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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.
kische und fränkisch-romanische Rechtsgebiet berechnet waren und
wie die meisten Massregeln Karls im wesentlichen an bereits be-
stehende Verhältnisse anknüpften. Diese lassen zwei Kapitularien aus
den ersten Jahren seiner Regierungszeit erkennen. Ein Kapitular,
welches im Jahre 769 oder bald darnach entstanden ist, bestimmt,
dass niemand es versäume, zweimal zum Mallus zu kommen, das erste-
mal im Sommer, das zweitemal im Winter. Die übrigen Dinge, die
im Bedürfnisfall oder kraft königlichen Gebotes ausgelegt werden,
besuche, wer dazu aufgeboten wird 17. Eine andere Verordnung Karls,
die noch auf dem Boden der alten Gerichtsverfassung steht, aber be-
reits die leitenden Gedanken der späteren Reform erkennen lässt,
verbietet, die Dingpflicht der Armen öfter als zwei- oder dreimal durch
Vollgerichte (placita generalia) in Anspruch zu nehmen, während die
übrigen Gerichtstage von den Centenaren nur mit den maiores natu
abgehalten werden sollen 18. Wer zu den maiores natu gehöre und
wie viele davon erscheinen sollen, blieb dem Ermessen des Richters
überlassen.

Karls Reformgesetz ist uns nicht erhalten. Vermutlich entstand
es in dem Jahrzehnt von 770 bis 780. Seinen Inhalt können wir
aus Kapitularien des neunten Jahrhunderts erschliessen, welche die
Reform als gegeben voraussetzen. Karl verfolgte dabei die soziale
Tendenz, die Dingpflicht der ärmeren Freien zu erleichtern. Grafen
und Centenare hatten das Recht besessen, zu den gebotenen Dingen
jeden Freien zu bannen. Dies Recht war vielfach missbraucht wor-
den. Mitunter verleitete den Richter der Anteil an den Bussen, die
er von den Ausbleibenden erhob, geflissentlich viele Placita anzusagen
und dafür die allgemeine Dingpflicht geltend zu machen.


17 Karoli Cap. primum c. 12, I 46: ut ad mallum venire nemo tardet, primum
circa aestatem, secundo circa autumnum. Ad alia vero placita, si necessitas fuerit
vel denunciatio regis urgeat, vocatus venire nemo tardet.
18 Capitula Francica, c. 4, I 214: et centenarii generalem placitum frequen-
tius non habeant propter pauperes, sed cum illos super quos clamant iniuste pa-
tientes et cum maioribus natu et testimoniis frequenter placitum teneant, ut hi
pauperes, qui nullam causam ibidem non habeant, non cogantur in placitum venire
nisi bis aut ter in anno. Auf die Bedeutung dieses Kapitularienfragments für die
Entstehung des Schöffentums habe ich in den Mitth. des Inst. für österr. Gf. auf-
merksam gemacht. Schröder, RG S. 166, Anm. 43, sieht darin ein Bruchstück
des Gesetzes, durch welches Karl die Gerichtsreform durchführte. Allein maiores
natu sind nicht Schöffen, auch nicht Schöffen in unbestimmter Bezeichnung; denn
sie fungieren als Urteiler kraft ihrer sozialen Stellung und nicht weil das Urteilen
Inhalt eines Amtes ist. Das Kapitularienfragment liegt noch vor der Reform,
durch die das Schöffenamt eingeführt und die Zahl der jährlichen Vollgerichte auf
drei fixiert wurde.

§ 88. Dingpflicht und Gerichtswesen.
kische und fränkisch-romanische Rechtsgebiet berechnet waren und
wie die meisten Maſsregeln Karls im wesentlichen an bereits be-
stehende Verhältnisse anknüpften. Diese lassen zwei Kapitularien aus
den ersten Jahren seiner Regierungszeit erkennen. Ein Kapitular,
welches im Jahre 769 oder bald darnach entstanden ist, bestimmt,
daſs niemand es versäume, zweimal zum Mallus zu kommen, das erste-
mal im Sommer, das zweitemal im Winter. Die übrigen Dinge, die
im Bedürfnisfall oder kraft königlichen Gebotes ausgelegt werden,
besuche, wer dazu aufgeboten wird 17. Eine andere Verordnung Karls,
die noch auf dem Boden der alten Gerichtsverfassung steht, aber be-
reits die leitenden Gedanken der späteren Reform erkennen läſst,
verbietet, die Dingpflicht der Armen öfter als zwei- oder dreimal durch
Vollgerichte (placita generalia) in Anspruch zu nehmen, während die
übrigen Gerichtstage von den Centenaren nur mit den maiores natu
abgehalten werden sollen 18. Wer zu den maiores natu gehöre und
wie viele davon erscheinen sollen, blieb dem Ermessen des Richters
überlassen.

Karls Reformgesetz ist uns nicht erhalten. Vermutlich entstand
es in dem Jahrzehnt von 770 bis 780. Seinen Inhalt können wir
aus Kapitularien des neunten Jahrhunderts erschlieſsen, welche die
Reform als gegeben voraussetzen. Karl verfolgte dabei die soziale
Tendenz, die Dingpflicht der ärmeren Freien zu erleichtern. Grafen
und Centenare hatten das Recht besessen, zu den gebotenen Dingen
jeden Freien zu bannen. Dies Recht war vielfach miſsbraucht wor-
den. Mitunter verleitete den Richter der Anteil an den Buſsen, die
er von den Ausbleibenden erhob, geflissentlich viele Placita anzusagen
und dafür die allgemeine Dingpflicht geltend zu machen.


17 Karoli Cap. primum c. 12, I 46: ut ad mallum venire nemo tardet, primum
circa aestatem, secundo circa autumnum. Ad alia vero placita, si necessitas fuerit
vel denunciatio regis urgeat, vocatus venire nemo tardet.
18 Capitula Francica, c. 4, I 214: et centenarii generalem placitum frequen-
tius non habeant propter pauperes, sed cum illos super quos clamant iniuste pa-
tientes et cum maioribus natu et testimoniis frequenter placitum teneant, ut hi
pauperes, qui nullam causam ibidem non habeant, non cogantur in placitum venire
nisi bis aut ter in anno. Auf die Bedeutung dieses Kapitularienfragments für die
Entstehung des Schöffentums habe ich in den Mitth. des Inst. für österr. Gf. auf-
merksam gemacht. Schröder, RG S. 166, Anm. 43, sieht darin ein Bruchstück
des Gesetzes, durch welches Karl die Gerichtsreform durchführte. Allein maiores
natu sind nicht Schöffen, auch nicht Schöffen in unbestimmter Bezeichnung; denn
sie fungieren als Urteiler kraft ihrer sozialen Stellung und nicht weil das Urteilen
Inhalt eines Amtes ist. Das Kapitularienfragment liegt noch vor der Reform,
durch die das Schöffenamt eingeführt und die Zahl der jährlichen Vollgerichte auf
drei fixiert wurde.
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[221/0239] § 88. Dingpflicht und Gerichtswesen. kische und fränkisch-romanische Rechtsgebiet berechnet waren und wie die meisten Maſsregeln Karls im wesentlichen an bereits be- stehende Verhältnisse anknüpften. Diese lassen zwei Kapitularien aus den ersten Jahren seiner Regierungszeit erkennen. Ein Kapitular, welches im Jahre 769 oder bald darnach entstanden ist, bestimmt, daſs niemand es versäume, zweimal zum Mallus zu kommen, das erste- mal im Sommer, das zweitemal im Winter. Die übrigen Dinge, die im Bedürfnisfall oder kraft königlichen Gebotes ausgelegt werden, besuche, wer dazu aufgeboten wird 17. Eine andere Verordnung Karls, die noch auf dem Boden der alten Gerichtsverfassung steht, aber be- reits die leitenden Gedanken der späteren Reform erkennen läſst, verbietet, die Dingpflicht der Armen öfter als zwei- oder dreimal durch Vollgerichte (placita generalia) in Anspruch zu nehmen, während die übrigen Gerichtstage von den Centenaren nur mit den maiores natu abgehalten werden sollen 18. Wer zu den maiores natu gehöre und wie viele davon erscheinen sollen, blieb dem Ermessen des Richters überlassen. Karls Reformgesetz ist uns nicht erhalten. Vermutlich entstand es in dem Jahrzehnt von 770 bis 780. Seinen Inhalt können wir aus Kapitularien des neunten Jahrhunderts erschlieſsen, welche die Reform als gegeben voraussetzen. Karl verfolgte dabei die soziale Tendenz, die Dingpflicht der ärmeren Freien zu erleichtern. Grafen und Centenare hatten das Recht besessen, zu den gebotenen Dingen jeden Freien zu bannen. Dies Recht war vielfach miſsbraucht wor- den. Mitunter verleitete den Richter der Anteil an den Buſsen, die er von den Ausbleibenden erhob, geflissentlich viele Placita anzusagen und dafür die allgemeine Dingpflicht geltend zu machen. 17 Karoli Cap. primum c. 12, I 46: ut ad mallum venire nemo tardet, primum circa aestatem, secundo circa autumnum. Ad alia vero placita, si necessitas fuerit vel denunciatio regis urgeat, vocatus venire nemo tardet. 18 Capitula Francica, c. 4, I 214: et centenarii generalem placitum frequen- tius non habeant propter pauperes, sed cum illos super quos clamant iniuste pa- tientes et cum maioribus natu et testimoniis frequenter placitum teneant, ut hi pauperes, qui nullam causam ibidem non habeant, non cogantur in placitum venire nisi bis aut ter in anno. Auf die Bedeutung dieses Kapitularienfragments für die Entstehung des Schöffentums habe ich in den Mitth. des Inst. für österr. Gf. auf- merksam gemacht. Schröder, RG S. 166, Anm. 43, sieht darin ein Bruchstück des Gesetzes, durch welches Karl die Gerichtsreform durchführte. Allein maiores natu sind nicht Schöffen, auch nicht Schöffen in unbestimmter Bezeichnung; denn sie fungieren als Urteiler kraft ihrer sozialen Stellung und nicht weil das Urteilen Inhalt eines Amtes ist. Das Kapitularienfragment liegt noch vor der Reform, durch die das Schöffenamt eingeführt und die Zahl der jährlichen Vollgerichte auf drei fixiert wurde.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/239>, abgerufen am 24.11.2024.