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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 77. Das Königsgericht.
Karls des Grossen gestatten im Fall der Urteilschelte das gescholtene
Urteil an den König zu ziehen, vor welchem durch ein neues Urteil
über die Frage entschieden wird, ob die Schelte begründet war 32.
Rechtssachen gelangen ferner an den König in Fällen der Justiz-
verweigerung und Justizverzögerung 33, wenn die Rachimburgen es
nicht wagen ein Urteil zu finden 34, oder wenn die Sache aus irgend
einem Grunde in den ordentlichen Gerichten oder in den Gerichten
der königlichen Missi nicht erledigt werden kann 35.

Das Königsgericht ist endlich in bestimmten Fällen Spezialgerichts-
hof. Gewisse Strafen kann nur der König verhängen; so die Acht im
Ungehorsamsverfahren der fränkischen Volksrechte, die Todesstrafe
über Personen höheren Standes. Dazu kommen die in karolingischer
Zeit immer zahlreicher werdenden Fälle, in welchen die Strafe dem
Ermessen des Königs anheimgestellt ist 36. Gewisse Rechtsgeschäfte
fordern die Gegenwart des Königs; so die Freilassung durch Schatz-
wurf. Gewisse Missethaten werden durch Kapitularien Karls des
Grossen und Ludwigs I. der Ahndung im Königsgerichte vorbehalten;
so Heeresflucht, Verweigerung des Treueides, parteiliche Rechtspflege
der Schöffen, wissentliche Vorführung meineidiger Zeugen, wieder-
holter Friedensbruch 37. Endlich sollten die Rechtssachen gewisser

32 Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32. Cap. Baiw. c. 7, I 159. Cap. Saxon. v. J.
797, c. 4, I 71: nam si fuerit aliquis, qui in patria iuxta quod sui convicini iudica-
verint seque pacificare noluerit et ad palatium pro huius rei causa venerit et ibi
ei fuerit iudicatum, quod iustum iudicium iudicassent ...
33 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 2, I 190. Cap. Worm. miss. v. J. 829, c. 14,
II 17.
34 Ed. Chilperici c. 10, Cap. I 10 ist von einem mallare ante regem zu ver-
stehen. Vgl. R. Loening, Reinigungseid S. 303. Dann muss aber auch der Satz
et si ipsi (rachimburgi) hoc dubitant, ut malletur causam, so aufgefasst werden, dass
die Sache vor den König gebracht werden dürfe, si .. dubitant. Dubitare im Sinne
von timere. Du Cange II 945. Vgl. franz. douter, redouter, ital. dottare. Hinter
causam ist ante nos oder coram nobis zu ergänzen.
35 Vgl. die oben Anm. 24 citierten indiculi. Cap. miss. c. 19, I 101. Cap. de
miss. officiis v. J. 810, c. 5, I 155.
36 Siehe oben S. 44. 64.
37 Cap. miss. Aquisgr. v. J. 810, c. 13, I 153. Cap. miss. I 67, c. 4. Cap.
Worm. miss. v. J. 829, c. 4. 6. 7, II 15. Cap. Caris. v. J. 873, c. 10, Pertz, LL
I 521. Vgl. u. a. noch Cap. Worm. v. J. 829, c. 1. 7. 10, II 12 f. Cap. de missis
instruendis v. J. 829, II 9: quae personae vel quibus causis culpabiles ad praesen-
tiam nostram venire debent, discernendum est -- exceptis episcopis, abbatibus,
comitibus, qui ad placita nostra semper venire debent -- isti veniant, si talibus
culpis et criminibus deprehensi fuerint, quales inferius adnotatae sunt. Siehe die
Aufzählung der dem Königsgerichte vorbehaltenen Straffälle bei Heinze, Z. f. RG
X 455.

§ 77. Das Königsgericht.
Karls des Groſsen gestatten im Fall der Urteilschelte das gescholtene
Urteil an den König zu ziehen, vor welchem durch ein neues Urteil
über die Frage entschieden wird, ob die Schelte begründet war 32.
Rechtssachen gelangen ferner an den König in Fällen der Justiz-
verweigerung und Justizverzögerung 33, wenn die Rachimburgen es
nicht wagen ein Urteil zu finden 34, oder wenn die Sache aus irgend
einem Grunde in den ordentlichen Gerichten oder in den Gerichten
der königlichen Missi nicht erledigt werden kann 35.

Das Königsgericht ist endlich in bestimmten Fällen Spezialgerichts-
hof. Gewisse Strafen kann nur der König verhängen; so die Acht im
Ungehorsamsverfahren der fränkischen Volksrechte, die Todesstrafe
über Personen höheren Standes. Dazu kommen die in karolingischer
Zeit immer zahlreicher werdenden Fälle, in welchen die Strafe dem
Ermessen des Königs anheimgestellt ist 36. Gewisse Rechtsgeschäfte
fordern die Gegenwart des Königs; so die Freilassung durch Schatz-
wurf. Gewisse Missethaten werden durch Kapitularien Karls des
Groſsen und Ludwigs I. der Ahndung im Königsgerichte vorbehalten;
so Heeresflucht, Verweigerung des Treueides, parteiliche Rechtspflege
der Schöffen, wissentliche Vorführung meineidiger Zeugen, wieder-
holter Friedensbruch 37. Endlich sollten die Rechtssachen gewisser

32 Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32. Cap. Baiw. c. 7, I 159. Cap. Saxon. v. J.
797, c. 4, I 71: nam si fuerit aliquis, qui in patria iuxta quod sui convicini iudica-
verint seque pacificare noluerit et ad palatium pro huius rei causa venerit et ibi
ei fuerit iudicatum, quod iustum iudicium iudicassent …
33 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 2, I 190. Cap. Worm. miss. v. J. 829, c. 14,
II 17.
34 Ed. Chilperici c. 10, Cap. I 10 ist von einem mallare ante regem zu ver-
stehen. Vgl. R. Loening, Reinigungseid S. 303. Dann muſs aber auch der Satz
et si ipsi (rachimburgi) hoc dubitant, ut malletur causam, so aufgefaſst werden, daſs
die Sache vor den König gebracht werden dürfe, si .. dubitant. Dubitare im Sinne
von timere. Du Cange II 945. Vgl. franz. douter, redouter, ital. dottare. Hinter
causam ist ante nos oder coram nobis zu ergänzen.
35 Vgl. die oben Anm. 24 citierten indiculi. Cap. miss. c. 19, I 101. Cap. de
miss. officiis v. J. 810, c. 5, I 155.
36 Siehe oben S. 44. 64.
37 Cap. miss. Aquisgr. v. J. 810, c. 13, I 153. Cap. miss. I 67, c. 4. Cap.
Worm. miss. v. J. 829, c. 4. 6. 7, II 15. Cap. Caris. v. J. 873, c. 10, Pertz, LL
I 521. Vgl. u. a. noch Cap. Worm. v. J. 829, c. 1. 7. 10, II 12 f. Cap. de missis
instruendis v. J. 829, II 9: quae personae vel quibus causis culpabiles ad praesen-
tiam nostram venire debent, discernendum est — exceptis episcopis, abbatibus,
comitibus, qui ad placita nostra semper venire debent — isti veniant, si talibus
culpis et criminibus deprehensi fuerint, quales inferius adnotatae sunt. Siehe die
Aufzählung der dem Königsgerichte vorbehaltenen Straffälle bei Heinze, Z. f. RG
X 455.
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[139/0157] § 77. Das Königsgericht. Karls des Groſsen gestatten im Fall der Urteilschelte das gescholtene Urteil an den König zu ziehen, vor welchem durch ein neues Urteil über die Frage entschieden wird, ob die Schelte begründet war 32. Rechtssachen gelangen ferner an den König in Fällen der Justiz- verweigerung und Justizverzögerung 33, wenn die Rachimburgen es nicht wagen ein Urteil zu finden 34, oder wenn die Sache aus irgend einem Grunde in den ordentlichen Gerichten oder in den Gerichten der königlichen Missi nicht erledigt werden kann 35. Das Königsgericht ist endlich in bestimmten Fällen Spezialgerichts- hof. Gewisse Strafen kann nur der König verhängen; so die Acht im Ungehorsamsverfahren der fränkischen Volksrechte, die Todesstrafe über Personen höheren Standes. Dazu kommen die in karolingischer Zeit immer zahlreicher werdenden Fälle, in welchen die Strafe dem Ermessen des Königs anheimgestellt ist 36. Gewisse Rechtsgeschäfte fordern die Gegenwart des Königs; so die Freilassung durch Schatz- wurf. Gewisse Missethaten werden durch Kapitularien Karls des Groſsen und Ludwigs I. der Ahndung im Königsgerichte vorbehalten; so Heeresflucht, Verweigerung des Treueides, parteiliche Rechtspflege der Schöffen, wissentliche Vorführung meineidiger Zeugen, wieder- holter Friedensbruch 37. Endlich sollten die Rechtssachen gewisser 32 Cap. Pipp. 754/5, c. 7, I 32. Cap. Baiw. c. 7, I 159. Cap. Saxon. v. J. 797, c. 4, I 71: nam si fuerit aliquis, qui in patria iuxta quod sui convicini iudica- verint seque pacificare noluerit et ad palatium pro huius rei causa venerit et ibi ei fuerit iudicatum, quod iustum iudicium iudicassent … 33 Cap. Mant. v. J. 781?, c. 2, I 190. Cap. Worm. miss. v. J. 829, c. 14, II 17. 34 Ed. Chilperici c. 10, Cap. I 10 ist von einem mallare ante regem zu ver- stehen. Vgl. R. Loening, Reinigungseid S. 303. Dann muſs aber auch der Satz et si ipsi (rachimburgi) hoc dubitant, ut malletur causam, so aufgefaſst werden, daſs die Sache vor den König gebracht werden dürfe, si .. dubitant. Dubitare im Sinne von timere. Du Cange II 945. Vgl. franz. douter, redouter, ital. dottare. Hinter causam ist ante nos oder coram nobis zu ergänzen. 35 Vgl. die oben Anm. 24 citierten indiculi. Cap. miss. c. 19, I 101. Cap. de miss. officiis v. J. 810, c. 5, I 155. 36 Siehe oben S. 44. 64. 37 Cap. miss. Aquisgr. v. J. 810, c. 13, I 153. Cap. miss. I 67, c. 4. Cap. Worm. miss. v. J. 829, c. 4. 6. 7, II 15. Cap. Caris. v. J. 873, c. 10, Pertz, LL I 521. Vgl. u. a. noch Cap. Worm. v. J. 829, c. 1. 7. 10, II 12 f. Cap. de missis instruendis v. J. 829, II 9: quae personae vel quibus causis culpabiles ad praesen- tiam nostram venire debent, discernendum est — exceptis episcopis, abbatibus, comitibus, qui ad placita nostra semper venire debent — isti veniant, si talibus culpis et criminibus deprehensi fuerint, quales inferius adnotatae sunt. Siehe die Aufzählung der dem Königsgerichte vorbehaltenen Straffälle bei Heinze, Z. f. RG X 455.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/157>, abgerufen am 21.11.2024.