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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 90. Das Finanzwesen.

Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob
freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran-
gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht
schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig-
licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmässig steuerfrei. Da-
gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und
Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last
des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war,
wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7.

Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die
römische nach Massgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben,
sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census,
inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt,
dass er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand
nahm und sich schliesslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten
Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert,
dass er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver-
sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das
Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die
Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind,
machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den
Standpunkt geltend, dass die Steuer nur in dem hergebrachten Be-
trage, nur dort, wo sie nicht ausser Gebrauch gekommen, und nur
von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her
unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom
Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages
und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer
in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die
Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den
belasteten Grundstücken erhoben wurde 11.


7 Waitz, VG II 2, S. 275 ff.
8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.
9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88.
10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.
11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige
Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J.
716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In
karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap.
miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115,
Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den
Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,
§ 90. Das Finanzwesen.

Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob
freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran-
gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht
schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig-
licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmäſsig steuerfrei. Da-
gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und
Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last
des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war,
wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7.

Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die
römische nach Maſsgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben,
sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census,
inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt,
daſs er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand
nahm und sich schlieſslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten
Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert,
daſs er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver-
sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das
Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die
Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind,
machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den
Standpunkt geltend, daſs die Steuer nur in dem hergebrachten Be-
trage, nur dort, wo sie nicht auſser Gebrauch gekommen, und nur
von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her
unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom
Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages
und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer
in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die
Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den
belasteten Grundstücken erhoben wurde 11.


7 Waitz, VG II 2, S. 275 ff.
8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34.
9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88.
10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22.
11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige
Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J.
716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In
karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap.
miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115,
Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den
Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,
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[235/0253] § 90. Das Finanzwesen. Das Fortleben der Grundsteuer wird uns vielfach bezeugt. Ob freie Franken, die in Gallien Grundbesitz erwarben, dazu heran- gezogen wurden, ist Gegenstand einer Streitfrage. Sie darf nicht schlechtweg verneint werden. Soweit der Erwerbstitel in könig- licher Schenkung beruhte, blieb das Land regelmäſsig steuerfrei. Da- gegen hat in einzelnen Teilen Galliens, namentlich im Süden und Westen, die römische Grundsteuer den Charakter einer gemeinen Last des Grundbesitzes beibehalten. Wo und solange dies der Fall war, wurde ihr auch das von Franken erworbene Land unterworfen 7. Das Steuersoll pflegte die fränkische Verwaltung nicht wie die römische nach Maſsgabe des wechselnden Bedürfnisses auszuschreiben, sondern das Quantum der aufzubringenden Steuer (tributum, census, inferenda) wurde ein unwandelbares. Von Chilperich wird erzählt, daſs er von einer beabsichtigten Erneuerung der Steuerrollen Abstand nahm und sich schlieſslich mit der unter Chlothar I. aufgebrachten Steuer begnügte 8. Den Einwohnern von Tours schwur Charibert, daſs er ihnen keine neuen Lasten auferlegen wolle 9. Allgemein ver- sprach Chlothar II. die Beseitigung neuer Steuern, gegen welche das Volk reklamieren werde 10. Nach den Nachrichten, die uns über die Opposition gegen angeblich unbillige Steuerforderungen erhalten sind, machte die Bevölkerung Galliens im ganzen nicht ohne Erfolg den Standpunkt geltend, daſs die Steuer nur in dem hergebrachten Be- trage, nur dort, wo sie nicht auſser Gebrauch gekommen, und nur von Personen und Grundstücken zu zahlen sei, die ihr von alters her unterworfen waren. Da es nicht gelang, den Widerstand der vom Klerus geführten Provinzialen gegen Änderungen des Steuerbetrages und der Steuerpflicht zu überwinden, verwandelte sich die Kopfsteuer in einen auf bestimmte Familien beschränkten erblichen Kopfzins, die Grundsteuer in eine Reallast, die in unveränderlicher Höhe von den belasteten Grundstücken erhoben wurde 11. 7 Waitz, VG II 2, S. 275 ff. 8 Greg. Tur. Hist. Franc. V 34. 9 Greg. Tur. Hist. Franc. IX 30. Roth, Beneficialwesen S. 88. 10 Ed. Chloth. II. c. 8, Cap. I 22. 11 In den Gauen von Le Mans, Angers und Tours bestand eine eigenartige Abgabe (inferenda), welche in Kühen geleistet wurde. Pertz, Dipl. M. 84 v. J. 716. Sie ist vielleicht ein Überrest der römischen functiones annonariae. In karolingischer Zeit wird sie in Geld bezahlt (zwei Solidi statt der Kuh). Cap. miss. Worm. v. J. 829, c. 15, II 17. Vgl. Waitz, VG II 2, S. 251; IV 115, Fustel de Coulanges, Monarchie S. 275, Anm. 1. Daneben findet sich in den Gauen von Le Mans und Tours unter dem Namen aurum pagense eine Geldabgabe,

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/253>, abgerufen am 22.11.2024.