Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
Ja, die Dietmarschen verwenden nachmals sogar eine Häufung von
30 Volleiden 54. Der Volleid wird geteilt zum halben mit sechs
(nordisch settareidr oder halfrettiseidr), zum Viertelseid mit drei
Schwörenden (nordisch lyritareidr). Ausserdem giebt es noch selbander
geschworene Eide. Um die Hälfte erhöht wird der Volleid zu einem
Eide mit achtzehn Eidmannen 55, der halbe Eid zu einem halbneunt 56
geschworenen Eide 57.

In der Angabe der Eidesgrössen schwankt die Ausdrucksweise der
Quellen, indem manchmal die Summe der Schwörenden mit Einschluss
des Hauptmannes, manchmal die Summe der Eidhelfer mit Ausschluss
des Hauptmannes gemeint ist. Unter dem Zwölfereide (dem Eide, den
man sibi duodecimus, duodecima manu schwört) wird entweder ein
Eid mit zwölf oder ein Eid mit eilf Helfern verstanden. Den halben
Eid (septima oder sexta manu) schwören manche Stämme mit sechs,
andere mit fünf Helfern. Der selbdritt (sibi tertius) geschworene
Eid fordert bald drei, bald zwei Helfer 58. Die Methode der Berech-
nung ist in dieser Beziehung nicht nur in den verschiedenen Stammes-
rechten, sondern mitunter auch innerhalb desselben Quellenkreises
eine verschiedene.

Auf die Eidhelferzahlen und deren Berechnung scheint der ursprüng-
liche Charakter der Eideshilfe als eines Geschlechtseides von Einfluss
gewesen zu sein. Wenn bei den Friesen die 72 Eidhelfer aus den
vier Vierteln der Sippe entnommen werden mussten, wenn in gewissen
Fällen Vater- und Muttermagen in bestimmtem Verhältnis vertreten
sein sollten, wenn endlich nach einer angelsächsischen Quelle der
Angeschuldigte sich reinigen konnte mit den Magen, die mit ihm
die Fehde zu tragen oder zu büssen hatten, so liegt es nahe, zu ver-
muten, dass bei dem Zwölfereid, seinen Vervielfältigungen und Spal-
tungen ursprünglich eine Vertretung verschiedener Teile der Sippe in
Frage kam 59. Zählte man den Beweisführer selbst als Vertreter der

Mainwenden bei Dove, Z. f. KR IV 162. Ssp. Landr. I 6, § 2. Richtsteig Ldr.
10, § 1. Über die Friesen siehe oben S. 380, Anm. 18. Als ein fünffacher Voll-
eid (5 mal 13) ist vielleicht der Eid aufzufassen, den nach Lex Sal. 74 der melior
mit 65 Helfern (darunter 5 seniores?) zu schwören hat.
54 Dietmarscher Landrecht von 1447, § 74.
55 Lex Sal. 106, 6.
56 Lex Sal. 106, 5.
57 Über den mit 15 Helfern geschworenen Eid siehe unten zu Anm. 63.
58 Siehe Cosack S. 27 f.
59 Ein Richtsteig von Ardenburg in Flandern (bei Brügge), das sogenannte
Buch van Tale ende Wedertale, hrsgeg. von Gilliodts van Severen, Coutumes des
petites villes du Quartier de Bruges I (1890) S. 236, verlangt, dass die Todschlags-
klage eingebracht werde von einem Oberkläger (opperclaghere) und vier Hilfs-
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 25

§ 104. Parteieid und Eideshilfe.
Ja, die Dietmarschen verwenden nachmals sogar eine Häufung von
30 Volleiden 54. Der Volleid wird geteilt zum halben mit sechs
(nordisch settareiđr oder hálfréttiseiđr), zum Viertelseid mit drei
Schwörenden (nordisch lyritareiđr). Auſserdem giebt es noch selbander
geschworene Eide. Um die Hälfte erhöht wird der Volleid zu einem
Eide mit achtzehn Eidmannen 55, der halbe Eid zu einem halbneunt 56
geschworenen Eide 57.

In der Angabe der Eidesgröſsen schwankt die Ausdrucksweise der
Quellen, indem manchmal die Summe der Schwörenden mit Einschluſs
des Hauptmannes, manchmal die Summe der Eidhelfer mit Ausschluſs
des Hauptmannes gemeint ist. Unter dem Zwölfereide (dem Eide, den
man sibi duodecimus, duodecima manu schwört) wird entweder ein
Eid mit zwölf oder ein Eid mit eilf Helfern verstanden. Den halben
Eid (septima oder sexta manu) schwören manche Stämme mit sechs,
andere mit fünf Helfern. Der selbdritt (sibi tertius) geschworene
Eid fordert bald drei, bald zwei Helfer 58. Die Methode der Berech-
nung ist in dieser Beziehung nicht nur in den verschiedenen Stammes-
rechten, sondern mitunter auch innerhalb desselben Quellenkreises
eine verschiedene.

Auf die Eidhelferzahlen und deren Berechnung scheint der ursprüng-
liche Charakter der Eideshilfe als eines Geschlechtseides von Einfluſs
gewesen zu sein. Wenn bei den Friesen die 72 Eidhelfer aus den
vier Vierteln der Sippe entnommen werden muſsten, wenn in gewissen
Fällen Vater- und Muttermagen in bestimmtem Verhältnis vertreten
sein sollten, wenn endlich nach einer angelsächsischen Quelle der
Angeschuldigte sich reinigen konnte mit den Magen, die mit ihm
die Fehde zu tragen oder zu büſsen hatten, so liegt es nahe, zu ver-
muten, daſs bei dem Zwölfereid, seinen Vervielfältigungen und Spal-
tungen ursprünglich eine Vertretung verschiedener Teile der Sippe in
Frage kam 59. Zählte man den Beweisführer selbst als Vertreter der

Mainwenden bei Dove, Z. f. KR IV 162. Ssp. Landr. I 6, § 2. Richtsteig Ldr.
10, § 1. Über die Friesen siehe oben S. 380, Anm. 18. Als ein fünffacher Voll-
eid (5 mal 13) ist vielleicht der Eid aufzufassen, den nach Lex Sal. 74 der melior
mit 65 Helfern (darunter 5 seniores?) zu schwören hat.
54 Dietmarscher Landrecht von 1447, § 74.
55 Lex Sal. 106, 6.
56 Lex Sal. 106, 5.
57 Über den mit 15 Helfern geschworenen Eid siehe unten zu Anm. 63.
58 Siehe Cosack S. 27 f.
59 Ein Richtsteig von Ardenburg in Flandern (bei Brügge), das sogenannte
Buch van Tale ende Wedertale, hrsgeg. von Gilliodts van Severen, Coutumes des
petites villes du Quartier de Bruges I (1890) S. 236, verlangt, daſs die Todschlags-
klage eingebracht werde von einem Oberkläger (opperclaghere) und vier Hilfs-
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0403" n="385"/><fw place="top" type="header">§ 104. Parteieid und Eideshilfe.</fw><lb/>
Ja, die Dietmarschen verwenden nachmals sogar eine Häufung von<lb/>
30 Volleiden <note place="foot" n="54">Dietmarscher Landrecht von 1447, § 74.</note>. Der Volleid wird geteilt zum halben mit sechs<lb/>
(nordisch settarei&#x0111;r oder hálfréttisei&#x0111;r), zum Viertelseid mit drei<lb/>
Schwörenden (nordisch lyritarei&#x0111;r). Au&#x017F;serdem giebt es noch selbander<lb/>
geschworene Eide. Um die Hälfte erhöht wird der Volleid zu einem<lb/>
Eide mit achtzehn Eidmannen <note place="foot" n="55">Lex Sal. 106, 6.</note>, der halbe Eid zu einem halbneunt <note place="foot" n="56">Lex Sal. 106, 5.</note><lb/>
geschworenen Eide <note place="foot" n="57">Über den mit 15 Helfern geschworenen Eid siehe unten zu Anm. 63.</note>.</p><lb/>
              <p>In der Angabe der Eidesgrö&#x017F;sen schwankt die Ausdrucksweise der<lb/>
Quellen, indem manchmal die Summe der Schwörenden mit Einschlu&#x017F;s<lb/>
des Hauptmannes, manchmal die Summe der Eidhelfer mit Ausschlu&#x017F;s<lb/>
des Hauptmannes gemeint ist. Unter dem Zwölfereide (dem Eide, den<lb/>
man sibi duodecimus, duodecima manu schwört) wird entweder ein<lb/>
Eid mit zwölf oder ein Eid mit eilf Helfern verstanden. Den halben<lb/>
Eid (septima oder sexta manu) schwören manche Stämme mit sechs,<lb/>
andere mit fünf Helfern. Der selbdritt (sibi tertius) geschworene<lb/>
Eid fordert bald drei, bald zwei Helfer <note place="foot" n="58">Siehe <hi rendition="#g">Cosack</hi> S. 27 f.</note>. Die Methode der Berech-<lb/>
nung ist in dieser Beziehung nicht nur in den verschiedenen Stammes-<lb/>
rechten, sondern mitunter auch innerhalb desselben Quellenkreises<lb/>
eine verschiedene.</p><lb/>
              <p>Auf die Eidhelferzahlen und deren Berechnung scheint der ursprüng-<lb/>
liche Charakter der Eideshilfe als eines Geschlechtseides von Einflu&#x017F;s<lb/>
gewesen zu sein. Wenn bei den Friesen die 72 Eidhelfer aus den<lb/>
vier Vierteln der Sippe entnommen werden mu&#x017F;sten, wenn in gewissen<lb/>
Fällen Vater- und Muttermagen in bestimmtem Verhältnis vertreten<lb/>
sein sollten, wenn endlich nach einer angelsächsischen Quelle der<lb/>
Angeschuldigte sich reinigen konnte mit den Magen, die mit ihm<lb/>
die Fehde zu tragen oder zu bü&#x017F;sen hatten, so liegt es nahe, zu ver-<lb/>
muten, da&#x017F;s bei dem Zwölfereid, seinen Vervielfältigungen und Spal-<lb/>
tungen ursprünglich eine Vertretung verschiedener Teile der Sippe in<lb/>
Frage kam <note xml:id="seg2pn_98_1" next="#seg2pn_98_2" place="foot" n="59">Ein Richtsteig von Ardenburg in Flandern (bei Brügge), das sogenannte<lb/>
Buch van Tale ende Wedertale, hrsgeg. von Gilliodts van Severen, Coutumes des<lb/>
petites villes du Quartier de Bruges I (1890) S. 236, verlangt, da&#x017F;s die Todschlags-<lb/>
klage eingebracht werde von einem Oberkläger (opperclaghere) und vier Hilfs-</note>. Zählte man den Beweisführer selbst als Vertreter der<lb/><note xml:id="seg2pn_97_2" prev="#seg2pn_97_1" place="foot" n="53">Mainwenden bei <hi rendition="#g">Dove</hi>, Z. f. KR IV 162. Ssp. Landr. I 6, § 2. Richtsteig Ldr.<lb/>
10, § 1. Über die Friesen siehe oben S. 380, Anm. 18. Als ein fünffacher Voll-<lb/>
eid (5 mal 13) ist vielleicht der Eid aufzufassen, den nach Lex Sal. 74 der melior<lb/>
mit 65 Helfern (darunter 5 seniores?) zu schwören hat.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Binding, Handbuch. II. 1. II: <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Deutsche Rechtsgesch. II. 25</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0403] § 104. Parteieid und Eideshilfe. Ja, die Dietmarschen verwenden nachmals sogar eine Häufung von 30 Volleiden 54. Der Volleid wird geteilt zum halben mit sechs (nordisch settareiđr oder hálfréttiseiđr), zum Viertelseid mit drei Schwörenden (nordisch lyritareiđr). Auſserdem giebt es noch selbander geschworene Eide. Um die Hälfte erhöht wird der Volleid zu einem Eide mit achtzehn Eidmannen 55, der halbe Eid zu einem halbneunt 56 geschworenen Eide 57. In der Angabe der Eidesgröſsen schwankt die Ausdrucksweise der Quellen, indem manchmal die Summe der Schwörenden mit Einschluſs des Hauptmannes, manchmal die Summe der Eidhelfer mit Ausschluſs des Hauptmannes gemeint ist. Unter dem Zwölfereide (dem Eide, den man sibi duodecimus, duodecima manu schwört) wird entweder ein Eid mit zwölf oder ein Eid mit eilf Helfern verstanden. Den halben Eid (septima oder sexta manu) schwören manche Stämme mit sechs, andere mit fünf Helfern. Der selbdritt (sibi tertius) geschworene Eid fordert bald drei, bald zwei Helfer 58. Die Methode der Berech- nung ist in dieser Beziehung nicht nur in den verschiedenen Stammes- rechten, sondern mitunter auch innerhalb desselben Quellenkreises eine verschiedene. Auf die Eidhelferzahlen und deren Berechnung scheint der ursprüng- liche Charakter der Eideshilfe als eines Geschlechtseides von Einfluſs gewesen zu sein. Wenn bei den Friesen die 72 Eidhelfer aus den vier Vierteln der Sippe entnommen werden muſsten, wenn in gewissen Fällen Vater- und Muttermagen in bestimmtem Verhältnis vertreten sein sollten, wenn endlich nach einer angelsächsischen Quelle der Angeschuldigte sich reinigen konnte mit den Magen, die mit ihm die Fehde zu tragen oder zu büſsen hatten, so liegt es nahe, zu ver- muten, daſs bei dem Zwölfereid, seinen Vervielfältigungen und Spal- tungen ursprünglich eine Vertretung verschiedener Teile der Sippe in Frage kam 59. Zählte man den Beweisführer selbst als Vertreter der 53 54 Dietmarscher Landrecht von 1447, § 74. 55 Lex Sal. 106, 6. 56 Lex Sal. 106, 5. 57 Über den mit 15 Helfern geschworenen Eid siehe unten zu Anm. 63. 58 Siehe Cosack S. 27 f. 59 Ein Richtsteig von Ardenburg in Flandern (bei Brügge), das sogenannte Buch van Tale ende Wedertale, hrsgeg. von Gilliodts van Severen, Coutumes des petites villes du Quartier de Bruges I (1890) S. 236, verlangt, daſs die Todschlags- klage eingebracht werde von einem Oberkläger (opperclaghere) und vier Hilfs- 53 Mainwenden bei Dove, Z. f. KR IV 162. Ssp. Landr. I 6, § 2. Richtsteig Ldr. 10, § 1. Über die Friesen siehe oben S. 380, Anm. 18. Als ein fünffacher Voll- eid (5 mal 13) ist vielleicht der Eid aufzufassen, den nach Lex Sal. 74 der melior mit 65 Helfern (darunter 5 seniores?) zu schwören hat. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/403
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/403>, abgerufen am 22.11.2024.