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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.
abends, Gericht gehalten werden. Was in einem Dinge nicht zu Ende
gebracht wurde, sollte im nächsten seine Erledigung finden 12.

Bei den Baiern waren die Gerichtsversammlungen Grafschafts-
dinge. Sie fanden alle Monate, im Bedürfnisfalle alle vierzehn Tage
statt. Jeder Freie, der in der Grafschaft wohnte, war verpflichtet zu
erscheinen, sofern und wohin der Richter ihn entbot 13.

Als Urteilfinder fungierten bei den Franken die Rachineburgen 14,
deren, wie es scheint, gewöhnlich mindestens sieben waren 15. Man
nahm sie aus den angesehensten, erfahrensten und kundigsten Män-
nern der Gerichtsgemeinde. Als Rachineburgen bezeichnen die Quellen
gelegentlich auch Personen, welche die für den Rachineburgen ver-
langten Eigenschaften hatten, auch wenn sie im einzelnen Falle nicht
als Urteilfinder bestellt waren 16. Was den ständigen Urteilfinder der
Oberdeutschen und Friesen betrifft, so genügt es, hier auf die Aus-
führungen oben Band I, S. 150 f. zu verweisen.

Nicht lange nach dem Regierungsantritte Karls des Grossen fand
eine Regelung der Dingpflicht und die allgemeine Einführung des
Instituts der Schöffen statt, Neuerungen, welche zunächst auf das frän-

12 Lex Alam. 36.
13 Lex Baiuw. II 14. Vgl. Dahn, Urgeschichte IV 152, Anm. 3. Ernst
Mayer
, Gött. gel. Anzeigen 1891, S. 349.
14 Von ragin Rat und purgjo Bürge. Grimm, RA S. 774. 293. Müllen-
hoff
bei Waitz, Altes Recht S. 291. Die Streitfrage über den Begriff der
Rachineburgen ist neuerdings von Fustel de Coulanges, Beauchet und
Beaudouin wieder aufgenommen worden. Siehe die Litteratur bei Beaudouin
S. 26 ff. Von den drei Hauptansichten, dass nämlich die Rachineburgen die ganze
Gerichtsgemeinde, dass sie die ausschliesslichen Urteiler, dass sie die Urteilfinder
seien, ist nur die letzte zutreffend. In Lex Salica 56 werden die rachineburgi und
die testes unterschieden. Die testes sind freie Leute, Mitglieder der Gerichts-
gemeinde, die von der Partei als Zeugen für die gerichtliche Handlung gezogen
worden waren. Ebenso unterscheidet Extrav. B. 1 raginburgii et testes und das
Edikt Chilperichs c. 10 die vor Gericht anwesenden vicini und die rachymburgii.
15 Lex Sal. 57: septem de illis rachineburgiis. Lex Rib. 32, 3.
16 Lex Salica 50, Lex Rib. 32. Form. Senon. rec. 6 spricht daher von racim-
burgi, qui resedebant vel adstabant, quorum nomina subter tenentur adnixa. Die
resedentes haben als Urteilfinder fungiert, die adstantes sind angesehene Leute des
Umstandes, welche die Gerichtsurkunde als Zeugen signieren. Dass die Rachine-
burgen auf vier Bänken sassen, lässt sich nicht nachweisen. Die Stelle der Septem
Causae VII 6: si quis franco inter quatuor solia occiserit, ist nicht mit Sohm, Prozess
S. 155, Waitz II 2, S. 166 auf vier Dingbänke zu deuten, sondern handelt von
der Tötung im eigenen Hause des Getöteten, wie schon Hessels durch Verweisung
auf Recapitul. B. 31 bemerkte, Fustel de Coulanges, Recherches S. 384 ff.
richtig und eingehend ausgeführt hat. Gegen die vier Schöffenbänke siehe die von
W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1888, S. 628, angeführten Stellen.

§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.
abends, Gericht gehalten werden. Was in einem Dinge nicht zu Ende
gebracht wurde, sollte im nächsten seine Erledigung finden 12.

Bei den Baiern waren die Gerichtsversammlungen Grafschafts-
dinge. Sie fanden alle Monate, im Bedürfnisfalle alle vierzehn Tage
statt. Jeder Freie, der in der Grafschaft wohnte, war verpflichtet zu
erscheinen, sofern und wohin der Richter ihn entbot 13.

Als Urteilfinder fungierten bei den Franken die Rachineburgen 14,
deren, wie es scheint, gewöhnlich mindestens sieben waren 15. Man
nahm sie aus den angesehensten, erfahrensten und kundigsten Män-
nern der Gerichtsgemeinde. Als Rachineburgen bezeichnen die Quellen
gelegentlich auch Personen, welche die für den Rachineburgen ver-
langten Eigenschaften hatten, auch wenn sie im einzelnen Falle nicht
als Urteilfinder bestellt waren 16. Was den ständigen Urteilfinder der
Oberdeutschen und Friesen betrifft, so genügt es, hier auf die Aus-
führungen oben Band I, S. 150 f. zu verweisen.

Nicht lange nach dem Regierungsantritte Karls des Groſsen fand
eine Regelung der Dingpflicht und die allgemeine Einführung des
Instituts der Schöffen statt, Neuerungen, welche zunächst auf das frän-

12 Lex Alam. 36.
13 Lex Baiuw. II 14. Vgl. Dahn, Urgeschichte IV 152, Anm. 3. Ernst
Mayer
, Gött. gel. Anzeigen 1891, S. 349.
14 Von ragin Rat und purgjo Bürge. Grimm, RA S. 774. 293. Müllen-
hoff
bei Waitz, Altes Recht S. 291. Die Streitfrage über den Begriff der
Rachineburgen ist neuerdings von Fustel de Coulanges, Beauchet und
Beaudouin wieder aufgenommen worden. Siehe die Litteratur bei Beaudouin
S. 26 ff. Von den drei Hauptansichten, daſs nämlich die Rachineburgen die ganze
Gerichtsgemeinde, daſs sie die ausschlieſslichen Urteiler, daſs sie die Urteilfinder
seien, ist nur die letzte zutreffend. In Lex Salica 56 werden die rachineburgi und
die testes unterschieden. Die testes sind freie Leute, Mitglieder der Gerichts-
gemeinde, die von der Partei als Zeugen für die gerichtliche Handlung gezogen
worden waren. Ebenso unterscheidet Extrav. B. 1 raginburgii et testes und das
Edikt Chilperichs c. 10 die vor Gericht anwesenden vicini und die rachymburgii.
15 Lex Sal. 57: septem de illis rachineburgiis. Lex Rib. 32, 3.
16 Lex Salica 50, Lex Rib. 32. Form. Senon. rec. 6 spricht daher von racim-
burgi, qui resedebant vel adstabant, quorum nomina subter tenentur adnixa. Die
resedentes haben als Urteilfinder fungiert, die adstantes sind angesehene Leute des
Umstandes, welche die Gerichtsurkunde als Zeugen signieren. Daſs die Rachine-
burgen auf vier Bänken saſsen, läſst sich nicht nachweisen. Die Stelle der Septem
Causae VII 6: si quis franco inter quatuor solia occiserit, ist nicht mit Sohm, Prozeſs
S. 155, Waitz II 2, S. 166 auf vier Dingbänke zu deuten, sondern handelt von
der Tötung im eigenen Hause des Getöteten, wie schon Hessels durch Verweisung
auf Recapitul. B. 31 bemerkte, Fustel de Coulanges, Recherches S. 384 ff.
richtig und eingehend ausgeführt hat. Gegen die vier Schöffenbänke siehe die von
W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1888, S. 628, angeführten Stellen.
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[220/0238] § 88. Dingpflicht und Gerichtswesen. abends, Gericht gehalten werden. Was in einem Dinge nicht zu Ende gebracht wurde, sollte im nächsten seine Erledigung finden 12. Bei den Baiern waren die Gerichtsversammlungen Grafschafts- dinge. Sie fanden alle Monate, im Bedürfnisfalle alle vierzehn Tage statt. Jeder Freie, der in der Grafschaft wohnte, war verpflichtet zu erscheinen, sofern und wohin der Richter ihn entbot 13. Als Urteilfinder fungierten bei den Franken die Rachineburgen 14, deren, wie es scheint, gewöhnlich mindestens sieben waren 15. Man nahm sie aus den angesehensten, erfahrensten und kundigsten Män- nern der Gerichtsgemeinde. Als Rachineburgen bezeichnen die Quellen gelegentlich auch Personen, welche die für den Rachineburgen ver- langten Eigenschaften hatten, auch wenn sie im einzelnen Falle nicht als Urteilfinder bestellt waren 16. Was den ständigen Urteilfinder der Oberdeutschen und Friesen betrifft, so genügt es, hier auf die Aus- führungen oben Band I, S. 150 f. zu verweisen. Nicht lange nach dem Regierungsantritte Karls des Groſsen fand eine Regelung der Dingpflicht und die allgemeine Einführung des Instituts der Schöffen statt, Neuerungen, welche zunächst auf das frän- 12 Lex Alam. 36. 13 Lex Baiuw. II 14. Vgl. Dahn, Urgeschichte IV 152, Anm. 3. Ernst Mayer, Gött. gel. Anzeigen 1891, S. 349. 14 Von ragin Rat und purgjo Bürge. Grimm, RA S. 774. 293. Müllen- hoff bei Waitz, Altes Recht S. 291. Die Streitfrage über den Begriff der Rachineburgen ist neuerdings von Fustel de Coulanges, Beauchet und Beaudouin wieder aufgenommen worden. Siehe die Litteratur bei Beaudouin S. 26 ff. Von den drei Hauptansichten, daſs nämlich die Rachineburgen die ganze Gerichtsgemeinde, daſs sie die ausschlieſslichen Urteiler, daſs sie die Urteilfinder seien, ist nur die letzte zutreffend. In Lex Salica 56 werden die rachineburgi und die testes unterschieden. Die testes sind freie Leute, Mitglieder der Gerichts- gemeinde, die von der Partei als Zeugen für die gerichtliche Handlung gezogen worden waren. Ebenso unterscheidet Extrav. B. 1 raginburgii et testes und das Edikt Chilperichs c. 10 die vor Gericht anwesenden vicini und die rachymburgii. 15 Lex Sal. 57: septem de illis rachineburgiis. Lex Rib. 32, 3. 16 Lex Salica 50, Lex Rib. 32. Form. Senon. rec. 6 spricht daher von racim- burgi, qui resedebant vel adstabant, quorum nomina subter tenentur adnixa. Die resedentes haben als Urteilfinder fungiert, die adstantes sind angesehene Leute des Umstandes, welche die Gerichtsurkunde als Zeugen signieren. Daſs die Rachine- burgen auf vier Bänken saſsen, läſst sich nicht nachweisen. Die Stelle der Septem Causae VII 6: si quis franco inter quatuor solia occiserit, ist nicht mit Sohm, Prozeſs S. 155, Waitz II 2, S. 166 auf vier Dingbänke zu deuten, sondern handelt von der Tötung im eigenen Hause des Getöteten, wie schon Hessels durch Verweisung auf Recapitul. B. 31 bemerkte, Fustel de Coulanges, Recherches S. 384 ff. richtig und eingehend ausgeführt hat. Gegen die vier Schöffenbänke siehe die von W. Sickel, Gött. gel. Anzeigen 1888, S. 628, angeführten Stellen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/238>, abgerufen am 21.11.2024.