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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 82. Centenar und Vikar.
richtstag. Er hat das Recht des richterlichen Zwanges, das ius distrin-
gendi und einen Bann von drei Solidi8.

Im Laufe der merowingischen Periode muss es dem Grafen viel-
fach gelungen sein, den Centenar in einen gräflichen Unterbeamten,
in einen centenarius comitis zu verwandeln. Denn als solcher be-
gegnet er uns in karolingischer Zeit9. Die Änderung mag in der
Weise erfolgt sein, dass der Graf, der bei den Saliern in die Stellung
des Thungins eingerückt war, für gerichtliche und administrative An-
gelegenheiten den Vorsteher der Hundertschaft als seinen missus ver-
wendete. Seit die stellvertretende Thätigkeit des Centenars an Bedeu-
tung gewonnen hatte, seit etwa die Gegenleistungen, die er als Hilfs-
organ des Grafen empfing, die mit dem Hunnenamte verbundenen
Einkünfte überwogen, gewann der Graf das Recht, den Centenar zu
ernennen. Doch hat das Volk nicht allen Anteil an der Bestellung
des Centenars verloren. Der Graf soll sein Ernennungsrecht unter
Beteiligung des Volkes ausüben10. Andererseits wahrt sich der König
das Recht, untaugliche Centenare durch seine Missi abzusetzen. Ent-
sprechend der beginnenden Feudalisierung des Ämterwesens werden
seit der Zeit Ludwigs I. die Centenare vielfach zu Vassallen des
Grafen11.

Jene Entwicklung ist übrigens nicht allgemein eingetreten. In
einigen Gegenden Deutschlands erscheint nachmals der Centenar als
Volksbeamter und Richter über kleinere Bezirke und mit etwas ein-
geschrumpfter Kompetenz. Wir treffen nämlich einen Obmann der
Hundertschaften oder Honschaften unter dem Namen Hunne, Hun,
Hundt am Niederrhein, an der Mosel und Saar, insbesondere in der
Eifel12. Eine Stellung, welche der des altfränkischen Centenars ver-

Stelle, die ich dahin auslege, dass dem Centenar das wadium als vorsitzendem
Richter, nicht als Beisitzer gegeben wird. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 146.
8 Lex Alam. 27, 3.
9 Cap. miss. v. J. 819, c. 19, I 290: ut nullus episcopus ... centenarium
comitis advocatum habeat. Cap. de rebus exercitalibus v. J. 811, c. 2, I 165: et
hoc clamant .. super comites et eorum centenarios. Conc. Cabil. c. 21, Mansi
XIV 98: ministros (comitis), quos vicarios et centenarios vocant.
10 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149: ut iudices, advocati praepositi, cen-
tenarii, scabini ... constituantur. Cod. Paris. 4995 fügt hinzu: cum (a) comite et
populo elegantur mansueti et boni. Cap. miss. Aquisgr. primum v. J. 809, c. 22,
I 151: ut vicedomini, praepositi, advocati boni et veraces et mansueti cum comite
et populo eligantur. Zwei Handschriften fügen hinter advocati ein: centenarii,
scabinei.
11 Sohm a. O. S. 250. Ried, Cod. dipl. Ratisb. I 25.
12 Siehe die in Schröders Registerband S. 296 unter hun verzeichneten
Stellen der Grimmschen Weistümer. Haltaus, Gloss. s. v. heune, honne, Waitz,

§ 82. Centenar und Vikar.
richtstag. Er hat das Recht des richterlichen Zwanges, das ius distrin-
gendi und einen Bann von drei Solidi8.

Im Laufe der merowingischen Periode muſs es dem Grafen viel-
fach gelungen sein, den Centenar in einen gräflichen Unterbeamten,
in einen centenarius comitis zu verwandeln. Denn als solcher be-
gegnet er uns in karolingischer Zeit9. Die Änderung mag in der
Weise erfolgt sein, daſs der Graf, der bei den Saliern in die Stellung
des Thungins eingerückt war, für gerichtliche und administrative An-
gelegenheiten den Vorsteher der Hundertschaft als seinen missus ver-
wendete. Seit die stellvertretende Thätigkeit des Centenars an Bedeu-
tung gewonnen hatte, seit etwa die Gegenleistungen, die er als Hilfs-
organ des Grafen empfing, die mit dem Hunnenamte verbundenen
Einkünfte überwogen, gewann der Graf das Recht, den Centenar zu
ernennen. Doch hat das Volk nicht allen Anteil an der Bestellung
des Centenars verloren. Der Graf soll sein Ernennungsrecht unter
Beteiligung des Volkes ausüben10. Andererseits wahrt sich der König
das Recht, untaugliche Centenare durch seine Missi abzusetzen. Ent-
sprechend der beginnenden Feudalisierung des Ämterwesens werden
seit der Zeit Ludwigs I. die Centenare vielfach zu Vassallen des
Grafen11.

Jene Entwicklung ist übrigens nicht allgemein eingetreten. In
einigen Gegenden Deutschlands erscheint nachmals der Centenar als
Volksbeamter und Richter über kleinere Bezirke und mit etwas ein-
geschrumpfter Kompetenz. Wir treffen nämlich einen Obmann der
Hundertschaften oder Honschaften unter dem Namen Hunne, Hun,
Hundt am Niederrhein, an der Mosel und Saar, insbesondere in der
Eifel12. Eine Stellung, welche der des altfränkischen Centenars ver-

Stelle, die ich dahin auslege, daſs dem Centenar das wadium als vorsitzendem
Richter, nicht als Beisitzer gegeben wird. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 146.
8 Lex Alam. 27, 3.
9 Cap. miss. v. J. 819, c. 19, I 290: ut nullus episcopus … centenarium
comitis advocatum habeat. Cap. de rebus exercitalibus v. J. 811, c. 2, I 165: et
hoc clamant .. super comites et eorum centenarios. Conc. Cabil. c. 21, Mansi
XIV 98: ministros (comitis), quos vicarios et centenarios vocant.
10 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149: ut iudices, advocati praepositi, cen-
tenarii, scabini … constituantur. Cod. Paris. 4995 fügt hinzu: cum (a) comite et
populo elegantur mansueti et boni. Cap. miss. Aquisgr. primum v. J. 809, c. 22,
I 151: ut vicedomini, praepositi, advocati boni et veraces et mansueti cum comite
et populo eligantur. Zwei Handschriften fügen hinter advocati ein: centenarii,
scabinei.
11 Sohm a. O. S. 250. Ried, Cod. dipl. Ratisb. I 25.
12 Siehe die in Schröders Registerband S. 296 unter hun verzeichneten
Stellen der Grimmschen Weistümer. Haltaus, Gloss. s. v. heune, honne, Waitz,
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[175/0193] § 82. Centenar und Vikar. richtstag. Er hat das Recht des richterlichen Zwanges, das ius distrin- gendi und einen Bann von drei Solidi 8. Im Laufe der merowingischen Periode muſs es dem Grafen viel- fach gelungen sein, den Centenar in einen gräflichen Unterbeamten, in einen centenarius comitis zu verwandeln. Denn als solcher be- gegnet er uns in karolingischer Zeit 9. Die Änderung mag in der Weise erfolgt sein, daſs der Graf, der bei den Saliern in die Stellung des Thungins eingerückt war, für gerichtliche und administrative An- gelegenheiten den Vorsteher der Hundertschaft als seinen missus ver- wendete. Seit die stellvertretende Thätigkeit des Centenars an Bedeu- tung gewonnen hatte, seit etwa die Gegenleistungen, die er als Hilfs- organ des Grafen empfing, die mit dem Hunnenamte verbundenen Einkünfte überwogen, gewann der Graf das Recht, den Centenar zu ernennen. Doch hat das Volk nicht allen Anteil an der Bestellung des Centenars verloren. Der Graf soll sein Ernennungsrecht unter Beteiligung des Volkes ausüben 10. Andererseits wahrt sich der König das Recht, untaugliche Centenare durch seine Missi abzusetzen. Ent- sprechend der beginnenden Feudalisierung des Ämterwesens werden seit der Zeit Ludwigs I. die Centenare vielfach zu Vassallen des Grafen 11. Jene Entwicklung ist übrigens nicht allgemein eingetreten. In einigen Gegenden Deutschlands erscheint nachmals der Centenar als Volksbeamter und Richter über kleinere Bezirke und mit etwas ein- geschrumpfter Kompetenz. Wir treffen nämlich einen Obmann der Hundertschaften oder Honschaften unter dem Namen Hunne, Hun, Hundt am Niederrhein, an der Mosel und Saar, insbesondere in der Eifel 12. Eine Stellung, welche der des altfränkischen Centenars ver- 7 8 Lex Alam. 27, 3. 9 Cap. miss. v. J. 819, c. 19, I 290: ut nullus episcopus … centenarium comitis advocatum habeat. Cap. de rebus exercitalibus v. J. 811, c. 2, I 165: et hoc clamant .. super comites et eorum centenarios. Conc. Cabil. c. 21, Mansi XIV 98: ministros (comitis), quos vicarios et centenarios vocant. 10 Cap. Aquisgr. v. J. 809, c. 11, I 149: ut iudices, advocati praepositi, cen- tenarii, scabini … constituantur. Cod. Paris. 4995 fügt hinzu: cum (a) comite et populo elegantur mansueti et boni. Cap. miss. Aquisgr. primum v. J. 809, c. 22, I 151: ut vicedomini, praepositi, advocati boni et veraces et mansueti cum comite et populo eligantur. Zwei Handschriften fügen hinter advocati ein: centenarii, scabinei. 11 Sohm a. O. S. 250. Ried, Cod. dipl. Ratisb. I 25. 12 Siehe die in Schröders Registerband S. 296 unter hun verzeichneten Stellen der Grimmschen Weistümer. Haltaus, Gloss. s. v. heune, honne, Waitz, 7 Stelle, die ich dahin auslege, daſs dem Centenar das wadium als vorsitzendem Richter, nicht als Beisitzer gegeben wird. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 146.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/193>, abgerufen am 21.11.2024.