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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 97. Einleitung zu Teil II.
Franken bei den übrigen deutschen Stämmen ein, auch die Lango-
barden nicht ausgenommen, die Dank ihrem Notariat und ihrer
Jurisprudenz die grösste Zahl von Gerichtsurkunden und Prozessformeln
aufzuweisen haben.

Die folgende Darstellung unterscheidet das ordentliche Gerichts-
verfahren und die besonderen Arten des Rechtsgangs. Mit jenem ist
das Verfahren gemeint, das, mit Ladung oder Streitgedinge be-
ginnend, vor Gericht durch Erhebung der Klage eröffnet wird und
dem Beklagten die Möglichkeit kontradiktorischer Verhandlung ge-
währt1. Den direkten Gegensatz zu dem ordentlichen Verfahren
bildet das Verfahren bei handhafter That, welches sich aus dem Ver-
fahren gegen einen Friedlosen entwickelt hat und ebenso der rechts-
förmlichen Klage, wie der rechtsförmlichen Antwort entbehrt. Eine
Zwischenstellung nimmt als ein teilweise aussergerichtlicher Rechtsgang
der sogen. Anefangsprozess um Fahrhabe ein. Gewisse Eigentümlich-
keiten weist auch der Rechtsstreit um Liegenschaften auf, welchem
deshalb, obwohl er sich regelmässig im Rahmen des ordentlichen Ver-
fahrens bewegt, eine gesonderte Darstellung gewidmet werden soll.
Als selbständige Arten des Rechtsgangs stellen sich endlich das Rüge-
verfahren und das Betreibungsverfahren dar.

Unzutreffend ist für das ältere Prozessrecht die Einteilung der
Klagen in Klagen um Schuld, Klagen um Gut oder dingliche Klagen
und Klagen um Ungericht oder Deliktsklagen2. Diese Einteilung
trägt in das ältere Prozessrecht jüngere Rechtsanschauungen hinein,
die ihm noch fremd sind. Denn anfänglich war jede Klage eine De-
liktsklage, eine Klage um strafbares Unrecht. So wurde das Verfahren
um Schuldforderungen bei Säumnis des Schuldners zu einem Ver-
fahren um eine Deliktsbusse, nämlich um die Busse wegen Verzugs,
der sich als rechtswidrige Vorenthaltung darstellte und z. B. im norwegi-
schen Rechte eine Klage wegen ran (wörtlich Raub) begründete. So
war die Anefangsklage um Fahrnis eine Klage um eine gestohlene
oder geraubte Sache, die Liegenschaftsklage, wenigstens ursprünglich
eine Klage um rechtswidrige Landnahme, um Landraub. Dagegen

1 Indem dieses Verfahren als das ordentliche bezeichnet wird, soll nicht etwa
behauptet werden, dass die Mehrzahl der Streitfälle darin ihre Erledigung fand.
Ganz abgesehen davon, dass es unmöglich ist, eine statistische Berechnung auf-
zustellen, würde die Statistik für die Gruppierung und Bezeichnung der einzelnen
Arten des Rechtsgangs nicht massgebend sein.
2 So teilt v. Bethmann-Hollweg die Klagen ein. Sohm unterscheidet
für das Prozessrecht der Lex Salica das exekutivische Verfahren, die Vindikation
von Mobilien und das gerichtliche Verfahren aus dem Delikte.

§ 97. Einleitung zu Teil II.
Franken bei den übrigen deutschen Stämmen ein, auch die Lango-
barden nicht ausgenommen, die Dank ihrem Notariat und ihrer
Jurisprudenz die gröſste Zahl von Gerichtsurkunden und Prozeſsformeln
aufzuweisen haben.

Die folgende Darstellung unterscheidet das ordentliche Gerichts-
verfahren und die besonderen Arten des Rechtsgangs. Mit jenem ist
das Verfahren gemeint, das, mit Ladung oder Streitgedinge be-
ginnend, vor Gericht durch Erhebung der Klage eröffnet wird und
dem Beklagten die Möglichkeit kontradiktorischer Verhandlung ge-
währt1. Den direkten Gegensatz zu dem ordentlichen Verfahren
bildet das Verfahren bei handhafter That, welches sich aus dem Ver-
fahren gegen einen Friedlosen entwickelt hat und ebenso der rechts-
förmlichen Klage, wie der rechtsförmlichen Antwort entbehrt. Eine
Zwischenstellung nimmt als ein teilweise auſsergerichtlicher Rechtsgang
der sogen. Anefangsprozeſs um Fahrhabe ein. Gewisse Eigentümlich-
keiten weist auch der Rechtsstreit um Liegenschaften auf, welchem
deshalb, obwohl er sich regelmäſsig im Rahmen des ordentlichen Ver-
fahrens bewegt, eine gesonderte Darstellung gewidmet werden soll.
Als selbständige Arten des Rechtsgangs stellen sich endlich das Rüge-
verfahren und das Betreibungsverfahren dar.

Unzutreffend ist für das ältere Prozeſsrecht die Einteilung der
Klagen in Klagen um Schuld, Klagen um Gut oder dingliche Klagen
und Klagen um Ungericht oder Deliktsklagen2. Diese Einteilung
trägt in das ältere Prozeſsrecht jüngere Rechtsanschauungen hinein,
die ihm noch fremd sind. Denn anfänglich war jede Klage eine De-
liktsklage, eine Klage um strafbares Unrecht. So wurde das Verfahren
um Schuldforderungen bei Säumnis des Schuldners zu einem Ver-
fahren um eine Deliktsbuſse, nämlich um die Buſse wegen Verzugs,
der sich als rechtswidrige Vorenthaltung darstellte und z. B. im norwegi-
schen Rechte eine Klage wegen rán (wörtlich Raub) begründete. So
war die Anefangsklage um Fahrnis eine Klage um eine gestohlene
oder geraubte Sache, die Liegenschaftsklage, wenigstens ursprünglich
eine Klage um rechtswidrige Landnahme, um Landraub. Dagegen

1 Indem dieses Verfahren als das ordentliche bezeichnet wird, soll nicht etwa
behauptet werden, daſs die Mehrzahl der Streitfälle darin ihre Erledigung fand.
Ganz abgesehen davon, daſs es unmöglich ist, eine statistische Berechnung auf-
zustellen, würde die Statistik für die Gruppierung und Bezeichnung der einzelnen
Arten des Rechtsgangs nicht maſsgebend sein.
2 So teilt v. Bethmann-Hollweg die Klagen ein. Sohm unterscheidet
für das Prozeſsrecht der Lex Salica das exekutivische Verfahren, die Vindikation
von Mobilien und das gerichtliche Verfahren aus dem Delikte.
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[328/0346] § 97. Einleitung zu Teil II. Franken bei den übrigen deutschen Stämmen ein, auch die Lango- barden nicht ausgenommen, die Dank ihrem Notariat und ihrer Jurisprudenz die gröſste Zahl von Gerichtsurkunden und Prozeſsformeln aufzuweisen haben. Die folgende Darstellung unterscheidet das ordentliche Gerichts- verfahren und die besonderen Arten des Rechtsgangs. Mit jenem ist das Verfahren gemeint, das, mit Ladung oder Streitgedinge be- ginnend, vor Gericht durch Erhebung der Klage eröffnet wird und dem Beklagten die Möglichkeit kontradiktorischer Verhandlung ge- währt 1. Den direkten Gegensatz zu dem ordentlichen Verfahren bildet das Verfahren bei handhafter That, welches sich aus dem Ver- fahren gegen einen Friedlosen entwickelt hat und ebenso der rechts- förmlichen Klage, wie der rechtsförmlichen Antwort entbehrt. Eine Zwischenstellung nimmt als ein teilweise auſsergerichtlicher Rechtsgang der sogen. Anefangsprozeſs um Fahrhabe ein. Gewisse Eigentümlich- keiten weist auch der Rechtsstreit um Liegenschaften auf, welchem deshalb, obwohl er sich regelmäſsig im Rahmen des ordentlichen Ver- fahrens bewegt, eine gesonderte Darstellung gewidmet werden soll. Als selbständige Arten des Rechtsgangs stellen sich endlich das Rüge- verfahren und das Betreibungsverfahren dar. Unzutreffend ist für das ältere Prozeſsrecht die Einteilung der Klagen in Klagen um Schuld, Klagen um Gut oder dingliche Klagen und Klagen um Ungericht oder Deliktsklagen 2. Diese Einteilung trägt in das ältere Prozeſsrecht jüngere Rechtsanschauungen hinein, die ihm noch fremd sind. Denn anfänglich war jede Klage eine De- liktsklage, eine Klage um strafbares Unrecht. So wurde das Verfahren um Schuldforderungen bei Säumnis des Schuldners zu einem Ver- fahren um eine Deliktsbuſse, nämlich um die Buſse wegen Verzugs, der sich als rechtswidrige Vorenthaltung darstellte und z. B. im norwegi- schen Rechte eine Klage wegen rán (wörtlich Raub) begründete. So war die Anefangsklage um Fahrnis eine Klage um eine gestohlene oder geraubte Sache, die Liegenschaftsklage, wenigstens ursprünglich eine Klage um rechtswidrige Landnahme, um Landraub. Dagegen 1 Indem dieses Verfahren als das ordentliche bezeichnet wird, soll nicht etwa behauptet werden, daſs die Mehrzahl der Streitfälle darin ihre Erledigung fand. Ganz abgesehen davon, daſs es unmöglich ist, eine statistische Berechnung auf- zustellen, würde die Statistik für die Gruppierung und Bezeichnung der einzelnen Arten des Rechtsgangs nicht maſsgebend sein. 2 So teilt v. Bethmann-Hollweg die Klagen ein. Sohm unterscheidet für das Prozeſsrecht der Lex Salica das exekutivische Verfahren, die Vindikation von Mobilien und das gerichtliche Verfahren aus dem Delikte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/346>, abgerufen am 22.11.2024.