fremde Elemente sind auf diese Weise in den Volkskörper eingedrungen, ein Umstand, der es erklären hilft, daſs der überlieferte Sprachschatz der hochdeutschen Langobarden vereinzelte Worte aufweist, die als germanische zu bestimmen oder überhaupt aufzuhellen der Sprachwissenschaft bisher nicht gelungen ist.
Im Verhältnis zu den Römern und zu den römischen Institutionen ist das Auftreten der Langobarden ein durchaus anderes als das der Ostgoten. Wo die Langobarden festen Fuſs faſsten, haben sie das römische Verwaltungssystem und die römische Ämterverfassung hin- weggefegt und nicht einen Zwitterstaat, sondern ein rein nationales Staatswesen geschaffen. Die Römer wurden nicht als gleichberech- tigtes, sondern als unterjochtes Volk behandelt. Noch um die Mitte des siebenten Jahrhunderts ist das Volksrecht der Langobarden fast völlig frei von römischen Einflüssen. Erst als der Staat eine feste volkstümliche Grundlage gewonnen hatte, begann eine maſsvolle An- lehnung an römische Einrichtungen und begann die öffentlichrechtliche Gleichstellung der römischen Bevölkerung sich anzubahnen. Nach mehr wie zweihundertjährigem Bestande ging das Reich der Lango- barden auf Karl den Groſsen über. Es ist damals nicht innerer Ent- kräftung erlegen, sondern durch das übermächtige Bündnis der denk- bar gefährlichsten Gegner, nämlich durch die geeinte Kraft des frän- kischen Reiches und durch die Todfeindschaft des römischen Papsttums überwunden worden.
Die Reiche der Vandalen, der Burgunder, der Westgoten, der Ostgoten und der Langobarden haben das gemeinsame Merkmal, daſs in ihnen von Anfang an auſser dem nationalen Gegensatze der ger- manischen und der ihr an Kopfzahl überlegenen römischen Bevöl- kerung ein folgenschwerer konfessioneller Zwiespalt obwaltete. Durch ihre Berührung mit den Oströmern hatten ostgermanische Stämme
12 Germania c. 40.
13 Origo, SS rer. Lang. 2: erat gens parva quae Winnilis vocabatur.
14 Pauli Hist. Lang. I 13, I 20 a. E., I 27, II 26: certum est autem tunc Alboin multos secum ex diversis, quas vel alii reges vel ipse ceperat, gentibus ad Italiam adduxisse. Unde usque hodie eorum, in quibus habitant vicos Gepidos, Vulgares, Sarmatas, Pannonios, Suavos, Noricos sive aliis huiuscemodi nominibus appellamus.
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der arianischen Germanen.
Schon Tacitus hebt die geringe Volkszahl der Langobarden her-
vor 12, die durch ihre hervorragende Tapferkeit ausgeglichen werde,
ein Motiv, welches in der langobardischen Stammsage wiederkehrt 13.
Um sich ihrer Feinde zu erwehren haben sie im Drange der Not
freigelassene Knechte und Schwärme besiegter Völkerschaften in das
Volksheer aufgenommen 14. Fremde Elemente sind auf diese Weise
in den Volkskörper eingedrungen, ein Umstand, der es erklären hilft,
daſs der überlieferte Sprachschatz der hochdeutschen Langobarden
vereinzelte Worte aufweist, die als germanische zu bestimmen oder
überhaupt aufzuhellen der Sprachwissenschaft bisher nicht gelungen ist.
Im Verhältnis zu den Römern und zu den römischen Institutionen
ist das Auftreten der Langobarden ein durchaus anderes als das der
Ostgoten. Wo die Langobarden festen Fuſs faſsten, haben sie das
römische Verwaltungssystem und die römische Ämterverfassung hin-
weggefegt und nicht einen Zwitterstaat, sondern ein rein nationales
Staatswesen geschaffen. Die Römer wurden nicht als gleichberech-
tigtes, sondern als unterjochtes Volk behandelt. Noch um die Mitte
des siebenten Jahrhunderts ist das Volksrecht der Langobarden fast
völlig frei von römischen Einflüssen. Erst als der Staat eine feste
volkstümliche Grundlage gewonnen hatte, begann eine maſsvolle An-
lehnung an römische Einrichtungen und begann die öffentlichrechtliche
Gleichstellung der römischen Bevölkerung sich anzubahnen. Nach
mehr wie zweihundertjährigem Bestande ging das Reich der Lango-
barden auf Karl den Groſsen über. Es ist damals nicht innerer Ent-
kräftung erlegen, sondern durch das übermächtige Bündnis der denk-
bar gefährlichsten Gegner, nämlich durch die geeinte Kraft des frän-
kischen Reiches und durch die Todfeindschaft des römischen Papsttums
überwunden worden.
Die Reiche der Vandalen, der Burgunder, der Westgoten, der
Ostgoten und der Langobarden haben das gemeinsame Merkmal, daſs
in ihnen von Anfang an auſser dem nationalen Gegensatze der ger-
manischen und der ihr an Kopfzahl überlegenen römischen Bevöl-
kerung ein folgenschwerer konfessioneller Zwiespalt obwaltete. Durch
ihre Berührung mit den Oströmern hatten ostgermanische Stämme
12 Germania c. 40.
13 Origo, SS rer. Lang. 2: erat gens parva quae Winnilis vocabatur.
14 Pauli Hist. Lang. I 13, I 20 a. E., I 27, II 26: certum est autem tunc
Alboin multos secum ex diversis, quas vel alii reges vel ipse ceperat, gentibus ad
Italiam adduxisse. Unde usque hodie eorum, in quibus habitant vicos Gepidos,
Vulgares, Sarmatas, Pannonios, Suavos, Noricos sive aliis huiuscemodi nominibus
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/73>, abgerufen am 16.02.2025.
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