Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 93. Die Grundherrlichkeit. Herrn entspricht dessen Befugnis, seine Leute bei Geltendmachungvon Rechtsansprüchen zu vertreten, für die ihnen zugefügte Rechts- verletzung Vergeltung zu suchen. Die Personen, welche solchen Schutz, solche Vertretung zu erwarten haben, heissen im Verhältnis zum Herrn sperantes oder qui per eum sperare videntur9). In den königlichen Schutzbriefen wird der Schutz, den der König dem Schütz- ling zusichert, regelmässig auf die sperantes ausgedehnt und auf jene, für die der Schützling Mithio schuldet, wie denn auch das Reklama- tionsrecht des Schützlings sich auf die Rechtssachen seiner Leute erstreckt10). Die prozessualische Lage des Herrn ist eine verschiedene im Für Unthaten des Knechtes trägt der Herr ursprünglich Dritten sonen, für welche jemand verantwortlich ist, und ausserdem in territorialer An- wendung den Bereich der Verantwortlichkeit, das Gebiet, auf welches sich die Verantwortlichkeit erstreckt. In karolingischer Zeit beginnt das Wort aus der fränkischen Rechtssprache zu verschwinden. Es wird durch homines, homines commanentes, pertinentes ersetzt. 9) Der Ausdruck findet sich noch in den formulae imperiales 32 und 55. Ein im neunten Jahrhundert fabriziertes Diplom, angeblich Theuderichs III., für Ebers- münster, Pertz, Dipl. S. 188, giebt den homines ingenui, die sich in mundeburde der Kirche befinden, das Privilegium: ut ... nisi ab actoribus .. monasterii in mundeburde impendant et defensionem .. sperare debeant. Die Wendung: qui per eos sperare videntur, hat noch Heinrichs IV. Privilegium für die Juden von Speier v. J. 1090. 10) Nähere Ausführungen in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes a. O. 11) H. Brunner, Über absichtslose Missethat im altd. Strafr. Berl. SB 1890,
S. 830 ff. und unten § 125. Einen Rechtsfall, in welchem die Unthat einer Un- freien vom Herrn gesühnt wird, enthält Meichelbeck Nr. 683 v. J. 853: E. venerat denuntians suam filiam veneno percussam per molimina vel machinationes mali- vole ancille de familia S. Marie, ... quod negari vel econtra dici non potuit. Tunc E. episcopus hoc ipsum iniustum factum misericorditer disponens praestitit eidem supradicto E. unam coloniam (statt des Wergelds der Vergifteten, vgl. oben I 198). § 93. Die Grundherrlichkeit. Herrn entspricht dessen Befugnis, seine Leute bei Geltendmachungvon Rechtsansprüchen zu vertreten, für die ihnen zugefügte Rechts- verletzung Vergeltung zu suchen. Die Personen, welche solchen Schutz, solche Vertretung zu erwarten haben, heiſsen im Verhältnis zum Herrn sperantes oder qui per eum sperare videntur9). In den königlichen Schutzbriefen wird der Schutz, den der König dem Schütz- ling zusichert, regelmäſsig auf die sperantes ausgedehnt und auf jene, für die der Schützling Mithio schuldet, wie denn auch das Reklama- tionsrecht des Schützlings sich auf die Rechtssachen seiner Leute erstreckt10). Die prozessualische Lage des Herrn ist eine verschiedene im Für Unthaten des Knechtes trägt der Herr ursprünglich Dritten sonen, für welche jemand verantwortlich ist, und auſserdem in territorialer An- wendung den Bereich der Verantwortlichkeit, das Gebiet, auf welches sich die Verantwortlichkeit erstreckt. In karolingischer Zeit beginnt das Wort aus der fränkischen Rechtssprache zu verschwinden. Es wird durch homines, homines commanentes, pertinentes ersetzt. 9) Der Ausdruck findet sich noch in den formulae imperiales 32 und 55. Ein im neunten Jahrhundert fabriziertes Diplom, angeblich Theuderichs III., für Ebers- münster, Pertz, Dipl. S. 188, giebt den homines ingenui, die sich in mundeburde der Kirche befinden, das Privilegium: ut … nisi ab actoribus .. monasterii in mundeburde impendant et defensionem .. sperare debeant. Die Wendung: qui per eos sperare videntur, hat noch Heinrichs IV. Privilegium für die Juden von Speier v. J. 1090. 10) Nähere Ausführungen in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes a. O. 11) H. Brunner, Über absichtslose Missethat im altd. Strafr. Berl. SB 1890,
S. 830 ff. und unten § 125. Einen Rechtsfall, in welchem die Unthat einer Un- freien vom Herrn gesühnt wird, enthält Meichelbeck Nr. 683 v. J. 853: E. venerat denuntians suam filiam veneno percussam per molimina vel machinationes mali- vole ancille de familia S. Marie, … quod negari vel econtra dici non potuit. Tunc E. episcopus hoc ipsum iniustum factum misericorditer disponens praestitit eidem supradicto E. unam coloniam (statt des Wergelds der Vergifteten, vgl. oben I 198). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0295" n="277"/><fw place="top" type="header">§ 93. Die Grundherrlichkeit.</fw><lb/> Herrn entspricht dessen Befugnis, seine Leute bei Geltendmachung<lb/> von Rechtsansprüchen zu vertreten, für die ihnen zugefügte Rechts-<lb/> verletzung Vergeltung zu suchen. Die Personen, welche solchen<lb/> Schutz, solche Vertretung zu erwarten haben, heiſsen im Verhältnis<lb/> zum Herrn sperantes oder qui per eum sperare videntur<note place="foot" n="9)">Der Ausdruck findet sich noch in den formulae imperiales 32 und 55. Ein<lb/> im neunten Jahrhundert fabriziertes Diplom, angeblich Theuderichs III., für Ebers-<lb/> münster, Pertz, Dipl. S. 188, giebt den homines ingenui, die sich in mundeburde<lb/> der Kirche befinden, das Privilegium: ut … nisi ab actoribus .. monasterii in<lb/> mundeburde impendant et <hi rendition="#g">defensionem .. sperare</hi> debeant. Die Wendung:<lb/> qui per eos sperare videntur, hat noch Heinrichs IV. Privilegium für die Juden<lb/> von Speier v. J. 1090.</note>. In den<lb/> königlichen Schutzbriefen wird der Schutz, den der König dem Schütz-<lb/> ling zusichert, regelmäſsig auf die sperantes ausgedehnt und auf jene,<lb/> für die der Schützling Mithio schuldet, wie denn auch das Reklama-<lb/> tionsrecht des Schützlings sich auf die Rechtssachen seiner Leute<lb/> erstreckt<note place="foot" n="10)">Nähere Ausführungen in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes a. O.</note>.</p><lb/> <p>Die prozessualische Lage des Herrn ist eine verschiedene im<lb/> Verhältnis zu Knechten, Halbfreien und Freien. Sein Schutzrecht<lb/> und seine Haftung blieben nicht beschränkt auf Hausangehörige im<lb/> eigentlichen Sinne. Die Ausdehnung, die sie erfuhren, war eine ver-<lb/> schiedene bei den verschiedenen Klassen der Untergebenen.</p><lb/> <p>Für Unthaten des Knechtes trägt der Herr ursprünglich Dritten<lb/> gegenüber die volle Verantwortung. Er hat als Prozeſspartei sie zu<lb/> vertreten und zu sühnen. Diese unbeschränkte Haftung des Herrn<lb/> wurde aber nur für den Fall der Mitwissenschaft aufrecht erhalten.<lb/> Im übrigen konnte der Herr sich derart stellen, daſs er die That nur<lb/> als absichtslose That, als Ungefährwerk zu vertreten brauchte<note place="foot" n="11)">H. <hi rendition="#g">Brunner,</hi> Über absichtslose Missethat im altd. Strafr. Berl. SB 1890,<lb/> S. 830 ff. und unten § 125. Einen Rechtsfall, in welchem die Unthat einer Un-<lb/> freien vom Herrn gesühnt wird, enthält Meichelbeck Nr. 683 v. J. 853: E. venerat<lb/> denuntians suam filiam veneno percussam per molimina vel machinationes mali-<lb/> vole ancille de familia S. Marie, … quod negari vel econtra dici non potuit. Tunc<lb/> E. episcopus hoc ipsum iniustum factum misericorditer disponens praestitit eidem<lb/> supradicto E. unam coloniam (statt des Wergelds der Vergifteten, vgl. oben I 198).</note>. Da-<lb/> bei war in gewissen Fällen der Knecht auszuliefern, entweder zum<lb/> Zweck der Rache oder zur Verhängung von Lebens- oder von Leibes-<lb/><note xml:id="seg2pn_68_2" prev="#seg2pn_68_1" place="foot" n="8)">sonen, für welche jemand verantwortlich ist, und auſserdem in territorialer An-<lb/> wendung den Bereich der Verantwortlichkeit, das Gebiet, auf welches sich die<lb/> Verantwortlichkeit erstreckt. In karolingischer Zeit beginnt das Wort aus der<lb/> fränkischen Rechtssprache zu verschwinden. Es wird durch homines, homines<lb/> commanentes, pertinentes ersetzt.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [277/0295]
§ 93. Die Grundherrlichkeit.
Herrn entspricht dessen Befugnis, seine Leute bei Geltendmachung
von Rechtsansprüchen zu vertreten, für die ihnen zugefügte Rechts-
verletzung Vergeltung zu suchen. Die Personen, welche solchen
Schutz, solche Vertretung zu erwarten haben, heiſsen im Verhältnis
zum Herrn sperantes oder qui per eum sperare videntur 9). In den
königlichen Schutzbriefen wird der Schutz, den der König dem Schütz-
ling zusichert, regelmäſsig auf die sperantes ausgedehnt und auf jene,
für die der Schützling Mithio schuldet, wie denn auch das Reklama-
tionsrecht des Schützlings sich auf die Rechtssachen seiner Leute
erstreckt 10).
Die prozessualische Lage des Herrn ist eine verschiedene im
Verhältnis zu Knechten, Halbfreien und Freien. Sein Schutzrecht
und seine Haftung blieben nicht beschränkt auf Hausangehörige im
eigentlichen Sinne. Die Ausdehnung, die sie erfuhren, war eine ver-
schiedene bei den verschiedenen Klassen der Untergebenen.
Für Unthaten des Knechtes trägt der Herr ursprünglich Dritten
gegenüber die volle Verantwortung. Er hat als Prozeſspartei sie zu
vertreten und zu sühnen. Diese unbeschränkte Haftung des Herrn
wurde aber nur für den Fall der Mitwissenschaft aufrecht erhalten.
Im übrigen konnte der Herr sich derart stellen, daſs er die That nur
als absichtslose That, als Ungefährwerk zu vertreten brauchte 11). Da-
bei war in gewissen Fällen der Knecht auszuliefern, entweder zum
Zweck der Rache oder zur Verhängung von Lebens- oder von Leibes-
8)
9) Der Ausdruck findet sich noch in den formulae imperiales 32 und 55. Ein
im neunten Jahrhundert fabriziertes Diplom, angeblich Theuderichs III., für Ebers-
münster, Pertz, Dipl. S. 188, giebt den homines ingenui, die sich in mundeburde
der Kirche befinden, das Privilegium: ut … nisi ab actoribus .. monasterii in
mundeburde impendant et defensionem .. sperare debeant. Die Wendung:
qui per eos sperare videntur, hat noch Heinrichs IV. Privilegium für die Juden
von Speier v. J. 1090.
10) Nähere Ausführungen in meiner Abhandlung Mithio und Sperantes a. O.
11) H. Brunner, Über absichtslose Missethat im altd. Strafr. Berl. SB 1890,
S. 830 ff. und unten § 125. Einen Rechtsfall, in welchem die Unthat einer Un-
freien vom Herrn gesühnt wird, enthält Meichelbeck Nr. 683 v. J. 853: E. venerat
denuntians suam filiam veneno percussam per molimina vel machinationes mali-
vole ancille de familia S. Marie, … quod negari vel econtra dici non potuit. Tunc
E. episcopus hoc ipsum iniustum factum misericorditer disponens praestitit eidem
supradicto E. unam coloniam (statt des Wergelds der Vergifteten, vgl. oben I 198).
8) sonen, für welche jemand verantwortlich ist, und auſserdem in territorialer An-
wendung den Bereich der Verantwortlichkeit, das Gebiet, auf welches sich die
Verantwortlichkeit erstreckt. In karolingischer Zeit beginnt das Wort aus der
fränkischen Rechtssprache zu verschwinden. Es wird durch homines, homines
commanentes, pertinentes ersetzt.
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