Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.§ 105. Der Zeugeneid. beschränkte. Es giebt nur zwei Arten von Wissenden, nämlich Zeugenim eigentlichen Sinne, d. h. Wissende, die zur Stätigung einer beweis- bedürftigen Thatsache zugezogen wurden 5, und Gemeindezeugen, denen dieses Merkmal fehlt. Die Zeugenziehung ist nach manchen Stammesrechten eine rechts- Die Zeugenziehung ist ein zwischen dem Ziehenden und dem 5 Zeuge ist wörtlich der Gezogene. Das Wort kommt von ziohan, ziehen. 6 In Lex Burg. 60, 3 gestattet der Gesetzgeber, dass Königsknechte als Zeugen verwendet werden, und zwar als Urkundszeugen, wenn die Zeugennamen der schrift- lichen Urkunde (manus) des Kontrahenten hinzugefügt worden sind, und ausserdem, wenn sie den Zeugeneid leisten, nachdem sie bei Abschluss des Geschäftes ad testimonii fidem tractati fuerant secundum consuetudinem barbarorum. Eine Handschrift (Bluhme A, Salis B 6) hat tractas aures. 7 Mon. Boica VIII 466 (saec. XII): quos ipse dux per aurem traxit. Grimm, Nachtrag zu RA S. 145, verweist auf eine Urkunde für das Kloster Michelfeld v. J. 1270. 8 Lex Rib. 60, 1. Siehe meine Entstehung der Schwurgerichte S. 196 f. Für Holland bezeugt die Sitte im 17. Jahrhundert Jan van Houts bei Oudenhoven, Beschrijvinge van Heusden S. 26: ende .. was eene gewoonte de Jongens ten vor- conden van dien by de ooren te grijpen ende te reckooren. 9 Daher vinum testimoniale. Stobbe, Z. f. RG XIII 231. 234. Schröder, RG
S. 83, sieht darin die rechtlich notwendige Gegenleistung, welche die Zeugen zur Abgabe des Zeugnisses verpflichtete, eine Pflicht, die nur durch entgeltlichen Ver- trag begründet werden konnte. Allein die Belege sind zu jung und zu vereinzelt, als dass ein sicherer Schluss gezogen werden könnte. Nach Stobbe a. O. ist das Trinkgeld jünger als der Weinkauf. -- Die ocrea id est hosa vini in dem, Schwur- gerichte S. 196 citierten Falle war wohl für die Bewirtung der Zeugen bestimmt. Die oben Anm. 8 erwähnte Nachricht Jans van Houts fährt fort: andere gaven de kinderen soete melck ende wittebrod te eten. Diese Methode stimme besser über- ein mit den alten hollandsche manieren van wel te eten ende te drinken. § 105. Der Zeugeneid. beschränkte. Es giebt nur zwei Arten von Wissenden, nämlich Zeugenim eigentlichen Sinne, d. h. Wissende, die zur Stätigung einer beweis- bedürftigen Thatsache zugezogen wurden 5, und Gemeindezeugen, denen dieses Merkmal fehlt. Die Zeugenziehung ist nach manchen Stammesrechten eine rechts- Die Zeugenziehung ist ein zwischen dem Ziehenden und dem 5 Zeuge ist wörtlich der Gezogene. Das Wort kommt von ziohan, ziehen. 6 In Lex Burg. 60, 3 gestattet der Gesetzgeber, daſs Königsknechte als Zeugen verwendet werden, und zwar als Urkundszeugen, wenn die Zeugennamen der schrift- lichen Urkunde (manus) des Kontrahenten hinzugefügt worden sind, und auſserdem, wenn sie den Zeugeneid leisten, nachdem sie bei Abschluſs des Geschäftes ad testimonii fidem tractati fuerant secundum consuetudinem barbarorum. Eine Handschrift (Bluhme A, Salis B 6) hat tractas aures. 7 Mon. Boica VIII 466 (saec. XII): quos ipse dux per aurem traxit. Grimm, Nachtrag zu RA S. 145, verweist auf eine Urkunde für das Kloster Michelfeld v. J. 1270. 8 Lex Rib. 60, 1. Siehe meine Entstehung der Schwurgerichte S. 196 f. Für Holland bezeugt die Sitte im 17. Jahrhundert Jan van Houts bei Oudenhoven, Beschrijvinge van Heusden S. 26: ende .. was eene gewoonte de Jongens ten vor- conden van dien by de ooren te grijpen ende te reckooren. 9 Daher vinum testimoniale. Stobbe, Z. f. RG XIII 231. 234. Schröder, RG
S. 83, sieht darin die rechtlich notwendige Gegenleistung, welche die Zeugen zur Abgabe des Zeugnisses verpflichtete, eine Pflicht, die nur durch entgeltlichen Ver- trag begründet werden konnte. Allein die Belege sind zu jung und zu vereinzelt, als daſs ein sicherer Schluſs gezogen werden könnte. Nach Stobbe a. O. ist das Trinkgeld jünger als der Weinkauf. — Die ocrea id est hosa vini in dem, Schwur- gerichte S. 196 citierten Falle war wohl für die Bewirtung der Zeugen bestimmt. Die oben Anm. 8 erwähnte Nachricht Jans van Houts fährt fort: andere gaven de kinderen soete melck ende wittebrod te eten. Diese Methode stimme besser über- ein mit den alten hollandsche manieren van wel te eten ende te drinken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0410" n="392"/><fw place="top" type="header">§ 105. Der Zeugeneid.</fw><lb/> beschränkte. Es giebt nur zwei Arten von Wissenden, nämlich Zeugen<lb/> im eigentlichen Sinne, d. h. Wissende, die zur Stätigung einer beweis-<lb/> bedürftigen Thatsache zugezogen wurden <note place="foot" n="5">Zeuge ist wörtlich der Gezogene. Das Wort kommt von ziohan, ziehen.</note>, und Gemeindezeugen, denen<lb/> dieses Merkmal fehlt.</p><lb/> <p>Die Zeugenziehung ist nach manchen Stammesrechten eine rechts-<lb/> förmliche. Aus der altarischen Rechtssitte, die Wissenden, wenn man<lb/> sie zu Zeugen machen wollte, am Ohre zu ziehen, war bei einzelnen<lb/> Stämmen eine bindende Rechtsvorschrift geworden; so bei den Bur-<lb/> gundern <note place="foot" n="6">In Lex Burg. 60, 3 gestattet der Gesetzgeber, daſs Königsknechte als Zeugen<lb/> verwendet werden, und zwar als Urkundszeugen, wenn die Zeugennamen der schrift-<lb/> lichen Urkunde (manus) des Kontrahenten hinzugefügt worden sind, und auſserdem,<lb/> wenn sie den Zeugeneid leisten, nachdem sie bei Abschluſs des Geschäftes ad<lb/> testimonii fidem tractati fuerant <hi rendition="#g">secundum consuetudinem barbarorum</hi>.<lb/> Eine Handschrift (Bluhme A, Salis B 6) hat tractas aures.</note> und insbesondere bei den Baiern, wo die testes per aures<lb/> tracti als solche in den Urkunden bis in das dreizehnte Jahrhundert<lb/> erwähnt werden <note place="foot" n="7">Mon. Boica VIII 466 (saec. XII): quos ipse dux per aurem traxit. <hi rendition="#g">Grimm</hi>,<lb/> Nachtrag zu RA S. 145, verweist auf eine Urkunde für das Kloster Michelfeld<lb/> v. J. 1270.</note>. Nicht die Bedeutung einer Rechtsförmlichkeit,<lb/> sondern eines in der Natur der Sache liegenden Brauches hat die all-<lb/> gemein vorkommende Übung, den zugezogenen jugendlichen Zeugen<lb/> durch Backenstreiche oder Ohrzupfen das Gedächtnis zu schärfen <note place="foot" n="8">Lex Rib. 60, 1. Siehe meine Entstehung der Schwurgerichte S. 196 f. Für<lb/> Holland bezeugt die Sitte im 17. Jahrhundert <hi rendition="#g">Jan van Houts</hi> bei Oudenhoven,<lb/> Beschrijvinge van Heusden S. 26: ende .. was eene gewoonte de Jongens ten vor-<lb/> conden van dien by de ooren te grijpen ende te reckooren.</note>.<lb/> Sicherlich uralt ist die Gewohnheit, die Zeugen zu bewirten oder ihnen<lb/> kleine Geschenke zu geben <note place="foot" n="9">Daher vinum testimoniale. <hi rendition="#g">Stobbe</hi>, Z. f. RG XIII 231. 234. <hi rendition="#g">Schröder</hi>, RG<lb/> S. 83, sieht darin die rechtlich notwendige Gegenleistung, welche die Zeugen zur<lb/> Abgabe des Zeugnisses verpflichtete, eine Pflicht, die nur durch entgeltlichen Ver-<lb/> trag begründet werden konnte. Allein die Belege sind zu jung und zu vereinzelt,<lb/> als daſs ein sicherer Schluſs gezogen werden könnte. Nach <hi rendition="#g">Stobbe</hi> a. O. ist das<lb/> Trinkgeld jünger als der Weinkauf. — Die ocrea id est hosa vini in dem, Schwur-<lb/> gerichte S. 196 citierten Falle war wohl für die Bewirtung der Zeugen bestimmt.<lb/> Die oben Anm. 8 erwähnte Nachricht Jans van Houts fährt fort: andere gaven de<lb/> kinderen soete melck ende wittebrod te eten. Diese Methode stimme besser über-<lb/> ein mit den alten hollandsche manieren van wel te eten ende te drinken.</note>.</p><lb/> <p>Die Zeugenziehung ist ein zwischen dem Ziehenden und dem<lb/> Gezogenen abgeschlossener Vertrag, durch den dieser verpflichtet<lb/> wird, über die gestätigte Thatsache im Bedürfnisfalle Zeugnis zu<lb/> geben.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0410]
§ 105. Der Zeugeneid.
beschränkte. Es giebt nur zwei Arten von Wissenden, nämlich Zeugen
im eigentlichen Sinne, d. h. Wissende, die zur Stätigung einer beweis-
bedürftigen Thatsache zugezogen wurden 5, und Gemeindezeugen, denen
dieses Merkmal fehlt.
Die Zeugenziehung ist nach manchen Stammesrechten eine rechts-
förmliche. Aus der altarischen Rechtssitte, die Wissenden, wenn man
sie zu Zeugen machen wollte, am Ohre zu ziehen, war bei einzelnen
Stämmen eine bindende Rechtsvorschrift geworden; so bei den Bur-
gundern 6 und insbesondere bei den Baiern, wo die testes per aures
tracti als solche in den Urkunden bis in das dreizehnte Jahrhundert
erwähnt werden 7. Nicht die Bedeutung einer Rechtsförmlichkeit,
sondern eines in der Natur der Sache liegenden Brauches hat die all-
gemein vorkommende Übung, den zugezogenen jugendlichen Zeugen
durch Backenstreiche oder Ohrzupfen das Gedächtnis zu schärfen 8.
Sicherlich uralt ist die Gewohnheit, die Zeugen zu bewirten oder ihnen
kleine Geschenke zu geben 9.
Die Zeugenziehung ist ein zwischen dem Ziehenden und dem
Gezogenen abgeschlossener Vertrag, durch den dieser verpflichtet
wird, über die gestätigte Thatsache im Bedürfnisfalle Zeugnis zu
geben.
5 Zeuge ist wörtlich der Gezogene. Das Wort kommt von ziohan, ziehen.
6 In Lex Burg. 60, 3 gestattet der Gesetzgeber, daſs Königsknechte als Zeugen
verwendet werden, und zwar als Urkundszeugen, wenn die Zeugennamen der schrift-
lichen Urkunde (manus) des Kontrahenten hinzugefügt worden sind, und auſserdem,
wenn sie den Zeugeneid leisten, nachdem sie bei Abschluſs des Geschäftes ad
testimonii fidem tractati fuerant secundum consuetudinem barbarorum.
Eine Handschrift (Bluhme A, Salis B 6) hat tractas aures.
7 Mon. Boica VIII 466 (saec. XII): quos ipse dux per aurem traxit. Grimm,
Nachtrag zu RA S. 145, verweist auf eine Urkunde für das Kloster Michelfeld
v. J. 1270.
8 Lex Rib. 60, 1. Siehe meine Entstehung der Schwurgerichte S. 196 f. Für
Holland bezeugt die Sitte im 17. Jahrhundert Jan van Houts bei Oudenhoven,
Beschrijvinge van Heusden S. 26: ende .. was eene gewoonte de Jongens ten vor-
conden van dien by de ooren te grijpen ende te reckooren.
9 Daher vinum testimoniale. Stobbe, Z. f. RG XIII 231. 234. Schröder, RG
S. 83, sieht darin die rechtlich notwendige Gegenleistung, welche die Zeugen zur
Abgabe des Zeugnisses verpflichtete, eine Pflicht, die nur durch entgeltlichen Ver-
trag begründet werden konnte. Allein die Belege sind zu jung und zu vereinzelt,
als daſs ein sicherer Schluſs gezogen werden könnte. Nach Stobbe a. O. ist das
Trinkgeld jünger als der Weinkauf. — Die ocrea id est hosa vini in dem, Schwur-
gerichte S. 196 citierten Falle war wohl für die Bewirtung der Zeugen bestimmt.
Die oben Anm. 8 erwähnte Nachricht Jans van Houts fährt fort: andere gaven de
kinderen soete melck ende wittebrod te eten. Diese Methode stimme besser über-
ein mit den alten hollandsche manieren van wel te eten ende te drinken.
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