Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 93. Die Grundherrlichkeit. Hauses. Diese Haftung erstreckte sich nicht nur auf die Knechte1),sondern auch auf halbfreie und freie Leute. Hielt ein freier, grund- besitzloser Mann sich durch längere Zeit im Hause eines anderen auf, so trat er damit an sich in ein Abhängigkeitsverhältnis, welches eine Haftung des Hausherrn begründete. Nach angelsächsischem Rechte haftete man für den Gast, den man in seinem Hause drei Nächte be- herbergte2). Eine jüngere friesische Rechtsquelle überliefert uns den Rechtssatz, dass wer einen Ausheimischen haust oder hoft oder auf seinen Werf setzt, einstehen soll für das, was dieser verbricht3). Auch der fränkischen Zeit ist jener Grundsatz nicht unbekannt. Denn es ist nur eine Anwendung desselben, wenn ein karolingisches Kapitular bestimmt4), dass besitzlose Personen von jenem, bei dem sie wohnen, gestellt oder verantwortet werden sollen, und wenn Ludwig I. vor- schreibt5), dass jeder, der in der Pfalz zu Aachen einen von auswärts kommenden Mann bei sich aufnehme, für ihn zu haften habe6). Die Haftung äussert sich darin, dass der Herr für die Haus- 1) Die Hausgenossenschaft ist auch massgebend in Fällen, in welchen der Herr des Hauses nicht Eigentümer des Knechtes ist. Nach Lex Rib. 72, 4 haftet für die That des Knechtes, um den ein Eigentumsprozess geführt wird, nicht jene Partei, die das Eigentum erstreitet, sondern derjenige, qui eum eo tempore post se reti- nuit. Laut Roth. 274 büsst derjenige, der einen fremden Sklaven ohne Wissen des Herrn über neun Nächte beherbergt, den Schaden, den dieser Dritten gegen- über anrichtet. 2) Hlothar u. Eadric c. 15. 3) Richthofen, Rqu. 169, Brokmerbrief § 129. 4) Cap. ital. c. 11, I 218: de illis (qui sine proprietatibus in regno nostro de- gentes iudicia comitum effugiunt) nobis placuit, ut ipsi, cum quibus manere videntur, aut eos praesentent aut pro eorum malefactis respondeant. Wer Vermögen hat, kann durch den Zugriff auf dasselbe gezwungen werden, zu Recht zu stehen. 5) Cap. de disciplina palatii Aquisgran. von circa 820, c. 5, I 298. 6) Über jüngere Quellen, nach welchen der Hausherr für die Hausangehörigen, für den in das Haus aufgenommenen Gast und Flüchtling haftet, siehe Osen- brüggen, Hausfriede S. 41, Stobbe, Deutsches Privatrecht III 389, Rive, Vor- mundschaft II 2, S. 56 f., Hertz, Rechtsverhältnisse des freien Gesindes in Gier- kes Untersuchungen VI 43 ff. Über die Haftung für den manupastus (domesticus) nach anglo-normannischem Rechte Leges Henrici primi c. 66, § 7 und insbeson- dere die lehrreiche Stelle bei Bracton fol. 124, III 2, c. 10. 7) Verwandt mit got. misso, sanskrit mithas, gegenseitig, wechselseitig, latein. mutuus, griech. moitos. Redebere heisst schuldig sein, schulden. 8) In übertragener Bedeutung bezeichnet Mithio auch den Kreis der Per-
§ 93. Die Grundherrlichkeit. Hauses. Diese Haftung erstreckte sich nicht nur auf die Knechte1),sondern auch auf halbfreie und freie Leute. Hielt ein freier, grund- besitzloser Mann sich durch längere Zeit im Hause eines anderen auf, so trat er damit an sich in ein Abhängigkeitsverhältnis, welches eine Haftung des Hausherrn begründete. Nach angelsächsischem Rechte haftete man für den Gast, den man in seinem Hause drei Nächte be- herbergte2). Eine jüngere friesische Rechtsquelle überliefert uns den Rechtssatz, daſs wer einen Ausheimischen haust oder hoft oder auf seinen Werf setzt, einstehen soll für das, was dieser verbricht3). Auch der fränkischen Zeit ist jener Grundsatz nicht unbekannt. Denn es ist nur eine Anwendung desselben, wenn ein karolingisches Kapitular bestimmt4), daſs besitzlose Personen von jenem, bei dem sie wohnen, gestellt oder verantwortet werden sollen, und wenn Ludwig I. vor- schreibt5), daſs jeder, der in der Pfalz zu Aachen einen von auswärts kommenden Mann bei sich aufnehme, für ihn zu haften habe6). Die Haftung äuſsert sich darin, daſs der Herr für die Haus- 1) Die Hausgenossenschaft ist auch maſsgebend in Fällen, in welchen der Herr des Hauses nicht Eigentümer des Knechtes ist. Nach Lex Rib. 72, 4 haftet für die That des Knechtes, um den ein Eigentumsprozeſs geführt wird, nicht jene Partei, die das Eigentum erstreitet, sondern derjenige, qui eum eo tempore post se reti- nuit. Laut Roth. 274 büſst derjenige, der einen fremden Sklaven ohne Wissen des Herrn über neun Nächte beherbergt, den Schaden, den dieser Dritten gegen- über anrichtet. 2) Hlothar u. Eadric c. 15. 3) Richthofen, Rqu. 169, Brokmerbrief § 129. 4) Cap. ital. c. 11, I 218: de illis (qui sine proprietatibus in regno nostro de- gentes iudicia comitum effugiunt) nobis placuit, ut ipsi, cum quibus manere videntur, aut eos praesentent aut pro eorum malefactis respondeant. Wer Vermögen hat, kann durch den Zugriff auf dasselbe gezwungen werden, zu Recht zu stehen. 5) Cap. de disciplina palatii Aquisgran. von circa 820, c. 5, I 298. 6) Über jüngere Quellen, nach welchen der Hausherr für die Hausangehörigen, für den in das Haus aufgenommenen Gast und Flüchtling haftet, siehe Osen- brüggen, Hausfriede S. 41, Stobbe, Deutsches Privatrecht III 389, Rive, Vor- mundschaft II 2, S. 56 f., Hertz, Rechtsverhältnisse des freien Gesindes in Gier- kes Untersuchungen VI 43 ff. Über die Haftung für den manupastus (domesticus) nach anglo-normannischem Rechte Leges Henrici primi c. 66, § 7 und insbeson- dere die lehrreiche Stelle bei Bracton fol. 124, III 2, c. 10. 7) Verwandt mit got. missô, sanskrit mithás, gegenseitig, wechselseitig, latein. mutuus, griech. μοὶτος. Redebere heiſst schuldig sein, schulden. 8) In übertragener Bedeutung bezeichnet Mithio auch den Kreis der Per-
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§ 93. Die Grundherrlichkeit.
Hauses. Diese Haftung erstreckte sich nicht nur auf die Knechte 1),
sondern auch auf halbfreie und freie Leute. Hielt ein freier, grund-
besitzloser Mann sich durch längere Zeit im Hause eines anderen
auf, so trat er damit an sich in ein Abhängigkeitsverhältnis, welches
eine Haftung des Hausherrn begründete. Nach angelsächsischem Rechte
haftete man für den Gast, den man in seinem Hause drei Nächte be-
herbergte 2). Eine jüngere friesische Rechtsquelle überliefert uns den
Rechtssatz, daſs wer einen Ausheimischen haust oder hoft oder auf
seinen Werf setzt, einstehen soll für das, was dieser verbricht 3). Auch
der fränkischen Zeit ist jener Grundsatz nicht unbekannt. Denn es
ist nur eine Anwendung desselben, wenn ein karolingisches Kapitular
bestimmt 4), daſs besitzlose Personen von jenem, bei dem sie wohnen,
gestellt oder verantwortet werden sollen, und wenn Ludwig I. vor-
schreibt 5), daſs jeder, der in der Pfalz zu Aachen einen von auswärts
kommenden Mann bei sich aufnehme, für ihn zu haften habe 6).
Die Haftung äuſsert sich darin, daſs der Herr für die Haus-
angehörigen Verantwortung schuldet. Die Personen, für die er haftet,
werden in der älteren fränkischen Rechtssprache als diejenigen zu-
sammengefaſst, unde mithio redebit 7). Mithio bedeutet aber in diesem
Zusammenhange soviel wie Erwiderung, Antwort 8). Der Haftung des
1) Die Hausgenossenschaft ist auch maſsgebend in Fällen, in welchen der Herr
des Hauses nicht Eigentümer des Knechtes ist. Nach Lex Rib. 72, 4 haftet für die
That des Knechtes, um den ein Eigentumsprozeſs geführt wird, nicht jene Partei,
die das Eigentum erstreitet, sondern derjenige, qui eum eo tempore post se reti-
nuit. Laut Roth. 274 büſst derjenige, der einen fremden Sklaven ohne Wissen
des Herrn über neun Nächte beherbergt, den Schaden, den dieser Dritten gegen-
über anrichtet.
2) Hlothar u. Eadric c. 15.
3) Richthofen, Rqu. 169, Brokmerbrief § 129.
4) Cap. ital. c. 11, I 218: de illis (qui sine proprietatibus in regno nostro de-
gentes iudicia comitum effugiunt) nobis placuit, ut ipsi, cum quibus manere videntur,
aut eos praesentent aut pro eorum malefactis respondeant. Wer Vermögen hat,
kann durch den Zugriff auf dasselbe gezwungen werden, zu Recht zu stehen.
5) Cap. de disciplina palatii Aquisgran. von circa 820, c. 5, I 298.
6) Über jüngere Quellen, nach welchen der Hausherr für die Hausangehörigen,
für den in das Haus aufgenommenen Gast und Flüchtling haftet, siehe Osen-
brüggen, Hausfriede S. 41, Stobbe, Deutsches Privatrecht III 389, Rive, Vor-
mundschaft II 2, S. 56 f., Hertz, Rechtsverhältnisse des freien Gesindes in Gier-
kes Untersuchungen VI 43 ff. Über die Haftung für den manupastus (domesticus)
nach anglo-normannischem Rechte Leges Henrici primi c. 66, § 7 und insbeson-
dere die lehrreiche Stelle bei Bracton fol. 124, III 2, c. 10.
7) Verwandt mit got. missô, sanskrit mithás, gegenseitig, wechselseitig, latein.
mutuus, griech. μοὶτος. Redebere heiſst schuldig sein, schulden.
8) In übertragener Bedeutung bezeichnet Mithio auch den Kreis der Per-
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