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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 91. Das Benefizialwesen.

Das Recht des Beschenkten wurde nicht als ein Leiherecht, nicht
als Niessbrauch, sondern als Eigentum, proprietas, aufgefasst. Der
Beschenkte hatte die rechtliche Vertretung des Gutes und nahm, wenn
eine vom Schenker erlaubte Veräusserung vollzogen werden sollte,
die Übereignung vor. Im Anschluss an spätrömischen Sprachgebrauch
wurde die Schenkung als munus, munificentia, largitas 12 bezeichnet.
Andererseits behielt das vom König vergabte Gut auch in den Händen
des Beschenkten die Bezeichnung fiscus bei 13.

Im römischen Reiche war es Sitte, dass die kaiserlichen Bene-
fizien, welche schliesslich ein veräusserliches und vererbliches Recht
des Beschenkten begründeten 14, aus Anlass des Regierungswechsels
vom Princeps bestätigt wurden 15. Als Nachklang dieser römischen
Übung dürfte es sich erklären, dass auch die fränkischen Könige ge-
legentlich die Schenkungen ihrer Vorgänger allgemein bestätigten und
zwar ohne Rücksicht auf die Rechtswirkung der einzelnen Schenkung 16.

Eine politische Massregel, zu welcher die Hausmeier, Karl Martell
und seine Söhne, sich gedrängt sahen, wurde der Anlass, die Land-
vergabungen unter den rechtlichen Gesichtspunkt der Precarien zu
stellen, mit welchen sie in ihrer praktischen Bedeutung von jeher
vieles gemein hatten. In der Geschichte des Heerwesens ergab sich,
dass die Schöpfung einer leistungsfähigen Reiterei, wie sie die Kriege
jener Zeit verlangten, den Hausmeiern nur möglich wurde, wenn sie
sich in die Lage setzten, Landverleihungen in grossem Stile vor-
zunehmen. Da die erschöpften Krongüter dazu nicht ausgereicht
hätten, hielten sie sich an das Kirchengut, welches ja zum guten Teil
auf ursprünglichem Krongute beruhte 17. Karl Martell, unter dem

12 Waitz, VG II 1, S. 310. In Baiern auch als Benefizium. Berliner SB
1885, S. 1185. Über beneficium in Lex Rom. Cur. I 2, 2; VI 1 und X 5 siehe
Zeumer, Z2 f. RG IX 42. 44. Unter dem beneficium kann hier auch ein ver-
äusserliches Erbzinsgut gemeint sein, eine res publica, unde fiscus exit (III 1. 2).
Vgl. III 19, 2; XIX 2 und oben S. 237.
13 Waitz, VG II 1, S. 318, Anm. 1.
14 Cod. Theod. XI 20, 4. 5.
15 Mommsen, Röm. Staatsrecht II 1070. Vgl. Cod. Theod. X 10, 6.
16 Vertrag von Andelot v. J. 587, Cap. I 12. Praeceptio Chloth. II. c. 12,
Cap. I 19. Ed. Chloth. II. c. 16, I 23. Ähnliche Bestätigungen finden sich bei
den Burgundern, Lex Burg. I 3, und in Baiern, Decr. Dingolf. c. 8, LL III 460.
17 Schon die Merowinger hatten gelegentlich Kirchengüter eingezogen, um sie
zu Vergabungen an ihre Anhänger zu verwenden. Wiederholt bedrohen frän-
kische Konzilien mit kirchlichen Strafen Laien und Geistliche, die sich vom König
Kirchengüter erbitten. Roth, BW S. 315, Feudal. S. 74 ff. E. Loening, Kirchen-
recht II 668 f. Über Chlothar I. berichtet Gregor von Tours Hist. Franc. IV 2,
dass er von den Kirchen den dritten Teil ihrer Einkünfte als Abgabe erhoben
§ 91. Das Benefizialwesen.

Das Recht des Beschenkten wurde nicht als ein Leiherecht, nicht
als Nieſsbrauch, sondern als Eigentum, proprietas, aufgefaſst. Der
Beschenkte hatte die rechtliche Vertretung des Gutes und nahm, wenn
eine vom Schenker erlaubte Veräuſserung vollzogen werden sollte,
die Übereignung vor. Im Anschluſs an spätrömischen Sprachgebrauch
wurde die Schenkung als munus, munificentia, largitas 12 bezeichnet.
Andererseits behielt das vom König vergabte Gut auch in den Händen
des Beschenkten die Bezeichnung fiscus bei 13.

Im römischen Reiche war es Sitte, daſs die kaiserlichen Bene-
fizien, welche schlieſslich ein veräuſserliches und vererbliches Recht
des Beschenkten begründeten 14, aus Anlaſs des Regierungswechsels
vom Princeps bestätigt wurden 15. Als Nachklang dieser römischen
Übung dürfte es sich erklären, daſs auch die fränkischen Könige ge-
legentlich die Schenkungen ihrer Vorgänger allgemein bestätigten und
zwar ohne Rücksicht auf die Rechtswirkung der einzelnen Schenkung 16.

Eine politische Maſsregel, zu welcher die Hausmeier, Karl Martell
und seine Söhne, sich gedrängt sahen, wurde der Anlaſs, die Land-
vergabungen unter den rechtlichen Gesichtspunkt der Precarien zu
stellen, mit welchen sie in ihrer praktischen Bedeutung von jeher
vieles gemein hatten. In der Geschichte des Heerwesens ergab sich,
daſs die Schöpfung einer leistungsfähigen Reiterei, wie sie die Kriege
jener Zeit verlangten, den Hausmeiern nur möglich wurde, wenn sie
sich in die Lage setzten, Landverleihungen in groſsem Stile vor-
zunehmen. Da die erschöpften Krongüter dazu nicht ausgereicht
hätten, hielten sie sich an das Kirchengut, welches ja zum guten Teil
auf ursprünglichem Krongute beruhte 17. Karl Martell, unter dem

12 Waitz, VG II 1, S. 310. In Baiern auch als Benefizium. Berliner SB
1885, S. 1185. Über beneficium in Lex Rom. Cur. I 2, 2; VI 1 und X 5 siehe
Zeumer, Z2 f. RG IX 42. 44. Unter dem beneficium kann hier auch ein ver-
äuſserliches Erbzinsgut gemeint sein, eine res publica, unde fiscus exit (III 1. 2).
Vgl. III 19, 2; XIX 2 und oben S. 237.
13 Waitz, VG II 1, S. 318, Anm. 1.
14 Cod. Theod. XI 20, 4. 5.
15 Mommsen, Röm. Staatsrecht II 1070. Vgl. Cod. Theod. X 10, 6.
16 Vertrag von Andelot v. J. 587, Cap. I 12. Praeceptio Chloth. II. c. 12,
Cap. I 19. Ed. Chloth. II. c. 16, I 23. Ähnliche Bestätigungen finden sich bei
den Burgundern, Lex Burg. I 3, und in Baiern, Decr. Dingolf. c. 8, LL III 460.
17 Schon die Merowinger hatten gelegentlich Kirchengüter eingezogen, um sie
zu Vergabungen an ihre Anhänger zu verwenden. Wiederholt bedrohen frän-
kische Konzilien mit kirchlichen Strafen Laien und Geistliche, die sich vom König
Kirchengüter erbitten. Roth, BW S. 315, Feudal. S. 74 ff. E. Loening, Kirchen-
recht II 668 f. Über Chlothar I. berichtet Gregor von Tours Hist. Franc. IV 2,
daſs er von den Kirchen den dritten Teil ihrer Einkünfte als Abgabe erhoben
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[246/0264] § 91. Das Benefizialwesen. Das Recht des Beschenkten wurde nicht als ein Leiherecht, nicht als Nieſsbrauch, sondern als Eigentum, proprietas, aufgefaſst. Der Beschenkte hatte die rechtliche Vertretung des Gutes und nahm, wenn eine vom Schenker erlaubte Veräuſserung vollzogen werden sollte, die Übereignung vor. Im Anschluſs an spätrömischen Sprachgebrauch wurde die Schenkung als munus, munificentia, largitas 12 bezeichnet. Andererseits behielt das vom König vergabte Gut auch in den Händen des Beschenkten die Bezeichnung fiscus bei 13. Im römischen Reiche war es Sitte, daſs die kaiserlichen Bene- fizien, welche schlieſslich ein veräuſserliches und vererbliches Recht des Beschenkten begründeten 14, aus Anlaſs des Regierungswechsels vom Princeps bestätigt wurden 15. Als Nachklang dieser römischen Übung dürfte es sich erklären, daſs auch die fränkischen Könige ge- legentlich die Schenkungen ihrer Vorgänger allgemein bestätigten und zwar ohne Rücksicht auf die Rechtswirkung der einzelnen Schenkung 16. Eine politische Maſsregel, zu welcher die Hausmeier, Karl Martell und seine Söhne, sich gedrängt sahen, wurde der Anlaſs, die Land- vergabungen unter den rechtlichen Gesichtspunkt der Precarien zu stellen, mit welchen sie in ihrer praktischen Bedeutung von jeher vieles gemein hatten. In der Geschichte des Heerwesens ergab sich, daſs die Schöpfung einer leistungsfähigen Reiterei, wie sie die Kriege jener Zeit verlangten, den Hausmeiern nur möglich wurde, wenn sie sich in die Lage setzten, Landverleihungen in groſsem Stile vor- zunehmen. Da die erschöpften Krongüter dazu nicht ausgereicht hätten, hielten sie sich an das Kirchengut, welches ja zum guten Teil auf ursprünglichem Krongute beruhte 17. Karl Martell, unter dem 12 Waitz, VG II 1, S. 310. In Baiern auch als Benefizium. Berliner SB 1885, S. 1185. Über beneficium in Lex Rom. Cur. I 2, 2; VI 1 und X 5 siehe Zeumer, Z2 f. RG IX 42. 44. Unter dem beneficium kann hier auch ein ver- äuſserliches Erbzinsgut gemeint sein, eine res publica, unde fiscus exit (III 1. 2). Vgl. III 19, 2; XIX 2 und oben S. 237. 13 Waitz, VG II 1, S. 318, Anm. 1. 14 Cod. Theod. XI 20, 4. 5. 15 Mommsen, Röm. Staatsrecht II 1070. Vgl. Cod. Theod. X 10, 6. 16 Vertrag von Andelot v. J. 587, Cap. I 12. Praeceptio Chloth. II. c. 12, Cap. I 19. Ed. Chloth. II. c. 16, I 23. Ähnliche Bestätigungen finden sich bei den Burgundern, Lex Burg. I 3, und in Baiern, Decr. Dingolf. c. 8, LL III 460. 17 Schon die Merowinger hatten gelegentlich Kirchengüter eingezogen, um sie zu Vergabungen an ihre Anhänger zu verwenden. Wiederholt bedrohen frän- kische Konzilien mit kirchlichen Strafen Laien und Geistliche, die sich vom König Kirchengüter erbitten. Roth, BW S. 315, Feudal. S. 74 ff. E. Loening, Kirchen- recht II 668 f. Über Chlothar I. berichtet Gregor von Tours Hist. Franc. IV 2, daſs er von den Kirchen den dritten Teil ihrer Einkünfte als Abgabe erhoben

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/264>, abgerufen am 22.11.2024.