Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 91. Das Benefizialwesen.
Personen besetzte, die schon vor Übertragung des Amtes seine Vas-
sallen geworden waren59, und dass andererseits höhere Beamte mehr
und mehr in die königliche Vassallität eintraten. Die Folge davon
war zunächst, dass das Amtsgut, insbesondere das des Grafen, als ein
dem Amtsinhaber verliehenes Benefizium angesehen wurde. Unter
den Nachfolgern Karls des Grossen gilt das Amt selbst, namentlich
die Grafschaft, für ein königliches Benefizium und wird der Ausdruck
honor, der ursprünglich das Amt bedeutet, schlechtweg zur Bezeich-
nung angesehenerer Benefizien verwendet60. In Westfrancien, das be-
kanntlich in der Feudalisierung des Ämterwesens den übrigen Reichs-
teilen voranging, sind seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhun-
derts die Grafschaften bereits in Lehen verwandelt61.

Schon früh zeigen sich Ansätze zur Erblichkeit des Benefiziums
oder vielmehr zur Ausbildung eines rechtlichen Leihezwanges bei
Herren- und Mannfall62. Die Führung haben auch hier -- wie über-
haupt bei der technischen Ausgestaltung des Lehnwesens -- die vom
König verliehenen vassallitischen Benefizien63. Es kam nicht häufig
vor, dass sie bei Thronfall eingezogen wurden. Denn regelmässig ge-
bot die Rücksicht auf die Erhaltung der Wehrkraft, sie in den Hän-
den der Inhaber zu belassen. Als Ludwig I. starb, beeilte sich Lothar
zu versichern, dass er jedermann die vom Vater verliehenen Bene-
fizien (honores) belassen werde64. Ähnliche Versprechungen gaben
Karl II. i. J. 843 und Ludwig II. i. J. 85565. Auch aus Anlass des

59 Siehe oben S. 81 f.
60 Waitz, VG IV 215 f. Roth, BW S. 432. Bourgeois, Capit. de
Kiersy S. 129, Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches III 631.
61 Siehe oben S. 81 f. 170.
62 Roth, BW S. 420. Derselbe, Feudal. S. 184. Waitz, VG IV 226.
63 Eine durch Dienstpflicht bedingte Erblichkeit kennt schon das älteste
westgotische Recht hinsichtlich der Schenkungen, die der bucellarius (der Gefolgs-
mann, sogenannt von der bucella, dem Militärzwieback) von seinem Herrn erhalten
hat. Die Söhne folgen in das geschenkte Gut, wenn sie in den Dienst des Herrn
eintreten. Leges Eurici, fragm. 310. Über das Recht der Erbtochter siehe oben
S. 56, Anm. 44.
64 Nithard II 1.
65 Karoli II. Conv. Colon. c. 3, Pertz, LL I 377: ut omnes fideles nostri certissime
teneant, neminem .. deinceps .. promerito honore debere privari. Cap. Pap. pro-
nuntiata v. J. 865, c. 4, II 91: quia .. neminem .. privavimus, sed neque privari
absque legali sanctione aliquem nostrorum fidelium volumus beneficio .. Die z. J.
883 in den Annales Fuldenses pars IV erwähnte Einziehung der Lehen Widos von
Spoleto und seiner Anhänger, auf welche Roth, BW S. 421, verweist, erfolgte nicht
in Anwendung des Thronfalls, sondern wegen Infidelität. Mühlbacher S. 631,
Nr. 1619a. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches III 218. Wido hatte sich der
drohenden Verurteilung durch Flucht entzogen.

§ 91. Das Benefizialwesen.
Personen besetzte, die schon vor Übertragung des Amtes seine Vas-
sallen geworden waren59, und daſs andererseits höhere Beamte mehr
und mehr in die königliche Vassallität eintraten. Die Folge davon
war zunächst, daſs das Amtsgut, insbesondere das des Grafen, als ein
dem Amtsinhaber verliehenes Benefizium angesehen wurde. Unter
den Nachfolgern Karls des Groſsen gilt das Amt selbst, namentlich
die Grafschaft, für ein königliches Benefizium und wird der Ausdruck
honor, der ursprünglich das Amt bedeutet, schlechtweg zur Bezeich-
nung angesehenerer Benefizien verwendet60. In Westfrancien, das be-
kanntlich in der Feudalisierung des Ämterwesens den übrigen Reichs-
teilen voranging, sind seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhun-
derts die Grafschaften bereits in Lehen verwandelt61.

Schon früh zeigen sich Ansätze zur Erblichkeit des Benefiziums
oder vielmehr zur Ausbildung eines rechtlichen Leihezwanges bei
Herren- und Mannfall62. Die Führung haben auch hier — wie über-
haupt bei der technischen Ausgestaltung des Lehnwesens — die vom
König verliehenen vassallitischen Benefizien63. Es kam nicht häufig
vor, daſs sie bei Thronfall eingezogen wurden. Denn regelmäſsig ge-
bot die Rücksicht auf die Erhaltung der Wehrkraft, sie in den Hän-
den der Inhaber zu belassen. Als Ludwig I. starb, beeilte sich Lothar
zu versichern, daſs er jedermann die vom Vater verliehenen Bene-
fizien (honores) belassen werde64. Ähnliche Versprechungen gaben
Karl II. i. J. 843 und Ludwig II. i. J. 85565. Auch aus Anlaſs des

59 Siehe oben S. 81 f.
60 Waitz, VG IV 215 f. Roth, BW S. 432. Bourgeois, Capit. de
Kiersy S. 129, Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches III 631.
61 Siehe oben S. 81 f. 170.
62 Roth, BW S. 420. Derselbe, Feudal. S. 184. Waitz, VG IV 226.
63 Eine durch Dienstpflicht bedingte Erblichkeit kennt schon das älteste
westgotische Recht hinsichtlich der Schenkungen, die der bucellarius (der Gefolgs-
mann, sogenannt von der bucella, dem Militärzwieback) von seinem Herrn erhalten
hat. Die Söhne folgen in das geschenkte Gut, wenn sie in den Dienst des Herrn
eintreten. Leges Eurici, fragm. 310. Über das Recht der Erbtochter siehe oben
S. 56, Anm. 44.
64 Nithard II 1.
65 Karoli II. Conv. Colon. c. 3, Pertz, LL I 377: ut omnes fideles nostri certissime
teneant, neminem .. deinceps .. promerito honore debere privari. Cap. Pap. pro-
nuntiata v. J. 865, c. 4, II 91: quia .. neminem .. privavimus, sed neque privari
absque legali sanctione aliquem nostrorum fidelium volumus beneficio .. Die z. J.
883 in den Annales Fuldenses pars IV erwähnte Einziehung der Lehen Widos von
Spoleto und seiner Anhänger, auf welche Roth, BW S. 421, verweist, erfolgte nicht
in Anwendung des Thronfalls, sondern wegen Infidelität. Mühlbacher S. 631,
Nr. 1619a. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches III 218. Wido hatte sich der
drohenden Verurteilung durch Flucht entzogen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0273" n="255"/><fw place="top" type="header">§ 91. Das Benefizialwesen.</fw><lb/>
Personen besetzte, die schon vor Übertragung des Amtes seine Vas-<lb/>
sallen geworden waren<note place="foot" n="59">Siehe oben S. 81 f.</note>, und da&#x017F;s andererseits höhere Beamte mehr<lb/>
und mehr in die königliche Vassallität eintraten. Die Folge davon<lb/>
war zunächst, da&#x017F;s das Amtsgut, insbesondere das des Grafen, als ein<lb/>
dem Amtsinhaber verliehenes Benefizium angesehen wurde. Unter<lb/>
den Nachfolgern Karls des Gro&#x017F;sen gilt das Amt selbst, namentlich<lb/>
die Grafschaft, für ein königliches Benefizium und wird der Ausdruck<lb/>
honor, der ursprünglich das Amt bedeutet, schlechtweg zur Bezeich-<lb/>
nung angesehenerer Benefizien verwendet<note place="foot" n="60"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG IV 215 f. <hi rendition="#g">Roth</hi>, BW S. 432. <hi rendition="#g">Bourgeois</hi>, Capit. de<lb/>
Kiersy S. 129, <hi rendition="#g">Dümmler</hi>, Gesch. des ostfränk. Reiches III 631.</note>. In Westfrancien, das be-<lb/>
kanntlich in der Feudalisierung des Ämterwesens den übrigen Reichs-<lb/>
teilen voranging, sind seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhun-<lb/>
derts die Grafschaften bereits in Lehen verwandelt<note place="foot" n="61">Siehe oben S. 81 f. 170.</note>.</p><lb/>
            <p>Schon früh zeigen sich Ansätze zur Erblichkeit des Benefiziums<lb/>
oder vielmehr zur Ausbildung eines rechtlichen Leihezwanges bei<lb/>
Herren- und Mannfall<note place="foot" n="62"><hi rendition="#g">Roth</hi>, BW S. 420. <hi rendition="#g">Derselbe</hi>, Feudal. S. 184. <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG IV 226.</note>. Die Führung haben auch hier &#x2014; wie über-<lb/>
haupt bei der technischen Ausgestaltung des Lehnwesens &#x2014; die vom<lb/>
König verliehenen vassallitischen Benefizien<note place="foot" n="63">Eine durch Dienstpflicht bedingte Erblichkeit kennt schon das älteste<lb/>
westgotische Recht hinsichtlich der Schenkungen, die der bucellarius (der Gefolgs-<lb/>
mann, sogenannt von der bucella, dem Militärzwieback) von seinem Herrn erhalten<lb/>
hat. Die Söhne folgen in das geschenkte Gut, wenn sie in den Dienst des Herrn<lb/>
eintreten. Leges Eurici, fragm. 310. Über das Recht der Erbtochter siehe oben<lb/>
S. 56, Anm. 44.</note>. Es kam nicht häufig<lb/>
vor, da&#x017F;s sie bei Thronfall eingezogen wurden. Denn regelmä&#x017F;sig ge-<lb/>
bot die Rücksicht auf die Erhaltung der Wehrkraft, sie in den Hän-<lb/>
den der Inhaber zu belassen. Als Ludwig I. starb, beeilte sich Lothar<lb/>
zu versichern, da&#x017F;s er jedermann die vom Vater verliehenen Bene-<lb/>
fizien (honores) belassen werde<note place="foot" n="64">Nithard II 1.</note>. Ähnliche Versprechungen gaben<lb/>
Karl II. i. J. 843 und Ludwig II. i. J. 855<note place="foot" n="65">Karoli II. Conv. Colon. c. 3, Pertz, LL I 377: ut omnes fideles nostri certissime<lb/>
teneant, neminem .. deinceps .. promerito honore debere privari. Cap. Pap. pro-<lb/>
nuntiata v. J. 865, c. 4, II 91: quia .. neminem .. privavimus, sed neque privari<lb/>
absque legali sanctione aliquem nostrorum fidelium volumus beneficio .. Die z. J.<lb/>
883 in den Annales Fuldenses pars IV erwähnte Einziehung der Lehen Widos von<lb/>
Spoleto und seiner Anhänger, auf welche <hi rendition="#g">Roth</hi>, BW S. 421, verweist, erfolgte nicht<lb/>
in Anwendung des Thronfalls, sondern wegen Infidelität. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> S. 631,<lb/>
Nr. 1619a. <hi rendition="#g">Dümmler</hi>, Gesch. d. ostfränk. Reiches III 218. Wido hatte sich der<lb/>
drohenden Verurteilung durch Flucht entzogen.</note>. Auch aus Anla&#x017F;s des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0273] § 91. Das Benefizialwesen. Personen besetzte, die schon vor Übertragung des Amtes seine Vas- sallen geworden waren 59, und daſs andererseits höhere Beamte mehr und mehr in die königliche Vassallität eintraten. Die Folge davon war zunächst, daſs das Amtsgut, insbesondere das des Grafen, als ein dem Amtsinhaber verliehenes Benefizium angesehen wurde. Unter den Nachfolgern Karls des Groſsen gilt das Amt selbst, namentlich die Grafschaft, für ein königliches Benefizium und wird der Ausdruck honor, der ursprünglich das Amt bedeutet, schlechtweg zur Bezeich- nung angesehenerer Benefizien verwendet 60. In Westfrancien, das be- kanntlich in der Feudalisierung des Ämterwesens den übrigen Reichs- teilen voranging, sind seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhun- derts die Grafschaften bereits in Lehen verwandelt 61. Schon früh zeigen sich Ansätze zur Erblichkeit des Benefiziums oder vielmehr zur Ausbildung eines rechtlichen Leihezwanges bei Herren- und Mannfall 62. Die Führung haben auch hier — wie über- haupt bei der technischen Ausgestaltung des Lehnwesens — die vom König verliehenen vassallitischen Benefizien 63. Es kam nicht häufig vor, daſs sie bei Thronfall eingezogen wurden. Denn regelmäſsig ge- bot die Rücksicht auf die Erhaltung der Wehrkraft, sie in den Hän- den der Inhaber zu belassen. Als Ludwig I. starb, beeilte sich Lothar zu versichern, daſs er jedermann die vom Vater verliehenen Bene- fizien (honores) belassen werde 64. Ähnliche Versprechungen gaben Karl II. i. J. 843 und Ludwig II. i. J. 855 65. Auch aus Anlaſs des 59 Siehe oben S. 81 f. 60 Waitz, VG IV 215 f. Roth, BW S. 432. Bourgeois, Capit. de Kiersy S. 129, Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches III 631. 61 Siehe oben S. 81 f. 170. 62 Roth, BW S. 420. Derselbe, Feudal. S. 184. Waitz, VG IV 226. 63 Eine durch Dienstpflicht bedingte Erblichkeit kennt schon das älteste westgotische Recht hinsichtlich der Schenkungen, die der bucellarius (der Gefolgs- mann, sogenannt von der bucella, dem Militärzwieback) von seinem Herrn erhalten hat. Die Söhne folgen in das geschenkte Gut, wenn sie in den Dienst des Herrn eintreten. Leges Eurici, fragm. 310. Über das Recht der Erbtochter siehe oben S. 56, Anm. 44. 64 Nithard II 1. 65 Karoli II. Conv. Colon. c. 3, Pertz, LL I 377: ut omnes fideles nostri certissime teneant, neminem .. deinceps .. promerito honore debere privari. Cap. Pap. pro- nuntiata v. J. 865, c. 4, II 91: quia .. neminem .. privavimus, sed neque privari absque legali sanctione aliquem nostrorum fidelium volumus beneficio .. Die z. J. 883 in den Annales Fuldenses pars IV erwähnte Einziehung der Lehen Widos von Spoleto und seiner Anhänger, auf welche Roth, BW S. 421, verweist, erfolgte nicht in Anwendung des Thronfalls, sondern wegen Infidelität. Mühlbacher S. 631, Nr. 1619a. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches III 218. Wido hatte sich der drohenden Verurteilung durch Flucht entzogen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/273
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/273>, abgerufen am 22.11.2024.