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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 77. Das Königsgericht.
Personenklassen vor das Königsgericht gelangen. Einen eigentlichen
privilegierten Gerichtsstand vor dem Könige kennt zwar das fränkische
Reichsrecht nicht. Auch die geistlichen und weltlichen Grossen waren
den ordentlichen Gerichten unterworfen 38, ausgenommen eigentliche
Kriminalsachen der Bischöfe, in welchen das Strafurteil vom Königs-
gerichte ausgesprochen wurde 39. Doch sollten nach einer Instruktion
Karls des Grossen Rechtshändel, welche Bischöfe, Äbte, Grafen und
Grosse untereinander haben, an das Königsgericht verwiesen werden,
damit die Wirksamkeit der ordentlichen Gerichte nicht zum Nachteil
der kleinen Leute durch die Streitigkeiten der Grossen zu sehr in
Anspruch genommen werde 40. Ausserdem verordnete Karl ganz all-
gemein, dass homines boni generis wegen Verbrechen oder Vergehen
vor den König gebracht werden sollen, um durch ihn ihre Strafe zu
empfangen 41. Unter Ludwig I. finden sich dann bereits die deut-
lichen Anfänge eines privilegierten Gerichtsstandes. Es wird der
Grundsatz ausgesprochen, dass Bischöfe, Äbte und Grafen um Straf-
sachen im weiteren Sinne des Wortes stets vor dem Könige gerichtet
werden müssen 42. Einzelne Kirchen oder Personen erhalten vom
Könige das Privilegium, dass sie in Sachen ihres Grundbesitzes 43 oder
schlechtweg nur im Königsgerichte verurteilt werden dürfen 44.

So zeigen uns die Quellen der fränkischen Zeit das Königsgericht
in weitreichender und einschneidender Thätigkeit. Es bildet den
Schlussstein der ganzen Gerichtsverwaltung des Reiches, die es regu-

38 Memoria Olonn. v. J. 822/3, c. 7, Cap. I 319. Cap. Mantuanum von 781 (?)
c. 13, I 191. Pipp. Cap. ital. 801--810, c. 10, I 210. Cap. v. J. 884, c. 11, Pertz,
LL I 553.
39 Siehe unten § 96.
40 Cap. de iustitiis faciendis 811--813, c. 2, I 176.
41 Cap. Aquisgran. 801--813, c. 12, I 171.
42 Cap. de missis instruendis v. J. 829, II 9, oben Anm. 37. Über Vassallen
des Königs siehe unten § 92.
43 Ludwig I. für S. Martin in Tours, Mühlbacher Nr. 610: unde ipsa casa
dei in vestris ministeriis legibus vestita esse dinoscatur .. rem nostro examini
iustoque libramini dirimendum relinquatis. Ludwig I. für S. Croix de Poitiers,
Mühlbacher Nr. 737: res monasterii .. non prius ab ullo auferantur quam aut ante
domnum Pippinum aut ante comitem palatii illius praefata ratio reddatur. Pippin
für S. Julien de Brioude v. J. 836, Bouquet VI 674: sed nostro coram comite
palatii ecclesiam ... liceat inquirere. Ludwig der Deutsche für Altaich, Mühl-
bacher
Nr. 1382: liceat res .. remota totius iudiciariae potestatis inquietudine et
vulgari appellatione (mit Ausschluss der Klage im ordentlichen Gerichte) ..
possidere.
44 Urk. Karls des Kahlen bei Bouquet VIII 558: nec in placitum distringere
faciat nisi ante nos aut posteritate nostra.

§ 77. Das Königsgericht.
Personenklassen vor das Königsgericht gelangen. Einen eigentlichen
privilegierten Gerichtsstand vor dem Könige kennt zwar das fränkische
Reichsrecht nicht. Auch die geistlichen und weltlichen Groſsen waren
den ordentlichen Gerichten unterworfen 38, ausgenommen eigentliche
Kriminalsachen der Bischöfe, in welchen das Strafurteil vom Königs-
gerichte ausgesprochen wurde 39. Doch sollten nach einer Instruktion
Karls des Groſsen Rechtshändel, welche Bischöfe, Äbte, Grafen und
Groſse untereinander haben, an das Königsgericht verwiesen werden,
damit die Wirksamkeit der ordentlichen Gerichte nicht zum Nachteil
der kleinen Leute durch die Streitigkeiten der Groſsen zu sehr in
Anspruch genommen werde 40. Auſserdem verordnete Karl ganz all-
gemein, daſs homines boni generis wegen Verbrechen oder Vergehen
vor den König gebracht werden sollen, um durch ihn ihre Strafe zu
empfangen 41. Unter Ludwig I. finden sich dann bereits die deut-
lichen Anfänge eines privilegierten Gerichtsstandes. Es wird der
Grundsatz ausgesprochen, daſs Bischöfe, Äbte und Grafen um Straf-
sachen im weiteren Sinne des Wortes stets vor dem Könige gerichtet
werden müssen 42. Einzelne Kirchen oder Personen erhalten vom
Könige das Privilegium, daſs sie in Sachen ihres Grundbesitzes 43 oder
schlechtweg nur im Königsgerichte verurteilt werden dürfen 44.

So zeigen uns die Quellen der fränkischen Zeit das Königsgericht
in weitreichender und einschneidender Thätigkeit. Es bildet den
Schluſsstein der ganzen Gerichtsverwaltung des Reiches, die es regu-

38 Memoria Olonn. v. J. 822/3, c. 7, Cap. I 319. Cap. Mantuanum von 781 (?)
c. 13, I 191. Pipp. Cap. ital. 801—810, c. 10, I 210. Cap. v. J. 884, c. 11, Pertz,
LL I 553.
39 Siehe unten § 96.
40 Cap. de iustitiis faciendis 811—813, c. 2, I 176.
41 Cap. Aquisgran. 801—813, c. 12, I 171.
42 Cap. de missis instruendis v. J. 829, II 9, oben Anm. 37. Über Vassallen
des Königs siehe unten § 92.
43 Ludwig I. für S. Martin in Tours, Mühlbacher Nr. 610: unde ipsa casa
dei in vestris ministeriis legibus vestita esse dinoscatur .. rem nostro examini
iustoque libramini dirimendum relinquatis. Ludwig I. für S. Croix de Poitiers,
Mühlbacher Nr. 737: res monasterii .. non prius ab ullo auferantur quam aut ante
domnum Pippinum aut ante comitem palatii illius praefata ratio reddatur. Pippin
für S. Julien de Brioude v. J. 836, Bouquet VI 674: sed nostro coram comite
palatii ecclesiam … liceat inquirere. Ludwig der Deutsche für Altaich, Mühl-
bacher
Nr. 1382: liceat res .. remota totius iudiciariae potestatis inquietudine et
vulgari appellatione (mit Ausschluſs der Klage im ordentlichen Gerichte) ..
possidere.
44 Urk. Karls des Kahlen bei Bouquet VIII 558: nec in placitum distringere
faciat nisi ante nos aut posteritate nostra.
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[140/0158] § 77. Das Königsgericht. Personenklassen vor das Königsgericht gelangen. Einen eigentlichen privilegierten Gerichtsstand vor dem Könige kennt zwar das fränkische Reichsrecht nicht. Auch die geistlichen und weltlichen Groſsen waren den ordentlichen Gerichten unterworfen 38, ausgenommen eigentliche Kriminalsachen der Bischöfe, in welchen das Strafurteil vom Königs- gerichte ausgesprochen wurde 39. Doch sollten nach einer Instruktion Karls des Groſsen Rechtshändel, welche Bischöfe, Äbte, Grafen und Groſse untereinander haben, an das Königsgericht verwiesen werden, damit die Wirksamkeit der ordentlichen Gerichte nicht zum Nachteil der kleinen Leute durch die Streitigkeiten der Groſsen zu sehr in Anspruch genommen werde 40. Auſserdem verordnete Karl ganz all- gemein, daſs homines boni generis wegen Verbrechen oder Vergehen vor den König gebracht werden sollen, um durch ihn ihre Strafe zu empfangen 41. Unter Ludwig I. finden sich dann bereits die deut- lichen Anfänge eines privilegierten Gerichtsstandes. Es wird der Grundsatz ausgesprochen, daſs Bischöfe, Äbte und Grafen um Straf- sachen im weiteren Sinne des Wortes stets vor dem Könige gerichtet werden müssen 42. Einzelne Kirchen oder Personen erhalten vom Könige das Privilegium, daſs sie in Sachen ihres Grundbesitzes 43 oder schlechtweg nur im Königsgerichte verurteilt werden dürfen 44. So zeigen uns die Quellen der fränkischen Zeit das Königsgericht in weitreichender und einschneidender Thätigkeit. Es bildet den Schluſsstein der ganzen Gerichtsverwaltung des Reiches, die es regu- 38 Memoria Olonn. v. J. 822/3, c. 7, Cap. I 319. Cap. Mantuanum von 781 (?) c. 13, I 191. Pipp. Cap. ital. 801—810, c. 10, I 210. Cap. v. J. 884, c. 11, Pertz, LL I 553. 39 Siehe unten § 96. 40 Cap. de iustitiis faciendis 811—813, c. 2, I 176. 41 Cap. Aquisgran. 801—813, c. 12, I 171. 42 Cap. de missis instruendis v. J. 829, II 9, oben Anm. 37. Über Vassallen des Königs siehe unten § 92. 43 Ludwig I. für S. Martin in Tours, Mühlbacher Nr. 610: unde ipsa casa dei in vestris ministeriis legibus vestita esse dinoscatur .. rem nostro examini iustoque libramini dirimendum relinquatis. Ludwig I. für S. Croix de Poitiers, Mühlbacher Nr. 737: res monasterii .. non prius ab ullo auferantur quam aut ante domnum Pippinum aut ante comitem palatii illius praefata ratio reddatur. Pippin für S. Julien de Brioude v. J. 836, Bouquet VI 674: sed nostro coram comite palatii ecclesiam … liceat inquirere. Ludwig der Deutsche für Altaich, Mühl- bacher Nr. 1382: liceat res .. remota totius iudiciariae potestatis inquietudine et vulgari appellatione (mit Ausschluſs der Klage im ordentlichen Gerichte) .. possidere. 44 Urk. Karls des Kahlen bei Bouquet VIII 558: nec in placitum distringere faciat nisi ante nos aut posteritate nostra.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/158>, abgerufen am 21.11.2024.